I.

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Weißt du noch, Dion?

Erinnerst du dich noch an die Nacht, in der wir uns das erste Mal begegnet sind? Das hat viel mit mir gemacht, Dion. Ich weiß nicht, ob dir das jemals bewusst war, aber diese Nacht hat mich aufgefangen. Auf so viele Weisen.

Ich hatte mich gerade erst wieder gefangen. Gerade erst wieder mein Gleichgewicht gefunden, nachdem mich der Alkohol wochen- nein, monatelang nicht geradeaus hatte denken lassen. Die endlos verzweifelten Versuche das Einzige, das mir überhaupt jemals irgendein Gefühl von Menschlichkeit gegeben hatte, wieder zurück zu bekommen und wieder gut zu machen, was ich verbockt hatte. Um Vergebung zu bitten. Ich hätte alles getan. Aber dazu war es nie gekommen. Also hatte ich Trost und Ablenkung in der Flasche gesucht – und gefunden. Mir Nacht um Nacht die Seele aus dem Leibe gekotzt, bis der Anruf gekommen war.

Jetzt war ich hier. Wichita. Weit, weit weg von meiner Heimat. Weit weg von allem, was dort passiert war. Das war der einzige Grund gewesen, weshalb ich zugestimmt hatte, hierhin zu fahren. Es hatte einen eiskalten Entzug gefordert, drei Wochen körperlichen Leids und nervöser Zitterkrämpfe, bis ich mir wieder zugetraut hatte, mich in den Mietwagen zu setzen und nach Kansas zu fahren. Aus dem einfachen Grund heraus, dass ich es in Oakland nicht mehr aushielt.

„Koks?"
Kopfschütteln.
„Ecstasy?"
Ich rieb mir das Gesicht, lehnte mich auf dem unbequemen Sitz des Beifahrersitzes zurück. „Nein."
„Nicht mal Gras!?"
„Nein. Hör zu, ich habe damit nichts mehr am Hut, 'kay?" Diesmal schwang Nachdruck in meiner Stimme mit, den Gale nicht als die Aufforderung eines Themenwechsels zu verstehen schien. Der Kerl war die Personifizierung eines Elefanten im Porzellanladen, aber das war er auch schon zu Schulzeiten gewesen, bevor seine Familie nach Wichita gezogen war. Bevor er um ein Haar den Hurricanes beigetreten wäre. Nun gehörte er zu einer anderen Gang, in einem anderen Staat, in einer anderen Stadt, die ihre eigenen Regeln schrieb.
„Du brichst mir das Herz, Ash."
Asher", korrigierte ich. Keine Spitznamen.
„Ist schon okay.", gab er grinsend von sich, als hätte er mich völlig überhört. Seit wann ließ ich andere so auf meiner Nase herum tanzen? „Ich brauch deine Drogen heute auch gar nicht. Du musst heute einfach nur böse und gefährlich aussehen. Mach vielleicht noch ein paar Liegestütz bevor wir reingehen oder so. Bringt die Muckis schön zur Geltung."

Mit einem Stöhnen verdrehte ich die Augen, als er den Wagen auf den VIP-Parkplatz des Clubs lenkte. Ursprünglich war ich gekommen, um Gale bei einigen Geschäften zu helfen, ohne dass sein Boss davon Wind bekam. Sein großes Pech war nun mal, dass er auch mit ein paar mehr Muskeln vermutlich immer noch wie das letzte Weichei gewirkt hätte mit seinen rotblonden Haaren und den auffälligen Sommersprossen. Oder den Grübchen, wenn er grinste. Überhaupt wirkte er mehr wie ein vorlauter kleiner Schuljunge, obwohl er nur zwei oder drei Jahre jünger sein musste als ich. Er sah nicht nach viel aus, aber er hatte tatsächlich einiges drauf, wenn es um Verhandlungen oder das Abwickeln von großen Deals ging. Kein Wunder, dass er einen Crossfire fuhr. Irgendwoher musste das Geld ja kommen. Doch heute schien er keinen Berater, sondern einfach nur einen Bodyguard zu brauchen. Seit drei Wochen war ich hier, hatte mich frontal in jede Ablenkung gestürzt, die Gale mir hatte bieten können, ohne mir ein Weib auf den Schoß zu setzen oder eine Flasche Wodka in die Hand zu drücken. Alkohol und Sex waren das Letzte, nach dem mir aktuell der Sinn stand. Eigentlich.

Und ausgerechnet heute würden wir uns in mein übliches Jagdterrain begeben: das Nachtleben. Clubs, laute Musik, tanzende Körper, unter denen sich erfahrungsgemäß immer irgendeiner finden ließ, der sich auch auf einen Privattanz einließ, sobald man sich gemeinsam zurückgezogen hatte. Nur, dass ich momentan versuchte, um alles einen Bogen zu machen, das mich ruiniert hatte. Alles für Gale, der mir noch lange vor den Hurricanes geholfen hatte zu vertuschen, dass ich damals das Auto des Rektors geknackt und in den nächsten Baum gesetzt hatte, was mir viel zu viel in meinem damals jungen Leben verbaut hätte, als ich es mir hätte leisten können. Ich war es ihm wohl schuldig, heute mit grimmigem Blick und hautengem Achselshirt nur neben ihm zu sitzen und so einschüchternd wie möglich zu wirken, während er seinen Geschäften nachging. Wer so eine Bohnenstange war, brauchte wohl einen Muskelprotz neben sich zur Kompensation. Der Alkohol hatte mir einiges an Masse genommen, aber es würde schon noch reichen.

Eating HooksWo Geschichten leben. Entdecke jetzt