König Georg V. von Hannover war blind, physisch blind, blind aber auch für manche Realitäten. Das führte dazu, dass er 1866 sein Königreich verlor und vier Jahre später im französischen Exil lebte. Das ist die Ausgangssituation von Gregor Samarows Roman "Der Todesgruss der Legionen", der eine ordentliche Basis für einen Drei- bis Vierteiler im öffentlich-rechtlichen Fernsehen böte. Die allerdings hiesse dann weniger dramatisch "Der Blinde König" oder eher noch "Blinde Macht". Denn ausser dem sehbehinderten Georg V. gibt es mit Napoleon III., Kaiser der Franzosen, einen weiteren Herrscher, der für bestimmte Dinge blind ist. In seinem Fall ist das der Wunsch der notorisch Zukurz-Gekommenen, sich zu befreien, der sich 1871 als Pariser Kommune realisiert, die Versuche der Kaiserin, ihn zu manipulieren, und die militärische Macht des Norddeutschen Bundes. An dessen Spitze steht der König von Preussen und hinter ihm der ausgesprochen hellsichtige Graf Otto von Bismarck, wie die anderen erwähnten Politiker eher Autokrat als Demokrat, und nur dort gerne mal blind, wo es um die Wünsche der Untertanen geht, die sie den ihren unterordnen.
Dieses Dreieck wiederholt sich dann auf einer den Zuschauern näherliegenden Ebene beim Leutnant von Büchenfeld, einem preussischen Offizier, der in den Traditionen seiner Klasse gefangen ist und deshalb zuerst einmal der drallen Bankierstochter Anna Cohnheim seine Liebe nicht gesteht, ist sie doch wie es in meiner Jugend politisch korrekt hiess "mosaischen Bekenntnisses" und schon deshalb auch nicht adelig. Ein anderer Eckpunkt ist der Unteroffizier Rühlberg, ein hannoverscher Veteran von etwa 30 Jahren, der seinem König mit der Welfenlegion ins Exil gefolgt ist. Als der die Legion auflösen muss, weil die Preussen nicht nur sein Land, sondern auch sein Erspartes, das Ersparte einer langen Reihe von Königen, eingesteckt haben, geht er nach Algerien, um sich dort niederzulassen, hat man ihm doch dort Land und Auskommen versprochen.
Pragmatischer ist einer seiner Kameraden, der Dragoner Cappei, ein junger Mann, sehr verliebt in eine französische Holzhändlerstochter (mit hinlänglich Holz vor der Hütte - ich konnte mich des Wortspiels nicht erwehren), aber auch bereit, sich den neuen Gegebenheiten in seiner Heimat zu stellen, um sich sein Erbe zu sichern, den Bauernhof seines Onkels in Bodenfeld samt dessen drei Kühen, zwei Ochsengespannen und den beiden grossrahmigen Hannoveranern im Pferdestall. Er allerdings ist blind dafür, dass eine Liebe mit einer Erbfeindin nicht den ungeteilten Beifall der Deutschen wie der Franzosen finden wird. Es schwaerzt ihn der Vorarbeiter Vergier bei den preussischen Behörden an, die ihn als mutmaßlichen Spion vorläufig festnehmen, während Vergier die Gelegenheit nutzt, um Louise davon zu überzeugen, dass ein strammer Franzose sie besser lieben kann als ein Erbfeind. Er sollte sich dabei wie jeder Fanatiker anhören, der einen heiligen Krieg propagiert. Dass sich der gegen die Deutschen richtet, muss diese Position zur gleichen Zeit infrage stellen.
Wir nutzen die gleiche Gelegenheit, um auf die politische Lage in Spanien einzugehen. Dekadenz führte dort zur Besetzung durch die Franzosen vor 1813 und zum Verlust fast aller Kolonien. Die sich daraus ergebende politische, wirtschaftliche und soziale Situation führte zu einer Staatskrise, an deren vorlaeufigem Ende die Königin im französischen Exil lebt (noch ein Ex-Monarch in Paris) und Ersatz für sie gesucht wird. Ein potentieller Kandidat ist ein entfernter Verwandter des preussischen Königs. Während es Marschall Prim, der unbestimmt Putin aehnelt, eigentlich egal ist, wer unter ihm König ist, spielt die Frage in den französischen Zeitungen eine wichtige Rolle. Man pflegt, mal mit, mal ohne die Unterstützung der Regierung, die genug hat, von der sie ablenken muss, eine gewisse Preussen-Paranoia. Am Ende und nicht ohne ein wenig Hilfe des Grafen Bismarck steht die Kriegserklärung.
Eine von Wilhelm I. umgehend ausgerufene Amnestie für politische Gefangene gibt Cappei die Freiheit wieder. Als Reservist muss er aber sofort zur Landwehr einrücken, eine Pflicht, die ihm Wunsch ist, weiss er doch nun, was Vergier getan hat. Von Büchenfeld geht als aktiver Offizier mit seinem Regiment an die Front, Anna meldet sich ebenso zum Roten Kreuz wie Von Rantzow, ihr neuer Verlobter, ein wehruntauglicher Beamter. Rühlfeld ist wieder in Paris, als in den Strassen die Masse kriegstrunken tobt. Er gibt sich als Elsässer aus und entgeht um Haaresbreite den Fanatikern. Ihm war nur die Wahl geblieben, in Algerien in die Fremdenlegion einzutreten oder so weit nach Norden zu reisen, bis ihm das Geld ausgeht. In einem Café trifft er den ehemaligen hannoveranischen Geheimrat Meding, der sich als Agent der Preussen Samarow nennt. Von ihm hört er von der Amnestie, die auch ihn betrifft, und bekommt genug Geld, um per Zug über die Schweiz nach Deutschland zu reisen. Dort schliesst er sich als Freiwilliger einem badischen Infanterieregiment an, das an die Front geht.