Es war so einfach mit Sébastien. Er war ein guter Mensch. Nur war sein Herz, genauso wie meins, gebrochen. Vielleicht war es auch deswegen so einfach.
Ich konnte mir noch nicht eingestehen, wie ähnlich er mir war. Er war doch nur ein Junge wie jeder andere auch. Er war gut aussehend, ich war hübsch. Was sollte dabei schon falsch sein?*
Ich traf ihn an einem etwas kühleren Frühlingstag, während ich vor meiner Uni stand und Kaffee in mich hineinschüttete. Ich hatte wieder einmal nicht genug Schlaf bekommen. Zuerst hatte ich bis tief in die Nacht gelernt, doch danach wäre eigentlich noch genug Zeit gewesen, um zu schlafen. Jedoch hatte ich es nicht übers Herz gebracht, mich hinzulegen. Es wäre eine solche Verschwendung gewesen. Nicht gut für meine Gesundheit. So redete ich mir zumindest ein. Denn die Nacht ist die einzige Zeit des Tages, in der nichts mehr von einem erwartet wird. Ich hatte das Gefühl, dass mich die Erwartungen auffraßen. Daher brauchte ich die Nacht. Sie war ruhig, sie war warm, sie war da für mich. Ein Kind der Nacht.
Daher war Kaffee nötig. Denn so sehr ich die Energie der Nacht in mich aufsog, reichte sie leider nicht, um meinen Körper aufrecht zu erhalten, geschweige denn mein Gehirn zum Funktionieren zu bringen.
Er kam auf mich zu, die Haare hell, die Augen braun. Er war sehr groß und eher schlacksig. Seine Wangen waren rot und Schweißperlen waren auf seinem Gesicht zu erkennen. Er kam direkt auf mich zu.
"Darf ich mir bitte einen Schluck Kaffee bei dir schnorren? Sonst halte ich es da drin nicht aus."
"Und was ist, wenn du Lippenherpes hast oder so? Habe ich ehrlich gesagt nicht so Bock drauf. " So war ich normalerweise nicht. Ich bin eigentlich sehr freundlich. Irgendetwas hatte mich verändert. Was wohl.Ich fügte dennoch ein "Tut mir leid" hinzu.
"Wundert mich nicht, dass du schlecht drauf bist. Du hast drei schon leere Kaffeebecher dabei. Hätte dich nicht ansprechen dürfen. Es ist ja auch erst 8."
Ich weiß nicht, warum ich das als nächstes tat, doch ich antwortete:"Vielleicht möchtest du ja später mit mir 'nen Kaffee trinken gehen. Da kriegt jeder seinen eigenen Becher."
Er lächelte. "Wieso eigentlich nicht? Ich bin Sébastien."
"Justine."
"Freut mich. Treffen wir uns um 12 wieder hier?" Ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten. Er lächelte weiterhin verschmitzt.
"Lieber gleich im Café Ex Libris. Bis dann."
"Bis dann, Justine."Ich dachte anfangs nicht weiter darüber nach. Was war überhaupt mit mir los? So kannte ich mich gar nicht. Ich meine, klar, reiße ich mir manchmal auf Partys wen auf. Aber gerade war ich komplett nüchtern. Naja, fast. Ich hatte mir beim Lernen gestern einige Gläser Wein eingeschenkt.
Wenn ich heute so darüber nachdenke, komme ich zu keinem anderen Schluss, als dass ich es gefühlt haben muss. Ich muss seine Gefühle wahrgenommen haben. Irgendwie hatte ich mich allein durch seine Gegenwart verstanden gefühlt. Ist das verrückt?
Was hatte ich mir da bloß eingebrockt? Vielleicht ist er ja ein richtiger Idiot. Und ich hatte Interesse gezeigt. Verdammt. Da muss ich jetzt wohl durch.
So saß ich dann um Punkt 12 im Ex Libris. Er war zwei Minuten zu spät. Ich hatte uns schon zwei Kaffee bestellt und bezahlt, um mir dieses peinliche "Wer soll zahlen? Ist das ein Date?"- Getue zu ersparen. Er nahm das überrascht zur Kenntnis."Das wäre nicht nötig gewesen. Ich schulde dir was."
"Lass gut sein, gern geschehen. Was studierst du eigentlich?"
"Philosophie", antwortete er. "Und du?"
"Psychologie und Soziologie. Und bevor du fragst: Ja, ich bin komplett bescheuert zwei so umfangreiche Fächer gleichzeitig zu studieren."
Er lachte. Ich mochte sein Lachen. Vielleicht war es ja gar nicht so schlimm mit ihm.
"Dann hätten wir das ja abgehakt. Du bist bescheuert, weil du zwei Fächer gleichzeitig studierst und ich bin bescheuert, weil ich Philosophie studiere."
"Kommt hin." Jetzt musste auch ich lächeln."Warum habe ich dich noch nie bemerkt?", fragte er mich. Nun war er sehr ernst. Seine Augen waren auf mich gerichtet. Ich hatte das Gefühl, als wollte er sich genau merken, wie ich aussehe.
"Ich weiß nicht", antwortete ich daher perplex.Wahrscheinlich weil dein Herz noch einer anderen gehörte. Es war verschlossen für mich.
Seine Hand lag plötzlich auf meiner. Er saß mir gegenüber und blickte mir einfach in die Augen.
"Möchtest du mit zu mir?", sagte er schließlich.
Wollte ich das?
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Mein Herz bleibt verschlossen
RomanceJustine möchte sich nicht verlieben. Nie wieder. Genauso geht es Sébastien. Doch sie wollen trotzdem nicht einsam sein, wollen sich geliebt fühlen. So versprechen sie sich, einander alles zu geben, außer ihre Liebe.