Nächtliche Unruhe

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Es gewitterte. Evergray stand zitternd auf unsicherem Sandboden. Es fühlte sich für ihn an, als wäre er auf einem viel zu schnellem Karussell. Der eisige Wind schleuderte ihm unzählige Sandkörner in die Augen. Er schaffte es nur mit Mühe sie offen zu halten. Um ihn herum erstreckte sich eine unglaubliche Finsternis. Wo war er hier? Er konnte sich kaum auf seinen vom Regen nassen Beinen halten. Er versuchte seine Kräfte zu benutzen, aber nichts geschah. Jeder Versuch eine Art von Magie anzuwenden war sinnlos, es verschlimmerte seine Situation höchstens. Evergray fühlte sich verloren und hilflos. Ein weiterer Windstoß zwang ihn auf seine Knie. Auf einmal bohrte sich wie aus dem nichts ein Druidenstein vor ihm aus dem Boden. Es war sein Druidenstein. Die lilanen Symbole auf diesem begannen, unter dem immernoch starken Gewitter, heftig zu strahlen. Evergray konnte einige Druidenschriftzeichen erkennen, sowie einen Halbmond und ein nach unten deutendes Dreieck. Doch das, was am meisten herausstach, war der Wolfkopf in der Mitte des Steins. Im Gegensatz zu den restlichen Symbolen leuchtete dieser in einem blutrot. Evergray merkte nicht, wie der Sand unter ihm ihn langsam einnahm. Er war zu fasziniert von seinem Druidenstein. Plötzlich löste sich das Wolfkopfsymbol von dem Stein und schoss in Höchstgeschwindigkeit auf den Jungen zu. Er konnte sich nicht bewegen. Er konnte nur noch schreien.

Evergray schreckte mit einem Schrei hoch. Schon wieder ein Albtraum. Er versuchte seinen heftigen Atem zu kontrollieren und seine Gedanken zu sortieren. Sein Schrei hatte wohl auch den neben ihm liegenden Nick aufgeweckt. Er sah Evergray besorgt an, und versuchte ihn zu beruhigen: „Hey, ganz ruhig... Ich bin bei dir, es passiert dir nichts. Mach dir keine Sorgen." Mit diesen Worten legte Nick seine große Hand auf Evergrays Brust, und erschrak vor dessen Herzrasen: „Ach du meine Güte! Dein Herz schlägt ja unnormal schnell. Was soll ich jetzt machen? Alles wird gut, bleib ganz ruhig, Evergray! Man, wäre wenigstens Avalon hier.... er würde bestimmt wissen, was zu tun ist. Wenn man ihn einmal braucht ist er natürlich nicht da."
Avalon hatte darauf bestanden bei Elizabeth zu bleiben, weil diese nach dem Tee trinken wohl immernoch nicht ganz fit gewesen war. Da zu viel Besuch sie aber, laut Avalon, zu sehr gestresst hätte, und Evergray und Nick trotzdem nicht die Nacht alleine verbringen wollten, hatten sie sich entschlossen auf einem ihrer Lieblingsgipfel in der Nähe von Firgrove zu campen.
Evergray lächelte leicht: „Alles Gut, ich bin diese Albträume schon gewohnt. Deine Anwesenheit beruhigt mich mehr als jedes von Avalons Heilmitteln." Und tatsächlich– Evergrays Herzschlag hatte sich schon um einiges verlangsamt. Nick lächelte zurück und beendete das Thema nach einigen stillen Sekunden mit dem Wort: „Danke." Dann stand er auf um ein Lagerfeuer zu machen, schlafen konnten die beiden sowieso nicht.

Ein paar Minuten später saßen die zwei, in einer große Decke eingekuschelt, nebeneinander am Lagerfeuer und sahen in den beeindruckenden Sternenhimmel, der sich über ihnen erstreckte. Einige Minuten saßen sie einfach nur da. Es war eine angenehme Stille. Irgendwann entschied sich Evergray aber doch ein Gespräch anzufangen: „Nick... Warum kümmert es dich eigentlich, wie es mir geht?" fragt er den braunhaarigen. Nick lenkte seinen Blick langsam vom Himmel weg, und schaute seinen Freund an.
„Ist doch klar warum. Du bist mein Freund. Natürlich kümmert es mich, wie es dir geht." antwortete dieser, verwundert über diese plötzliche Frage. Evergray wich seinem Blick aus und starrte weiter in den Himmel:„Was würdest du sagen, wenn ich etwas ganz verrücktes vor hätte? Und etwas sehr gefährliches noch dazu?" Nick überlegte nicht lange: „Cool, kann ich mitkommen?".  Evergray musste lächeln: „Ich glaube, du bist der einzige, den ich kenne, der sowas sagen würde." Das liebte er so an Nick. Dass er ihn unterstützte, egal wie verrückt seine Ideen waren, und nicht, wie die anderen, versuchte ihn von irgendwas abzuhalten. Nick war einfach anders als die anderen, und der einzige, dem Evergray wirklich vertraute. Evergray viel das Thema, worüber er schon so häufig mit Avalon reden wollte, wieder ein. Er war sich nicht sicher, ob Nick Ahnung davon hatte, aber er musste es endlich mal loswerden: „Weißt du eigentlich irgendwas über Visionen? Und Wölfe?" Der Angesprochene schüttelte verwirrt den Kopf: „Nicht viel, wieso fragst du?" Evergrays Blick sank: „Ach, nicht so wichtig...". „Momentmal, das fragst du doch nicht alles einfach so, oder? Was ist los Evergray? Was hast du vor?" fragte Nick und schaute seinen schwarzhaarigen Kumpel eindringlich an. Evergray schaute Nick jetzt zum ersten Mal in die Augen: „Du hast recht. Ich frage nicht ohne Grund. Ich habe das Gefühl, dass ich Visionen habe. In meinen Träumen. Und eben habe ich von unserem Trainigsplatz und den Druidensteinen geträumt. Ich habe irgendwie das Bedürfnis dort nach dem Rechten zu sehen. Und zwar jetzt." gab Evergray offen zu.
Nick war sprachlos.
„Eigentlich habe ich gehofft, dass du mitkommen würdest. Aber ich möchte dich auf keinen Fall in Gefahr bringen..." führte Evergray fort, doch der braunäugige unterbrach ihn: „Natürlich komme ich mit, was denkst du eigentlich, was ich für ein Freund bin? Ich lasse dich da doch nicht alleine hin!" Evergray musste zugeben, dass er sehr erleichtert über diese Worte war. In Nicks Nähe fühlte er sich einfach sicherer. „Na dann, lass uns losgehen, bevor es zu spät ist!"

Der Weg nach Valedale war noch mühseliger als gedacht. Es war stockfinster, die beiden hatten keine Taschenlampe, und sie wollten ihre Kräfte nicht unnötig verbrauchen, um Licht zu schaffen. Zunächst mussten die zwei Freunde ihren Lieblingsgipfel runterkraxeln. Es gab keinen richtigen Weg, und die Felsen boten keinen konstanten Halt. Das einzige, was ihnen Sicherheit gab, war die Nähe des jeweils anderen. Was ihnen, wenn sie den Berg runtergefallen wären, aber auch nichts mehr gebracht hätte. Aber die beiden sahen das nicht so eng. Sie mochten das Risiko eben. Jegliche Sorgen wären auch unberechtigt gewesen, denn sie kamen beide sicher nach unten. Einige Male hörten sie auf ihrem Weg einen Wolf heulen.
Der Weg von Firgrove nach Valedale dauerte jetzt nicht mehr lange. Der Berg war die größte Herausforderung gewesen. Auf halben Weg kamen sie an einem wunderschönen See vorbei, welcher in der Dunkelheit, vom Halbmond angeleuchtet, aber eher gruselig aussah. Der Valedale See gehörte auch zu den Lieblingsorten der zwei Freunde. Sie konnten aber nicht lange dort verweilen. Sie wollten um jeden Preis vermeiden, zu spät am Trainingsplatz zu sein.

Es dauerte nicht mehr lange, und sie standen vor dem ersten Portal, welches zum geheimen Steinkreis führte. Die beiden liebten den Nervenkitzel. Was wäre, wenn Fripp sie im geheimen Steinkreis erwarten würde? Was, wenn das Portal zum Trainingsplatz weg ist? Evergray schloss die Augen. Sein Herz klopfte schon wieder wie verrückt. Mit einem mutigen Schritt ging er nach Nick durch das Portal. Es war ein Wunder, dass sein Magen das noch mitmachen konnte.
Langsam öffnete er die Augen, und schaute sich um. Der Steinkreis sah im dunklen nochmal beeindruckender aus. Glücklicherweise war Fripp nirgends zu sehen. Aber Nick...wo war Nick? Evergray rief nach ihm, aber keine Antwort. Er war alleine. Vielleicht ist er schon vor gegangen, dachte Evergray. Er konnte es sich eigentlich kaum vorstellen, aber es war die einzige logische Erklärung. Evergray überlegte nicht mehr lange darüber nach und ging durch das, noch offene, blaue Portal zum Trainingsplatz. Nun hatte er wirklich Angst. Und das hieß was bei Evergray. Alles drehte sich und sein Magen tobte wie verrückt. Es war ein schlimmes Gefühl. Dem Jungen war noch nie so schlecht gewesen. Als er versuchte, nachdem ihn das Portal ausgespuckt hatte, langsam seine Augen zu öffnen, hatte er keinen Erfolg damit. Ihm wurde schwarz vor Augen, und außer einem grellen Licht bekam er nicht viel von seiner neuen Umgebung mit. Seine Beine bebten und er verlor langsam den Halt. Unter heftigem zittern sakte sein Körper schließlich zusammen... War das sein Ende?

Evergrays Schicksal [SSO inspired] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt