II.1

549 55 4
                                    

„Den hast du platt gemacht, Wisson." Felician schlug mit der rechten, zur Faust geballten Hand auf seine linke.

Acia rang sich ein Lächeln ab. Es war gerade mal einen halben Tag her, dass sie in der Arena gewonnen hatte, aber sie hatte jetzt schon genug davon, dass alle ihren Sieg über Aden in jedem Detail durchdiskutierten und analysierten. Ja, sie hatte seinen Namen schlussendlich doch noch erfahren, auch wenn sie sich immer die Ohren zugehalten hatte, wenn die Stimme aus den Lautsprechern ihn gesagt hatte. Es war Adens Trainer gewesen, der nach dem Kampf von der ersten Reihe aus laut geflucht und Folgendes gerufen hatte:

„Was war das denn, Aden? Du hast gekämpft wie ein Mädchen!"

Wäre Acia nicht zu sehr damit beschäftigt gewesen, das Kämpfen in der Arena zu verabscheuen, hätte sie dieser Satz zum Lächeln gebracht. Vielleicht hätte Aden besser wie ein Mädchen kämpfen sollen. Dann hätte er nicht gegen ein Mädchen verloren.

„Was lungert ihr hier noch so rum? Das Training hat vor einer Minute angefangen!"

Acia war noch nie so froh über Trainer Primus' Strenge gewesen. Dabei verdankte sie es unter anderem ebendieser Strenge, dass sie in der Arena so weit gekommen war.

Hastige Entschuldigungen murmelnd machten sich die Gladiatoren daran, ihre Runden ums Wohnheim zu laufen. Acia sprintete wie immer voraus, um ihre Ruhe zu haben. Erst als der Großteil der Männer außer Sichtweite war, verlangsamte sie ihr Tempo und fiel in ein gemächliches Joggen. Sie mochte das morgendliche Training. Besonders an den sommerlichen Tagen, an denen die Sonne zu dieser Zeit am Morgen gerade aufging und die Gladiatorin mit ihren ersten warmen Strahlen blendete, die mutierten Vögel ein schräges Lied anstimmten und der sanfte Wind ihr die dunklen Locken aus dem Gesicht blies, genoss sie es, Abstand von den anderen Gladiatoren zu haben und die Gedanken schweifen zu lassen.

An diesem Tag dachte sie an Cecelia und der Gedanke brachte sie zum Lächeln. Es war ihr erstes richtiges Lächeln seit Tagen, und es fühlte sich gut an. Sie hatte gestern nicht umsonst gesiegt. Mit dem Geld, das ihr ihr neuer Status als Nummer eins auf der Rangliste eingebracht hatte, würde die medizinische Versorgung ihrer kleinen Schwester für lange Zeit gesichert sein. Und vielleicht konnte ihre Mutter damit sogar endlich Medikamente bezahlen, die Cecelias Leben retteten, statt es nur zu verlängern. Vielleicht würde ihre kleine Schwester wirklich gesund werden und Acia nach Hause zurückkehren können, sobald ihr Vertrag ausgelaufen war.

Vielleicht würde das alles hier bald endlich vorbei sein.

Das redete sie sich das ganze Training lang ein. Nur so konnte sie sich von dem Blut ablenken, das an ihren Händen klebte, das Blut von drei Gladiatoren und fünf verurteilten Verbrechern – acht durch sie beendete Leben. Sie tat das für Cecelia, sagte sie in Gedanken immer wieder vor sich hin. Sie tat das nur für sie. Und sie tat das Richtige.

Sie konnte diesen Gedanken so lange aufrechterhalten, bis Trainer Primus nach dem Training alle zusammenrief und Acia neben sich stellte.

„Wir haben einen neuen Champion!", rief er.

Die Gladiatoren applaudierten, manche von ihnen offensichtlich nur aus Höflichkeit, andere ehrlich begeistert.

„Zur Feier von Acias Sieg gestern in der Arena gebe ich euch allen das Wochenende frei. Und zwar wirklich frei. Ihr könnt nach Hause gehen", verkündete Primus, und nun gab es keinen mehr, dem die Freude nicht ins Gesicht geschrieben stand. Wochenenden, die sie zu Hause verbringen durften, waren selten.

Auch Acia freute sich, trotz ihrer Bedenken. Sie hatte ihre Familie schon seit dreizehn Monaten nicht mehr gesehen. Ihre Mutter war immer beschäftigt gewesen, wenn Acia mal ein Wochenende frei bekommen hatte, aber die Gladiatorin wollte nicht aufhören, zu hoffen. Es war ja möglich, dass es dieses Mal klappen würde.

MMCCX - Du kämpfst wie ein Mädchen [LESEPROBE]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt