Hier bin ich wieder. Im verdammten neuen Schuljahr.
In der Klasse halte ich meinen Kopf hoch erhoben und blicke jedem geradewegs ins Gesicht. Spüre neugierige und wachsame Augen auf mir.
Und gehe geradewegs in die hintere Ecke des Raumes, so weit weg von der Tür wie möglich.Erstaunlich gut gelingt es mir, das Wispern um mich herum zu ignorieren. Klar, dass alle etwas zu lästern haben. Jeder von ihnen hat mich schließlich ein ganzes Jahr nicht mehr gesehen.
Keiner grüßt. Keiner sagt etwas zu mir. Nur hinter vorgehaltener Hand werden leise geflüsterte Worte ausgetauscht.
Komisch, wenn man in eine einst vertraute Umgebung spaziert und dir niemand entgegenkommt. Dich niemand wiederzuerkennen scheint. Dich jeder nur aus einem Sicherheitsabstand von drei Metern anblickt und keinen Schritt näher kommt, auf dich zu macht.
Seelenruhig fange ich an, die wenigen Sachen auszupacken, die ich mitgebracht habe. Collegeblock. An einem Tisch, der mir völlig fremd vorkommt. Collegeblock. In einem Klassenzimmer, welches sich optisch so dermaßen verändert hat, dass ich es bis auf ein paar Fotos und Plakate an den Wänden kaum wiedererkenne. Federtasche. Doch kein einziges Foto zeugt von den Jahren, die ich beinahe jeden Tag hier verbracht habe.
Alles weg. Genau wie ich.
Das ganze Auspacken und Anstarren zieht sich auf kuriose Art immer weiter und weiter, bis ich schließlich meinen Blick hebe und erneut reihum in erstaunte, aufgerissene Augen starre. Wollen die ein Foto mit mir? Dann würde wenigstens etwas an der Wand mein Dasein bezeugen können.
"Leute, was ist da los?", fragt eine mir allzu bekannte Stimme.
Der Menschenauflauf vor mir teilt sich wie das rote Meer und macht zwei händchenhaltenden Personen Platz.
Sie japst, als sie mich sieht. Macht große Augen und erstarrt.
Dreht sich auf dem Absatz um und rennt geradewegs durch die Tür, aus der sie noch eben gerade ins Klassenzimmer getreten ist, als würde es ihr gehören.
Und er?
Verzieht keine Miene und läuft ihr hinterher.
Es gibt weder gute noch böse Menschen. Es gibt uns.
Jeder ist gut. Genauso, wie jeder böse ist.Doch manchmal haben wir keine Wahl, zu entscheiden, und werden zu dem gemacht, was wir heute sind.
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Broken
PoetryDie Geschichte eines gebrochenen Mädchens. Einer Kämpferin. Einer Kämpferin, die immer wieder aufgestanden ist. Immer wieder aufgestanden, um zu überleben. Nur, um immer wieder zu sterben.