Letzte Chance

272 10 7
                                    

„Wie meinst du das?“ 
Misstrauisch sah ich Harry an. Der ließ sich auf ein Bett fallen. Dumbledore stand immer noch in der Tür. Man sah ihm die Trauer an.
„Wir haben Seidenschnabel befreit. Damit Hagrid kein Ärger bekommt, haben wir gewartet, bis der Henker ihn gesehen hat und ihn dann erst losgebunden. Während dem Gespräch in der Heulenden Hütte haben wir gewartet. Dann habe ich uns alle vor dem Kuss des Dementors gerettet, indem ich einen richtigen Patronus in der Gestalt eines Hirsches heraufbeschworen habe.
Soweit hat es ganz gut geklappt.
Dann wollten wir mit Seidenschnabel zu Flitwicks Büro fliegen um Sirius zu befreien. Doch das Fenster ließ sich nicht zerstören. Hermine hat alles versucht, was sie an Zaubereien kennt und nichts hat gewirkt. Und wir hatten immer weniger Zeit. Irgendwann mussten wir aufgeben.“
Ich blinzelte und Tränen liefen an meinen Wangen herunter.
„Das heißt, es ist vorbei? Man kann nichts mehr tun?“
Harry nickte langsam.
„Es tut mir leid.“ Dumbledore meinte diese Worte ehrlich, dass merkte man.
Ich sah Hermine an.
„Du weißt doch alles! Fällt dir nicht noch irgendetwas ein?“
Hermine war niedergeschlagen und schüttelte mutlos den Kopf.
„Ich habe versagt.“
„Du hast nicht versagt! Jeder stößt irgendwann an seine Grenzen.“
„Das ist keine schöne Erfahrung“, flüsterte Hermine.
„Sicher nicht. Aber jetzt überleg!“
Hermine schien sich zu sammeln.
„Also, so spontan fällt mir nichts ein … außer … aber ich weiß nicht …“
„Jetzt sag!“
„Ich habe von etwas gelesen. Es nennt sich Denkarium. Da macht man seine Erinnerung an das Geschehene herein und andere können sie sich ansehen.“
„Das hört sich doch gar nicht so schlecht an!“, rief ich aufgeregt. Dann sah ich Dumbledore an. „Kennen Sie jemanden, der so etwas besitzt?“
Dumbledore nickte.
„Ja, ich selbst. Ich kann allerdings nicht garantieren, dass Cornelius sich dazu überreden lässt – und ob Sie Ihre Erinnerung wiederbekommen, kann ich schon gar nicht versprechen.“
„Ist mir egal“, flüsterte ich. „Wir müssen es versuchen.“
Dumbledore nickte und ging. Kurz darauf kam Madam Pomfrey aus ihrem Büro.
„Habe ich den Direktor gehen gehört? Ist es mir nun erlaubt, nach meinen Patienten zu sehen?“ Sie war sehr verärgert, weshalb wir alle schwiegen. Wir konnten jetzt eh nichts tun außer hoffen, dass Dumbledore Fudge überredet bekam. Madam Pomfrey hastete zwischen den Betten umher – wobei sie mich weiterhin übersah - und schimpfte dabei leise über ungehorsame Kinder, verantwortungslose Lehrer und Zaubereiminster. 
Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, hörten wir Fudges und Dumbledores Stimmen.
„ – Dumbledore, weiß ich nicht, was das bringen soll. Wir wissen doch bereits, was passiert ist!“
„Aber nur aus Erzählungen. Ich bin immer dafür, dass man sich ein eigenes Bild macht.“
„Sollen wir dann Snape um seine Erinnerung beten?“
„Da er in der Heulenden Hütte bewusstlos wurde, würde das nicht viel bringen. Denn in dem Moment, in dem ihn der Fluch der Kinder traf und er ohnmächtig wurde, hören auch seine Erinnerungen auf.“
„Also müssen wir eines der Kinder nehmen?“
„Wenn Sie nicht Sirius Backs Erinnerungen persönlich anschauen wollen, dann ja.“
„Das kann ich nicht verantworten!“
„Das haben aber nicht Sie zu verantworten, Cornelius, sondern die betroffene Person. Harry und seine Freunde mögen noch minderjährig sein, aber das ist in diesem Fall gleichgültig. Mit der Erlaubnis der betroffenen Person kann man sich diese Erinnerung ansehen.“
Erneut schwang die Tür zum Krankenflügel auf und Fudge und Dumbledore traten ein. Dumbledore lächelte uns ermutigend an, während der Minister offenbar nicht wusste, was er davon halten sollte und hin- und hergerissen schien.
„Alle drei wären bereit, ihre Erinnerung zu geben und ich bin sicher, wenn Mr. Weasley wieder zu sich kommt, wird er dass auch sein.“
„Na, Black fällt auf jeden Fall weg“, sagte Fudge und warf mir einen gehässigen Blick zu. „Sie zeigt uns noch manipulierte Erinnerungen!“
„Ich weiß gar nicht, wie ich so etwas wie eine Erinnerung manipulieren soll!“, verteidigte ich mich. Doch natürlich achtete Fudge nicht auf mich. Er ließ seinen Blick von Harry zu Hermine schweifen, und wieder zurück. 
„Miss Granger“, wandte er sich an Hermine, „sind Sie sich absolut sicher, dass Sie dies tun wollen?“
„Natürlich!“, sagte Hermine, wobei sie mühsam das Zittern aus ihrer Stimme heraushielt. „Wenn so die Wahrheit ans Licht kommen kann.“
Fudge seufzte.
„Also gut. Bitte folgen Sie mir, Miss Granger.“
„Minister, dieses Mädchen hat einiges durchgemacht!“, meldete sich Madam Pomfrey zu Wort. „Ich kann es nicht erlauben, dass Miss Granger den Krankenflügel verlässt!“
„Bei allem Respekt, Poppy“, mischte sich Dumbledore ein. „Es scheint ihr gut genug zu gehen und ihre Erinnerung, von der sie bereit ist, sie uns zu zeigen, entscheidet über das Leben und die Schuld oder Unschuld eines Menschen. Sobald wir uns die Erinnerung angesehen haben, werden wir Miss Granger wieder herbringen.“
Er gab Hermine ein Zeichen ihm zu folgen und zu dritt verließen sie den Krankenflügel.
„Also sowas …“, sagte Madam Pomfrey fassungslos, während sie ihnen hinterher sah.
Dann drehte sich die Krankenschwester um, kontrollierte noch irgendwas bei Ron und sagte drohend zu Harry:
„Du tust jetzt einmal das, was man dir sagt und bleibst im Bett! Du kannst eh nicht helfen und nichts ändern.“
Dann ging Madam Pomfrey in ihr Büro. Harry verdrehte die Augen und sah mich an.
„Wie –“
„Wie funktioniert das mit der Zeitreise?“, fiel ich ihm ins Wort.
Harry öffnete den Mund um zu antworten, als von Ron ein Stöhnen kam. Er schlug die Augen auf und sah uns blinzeln an.
„Was ist passiert? Haben wir Pettigrew? Wo ist Sirius?“
„Pettigrew ist entkommen und Sirius ist eingesperrt. Hermine zeigt Fudge gerade ihre Erinnerung, die ihn eigentlich von seiner Unschuld überzeugen müssten“, gab ich ihm einen kurzen Überblick. „Vorhin haben Harry und Hermine eine Zeitreise unternommen und Seidenschnabel befreit.“
„Eine Zeitreise?“, fragte Ron verwirrt.
„Ja“, antwortete Harry. „Hermine hatte so eine Art Kette, die sich Zeitumkehrer nennt. Dadurch hat sie es auch geschafft, zur gleichen Zeit in verschiedenen Kursen zu sein. Wir sind von hier verschwunden und da aufgetaucht, wo wir vor drei Stunden waren. Da waren wir vier unterwegs zu Hagrid. Wir sind uns also gefolgt, wobei Hermine und ich aufpassen mussten, dann uns keiner von euch – äh, uns – sieht. Unser vergangenes Ich durfte unser gegenwärtiges Ich nicht sehen. Dann haben wir jedenfalls Seidenschnabel befreit, aber Sirius zu befreien ist uns nicht gelungen. Wir sind also hier verschwunden, drei Stunden in die Vergangenheit gereist, haben diese versucht zu verändern und waren halt drei Stunden später wieder hier. Darum waren das für dich nur ein paar Sekunden, Mel.“
Ron sah ihn verwirrt an, dann schüttelte er den Kopf.
„Erzähl mir das nochmal, wenn ich wieder klar denken kann.“
Harry lachte, doch es klang sehr gezwungen.
„Hermine kann das sicher besser erzählen.“
Abwechselnd berichteten wir Ron, was er verpasst hatte und lenkten uns so davon ab, dass Hermine, Dumbledore und Fudge noch nicht wieder da waren. Irgendwann war alles erzählt und wir schwiegen.
Endlich, nach gefühlten zehn Stunden, hörten wir Schritte auf dem Korridor.
„- kann gar nicht sagen, wie Leid es mir tut. Schreckliches Missverständnis. Sie werden natürlich eine Entschädigung erhalten.“
Die Tür ging erneut auf und eine strahlende Hermine trat ein, gefolgt von einem sehr zufrieden aussehenden Dumbledore. Ihnen folgten Fudge, der sich immer weder bei Sirius entschuldigte. Der wirkte ganz schön genervt. Das Schlusslicht bildete Snape, mit einem wahrhaft teuflischen Gesichtsausdruck
Bei den Stimmen erschien Madam Pomfrey wieder, deren Augen riesig wurden, als sie Sirius erblickte.
„Die Kinder hatten recht“, sagte Fudge rasch. „er ist tatsächlich unschuldig. Bitte geben Sie Mr. Black auch ein Stück Schokolade und was er sonst noch braucht. Er hat schon einiges durchgemacht.“  
Von Sirius kam ein Schnauben.
„Erst alle Freunde zu verlieren – die gleichzeitig meine Familie waren – und dann zwölf Jahre unschuldig in Askaban nennen Sie einiges durchgemacht? Dann möchte ich nicht Ihre Definition von „viel durchgemacht“ hören, Minister!“
Fudge wirkte einen Moment perplex, zog es aber vor, nicht darauf zu antworten. Stattdessen wandte er sich an Hermine.
„Wir würden gerne eine Kopie Ihrer Erinnerung machen, Miss Granger. Ihre Erinnerung bekommen Sie dann natürlich zurück, aber es müssen sich noch Fotografen, Reporter und so weiter das Geschehene anschauen. Für einen Artikel im Tagespropheten.“
Hermine war damit einverstanden und Fudge wollte gehen. Vorher fiel sein Blick noch auf Snape.
„Ihr Verhalten in der Heulenden Hütte war unerhört, Snape! Kinder zu bedrohen! Ich erteile Ihnen hiermit eine offizielle Verwarnung! So etwas darf nicht noch einmal vorkommen oder Sie sind Ihren Beruf als Lehrer los! Sie hätten sich ja mal wenigstens anhören können, was sie zu sagen haben!“
Ich runzelte die Stirn. Er wollte uns aber auch nicht zuhören. Bevor Fudge den Krankenflügel komplett verließ, rief ich:
„Könnten Sie mich bitte noch befreien?“
Sirius drehte sich zu mir um und schien erschrocken, als er die Gurte sah, die mich an Ort und Stelle hielten.
„Oh, ja. Verzeihung, Miss Black.“
Fudge holte seinen Zauberstab hervor und richtete ihn auf mich. Unwillkürlich zuckte ich zusammen.
Relaschio!“, murmelte er. Sofort lösten sich die Gurte und fielen von mir ab.
„Danke“, murmelte ich. Eigentlich hätte ich gerne noch ein paar mehr Sätze gesagt, aber ich denke, dass würde nicht so gut ankommen.
So nickte Fudge nur und ging.
Snape warf jedem noch einen Blick zu, bei dem ich mal wieder dafür dankbar war, dass Blicke trotz Zauberei nicht tödlich waren. 
Dumbledore folgte ihm bald. Vorher sagte er allerdings noch:
„Sirius, wenn es Madam Pomfrey nachher erlaubt, komm bitte in mein Büro.“
Dann war auch er weg. Madam Pomfrey brachte mir ein Stück und Sirius eine Tafel Schokolade, zusammen mit einem heißen Getränk. 
„Sie ruhen sich jetzt aus und später können Sie zum Schulleiter“, sagte sie zu ihm.
Sirius nickte und setzte sich auf ein freies Bett, gegenüber von mir.
Ich richtete mich auf und sah ihn an.
„Wie geht es jetzt weiter? Werden Harry und ich zu dir ziehen? Hast du ein Haus?“
„Ich nehme an, darüber möchte Dumbledore mit mir sprechen“, antwortete Sirius. „Und ja, ich habe ein Haus, aber das ist kein schöner Ort. Wenn es sich irgendwie vermeiden lässt, möchte ich dort nicht hin.“

Eine halbe Stunde später machte er sich auf den Weg in Dumbledores Büro. Gespannt wartete ich, was bei dem Gespräch herauskommen würde. Doch es dauerte länger als erwartet und irgendwann schlief ich ein.

Als ich die Augen öffnete, schien die Sonne und die Vögel zwitscherten. Madam Pomfrey untersuchte gerade noch einmal Ron, der schließlich aufstand.
Er war noch ein wenig wacklig auf den Beinen. Harry und Hermine unterhielten sich am Fenster mit Sirius. Daraus schloss ich, dass es uns nun erlaubt war, aufzustehen.
„Miss Black, auch mal aufgewacht“, begrüßte Madam Pomfrey mich. Sie gab mir noch ein Stück Schokolade und schickte mich in einen angrenzenden Raum um mich frisch zumachen. Rasch duschte ich und putzte Zähne. Ich wollte wissen, was Dumbledore und Sirius gestern besprochen haben!  
„Morgen!“, sagte ich gut gelaunt, als ich mich zu ihnen ans Fenster stellte.
Ein dreistimmiges „Morgen!“ kam zurück.
Neugierig sah ich meinen Vater an.
„Und?“
„Ich bekomme dreitausendfünfhundert Galleonen Entschädigung. Davon wollte ich ein Haus in der Nähe des Fuchsbaus bauen lassen. Wenn du es wirklich willst, wird Remus dich adoptieren. Es wird zwar auch eine Entwarnung vor mir in den Muggelnachrichten kommen, aber Dumbledore war der Meinung, wir sollten sie nicht gleich überfordern, indem ich dort auftauche und dich mitnehme. Dumbledore hat es auch geschafft, Snape zu überreden, Remus weiter diesen Werwolfs-Banntrank zu brauen. Er wird dann also auch bei uns einziehen. Er weiß zwar noch nichts von seinem Glück, aber ein Nein akzeptiere ich nicht.“
„Und was ist mit Harry?“, wollte ich wissen und sah ihn fragend an.
„Er soll aus irgendwelchen Gründen erst zu seinem Onkel und seiner Tante. Nach seinem Geburtstag kann er zu uns kommen. Deshalb wollte ich auch in der Nähe der Weasley bleiben. Damit du Freunde in der Nähe hast.“
Ich strahlte.
„Das ist großartig! Wie geht es Professor Lupin? Wo ist er?“
„Er ist in seinem Büro und packt.“
„Er packt? Wieso denn das?“
Sirius seufzte.
„Snape war so sauer, dass er den Orden des Merlins nicht bekommen hat, sondern nur eine Verwarnung und ich frei bin, dass er den Slytherins beim Frühstück gesagt hat, dass er ein Werwolf ist.“
„Geht er deswegen?“, fragte Harry ungläubig. „Das stört doch keinen!“     Ein trauriges Lächeln erschien auf Sirius Gesicht.
„Das seht ihr so, aber die Eltern vieler Schüler werden es anders sehen.“
„Ich gehe zu ihm“, sagte Harry entschlossen und verließ den Krankenflügel.
„Ich habe mich noch gar nicht bei euch bedankt, für all das, was ihr für mich getan habt“, sagte Sirius.
„Du bist unschuldig. Warum sollten wir einen Unschuldigen im Stich lassen?“, fragte Hermine.
Darauf wusste Sirius auch keine Antwort.

Melania Black - Schatten der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt