Kapitel 3

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Es dauert in paar Sekunden bis mein Gehirn die Erinnerung an das Gesicht verarbeitet. Jetzt weiß ich wieder woher ich das Gesicht des Jungen kenne. Und zwar aus der Schule. Er war der Typ vor den Chemieräumen gewesen. Doch wie heißt der denn nochmal? Typisch, kannst dich weder an das Gesicht noch an den Namen eines süßen Kerls erinnern. Man gut das es mich gibt, die dich dabei unterstützt. Innerlich verdrehe ich die Augen. Müsste meine innere Stimme mich nicht eigentlich ermutigen und anstatt mich zu kritisieren? "Hi, ich bin Olivia. Deine Mum und ich kennen uns noch von früher. Das ist mein Sohn Caleb. Ihr könntet euch schonmal begegnet sein, ihr geht glaube ich auf dieselbe Schule.", begrüßt mich die Frau. Sie hat einen starken britischen Akzent und eine sehr sanfte Stimme. Caleb hat seine Gesichtszüge und die ausgeprägten Wangenknochen eindeutig von ihr geerbt, jedoch hat seine Mutter keine Sommersprossen und ein weniger rundliches Gesicht. "Hi, freut mich sie kennenzulernen", antworte ich höflich und reiche ihr die Hand. "Oh sag doch bitte du zu mir.", bittet mich Olivia. Caleb mustert mich aufmerksam von der Seite, was mir ein wenig Unbehagen bereitet. "Caleb, auf welche Schule gehst du denn?", fragt meine Mutter. "Auf das Gymnasium im Nachbarort.", antwortet er und mir fällt jetzt erst sein ebenfalls leicht britischer Akzent auf. "Oh, dann wundert es mich ja dass ihr euch noch nicht begegnet seid. Ich schätze mal ihr seid in einer Parallelklasse.", meint meine Mum. "Naja, wir sind ja auch erst seit den Sommerferien wieder hier in Deutschland", erklärt Olivia. "Wo habt ihr denn vorher gewohnt? Ich habe so lange nichts mehr von euch gehört.", erkundigt sich meine Mum. "Wir haben in London gewohnt, damit die Kids zweisprachig aufwachsen so wie ich damals." Kids? Das heißt Caleb hat scheinbar Geschwister. Aber woher kennen sich jetzt meine Mum und Olivia? "Woher kennt ihr euch eigentlich?", hake ich nach, auch wenn ich mir dabei ein wenig blöd vorkomme. "Ach noch von ganz früher. Olivia zog damals mit ihrer Familie nach Deutschland und wir lernten uns auf dem Gymnasium kennen. Aber wie das leider oftmals so ist, haben wir uns aus den Augen verloren und als Olivia vor etwa 4 Wochen anrief und meinte, sie seien wieder in Deutschland, da habe ich mich gefreut und habe sie eingeladen doch mal vorbeizuschauen. " Ich nicke nur. Klingt logisch. "Als ich gehört habe dass du nun Reitlehrerin geworden bist und einen eigenen Reitstall besitzt, da musste ich einfach mal vorbeischauen. Um der alten Zeiten Willen." Olivia und meine Mum lächelen sich an und scheinen in Erinnerungen zu schwelgen. "Tja, was wir alles mit unseren Ponys damals gemacht haben. Wir haben auch für ganz schön viel Wirbel gesorgt.", meint Olivia lachend. Also kennen sich die Beiden vom Reiten in ihrer Jugend. Interessant. Ob Caleb auch reitet? Haha, sehr witzig dumme Stimme. "Naja, ich muss dann auch wieder los. Ich wollte noch ein bisschen was mit Citti machen, die langweilt sich sonst noch. Hat mich gefreut euch kennenzulernen.", entschuldige ich mich und verschwinde aus der Reithalle, bevor meine Mum und Olivia noch weiter in Erinnerungen schwelgen. "Hat mich auch gefreut.", meint Olivia.

Ich verschwinde in der Sattelkammer und suche nach einer Haarbürste. Dann löse ich das Zopfgummi aus meinen Haaren, kämme die vielen Knötchen heraus und mache mir einen neuen hohen Pferdeschwanz. Dann schnappe ich mir Cittis Putzzeug und eine Longe und bringe beides zum Putzplatz. Nachdem ich kurz darauf Citti fertig geputzt habe hake ich die Longe in ihr Halfter und gehe mit ihr zum Reitplatz. Die Reithalle wäre angenehmer gewesen, aber die ist ja leider besetzt. Immerhin ist der Platz nicht komplett überflutet sondern relativ trocken. Ich lege noch ein paar Stangen hin und baue ein kleines Kreuz an der einen langen Seite auf. Wow, anstatt dein Handgelenk zu schonen zerstörst du es noch weiter? Wie intelligent. Jaja, ich bin da nicht so empfindlich wie du, du dumme Stimme. Obwohl Citti eigentlich nie wirklich motiviert bei Bodenarbeit ist, scheint sie heute echt gut Laune zu haben. Ich lasse sie über die Stangen traben und dann auch galoppieren. Gerade als ich schon richtig zufrieden mit Citti bin erschreckt sie sich wegen einem Schwarm Vögel, der aus der Krone eines Baums am Rand des Reitplatz auffliegt, und rast wie von der Tarantel gestochen los. Dabei reißt sie mir die Longe durch die Hand, was fürchterlich brennt. "Argh!... Shit...", fluche ich und lasse die Longe los. Warum trägst du Dusel auch keine Handschuhe! Sei bloß still du nervenaufreibende Stimme! Meine Augen fangen an zu brennen und ich blinzele ein paar Mal um die Tränen zu verscheuchen. Citti steht am anderen Ende des Reitplatzes und schaut neugierig zu mir herüber. Ich laufe also einmal quer über den Platz, wickele die im nassen Sand liegende Longe wieder auf und sammele mein Pony wieder ein. "Sch... Alles gut. Das waren doch nur ein paar Vögel.", rede ich beschwichtigend auf Citti ein, die immernoch ein bisschen angespannt ist. "Wir machen besser Schluss für heute." Als ich mit meinem Pony am Tor des Reitplatzes ankomme schaue ich vom Boden auf und wen entdecke ich? Natürlich Caleb. Warum muss der auch immer dann erscheinen wenn mir etwas dummes passiert? Und das auch noch zweimal am gleichen Tag! "Heute ist nicht so dein Tag, hm?", fragt Caleb schmunzelnd. "Tja, scheint so.", antworte ich und könnte mir innerlich selbst eine Scheuern. Seit wann habe ich so wenig Selbstbewusstsein? "Soll ich dir vielleicht helfen? Unsere Mütter unterhalten sich noch über die 'guten alten Zeiten'.", bietet er an. "Das wäre sehr nett von dir, danke... Aber kennst du dich überhaupt mit Pferden aus?" "Ja, da meine ganze Familie sehr tierlieb ist, lies es sich sozusagen nicht vermeiden. Als wir noch in England gelebt haben hatte ich Art eine Reitbeteiligung. ", erzählt er. "Cool, hätte ich ehrlich gesagt nicht von dir erwartet.", gestehe ich. "Was? Das ich reite?" "Ja. Also ich hätte eher gesagt dass du so ein Skater oder Biker oder so bist...", gebe ich ein wenig kleinlaut zu. Eigentlich konnte ich Menschen immer gut einschätzen... "Wie kommt es eigentlich dass du so gut Deutsch sprechen kannst?", wechsele ich das Thema. "Meine Eltern haben viel Deutsch mit mir gesprochen. Die ersten zwei Jahre meines Lebens habe ich zum Teil in Deutschland gelebt. Wegen dem Job meines Vaters und seiner Firma.", erklärt er mir. Ich nicke nur, weil ich nicht weiß wie ich darauf reagieren soll. "Wollen wir Citti dann mal wieder reinbringen?", schlage ich deshalb vor. "Gerne.", sagt er und lächelt. Ein sehr süßes Lächeln, nicht wahr? Och man ey, musst du mich immer nerven? Ich lächele zurück, insgeheim überrascht vom Verlauf dieses Tages. In der Schule sind Mini und ich eher so etwas wie Außenseiter, wobei wir das selber so gewählt haben. Wir haben direkt zu Beginn unserer Freundschaft beschlossen nicht Teil einer großen Clique mit vielen "Fake-Friends" zu sein, sondern selbstbewusst unser eigenes Ding zu schieben. Und das hat tatsächlich funktioniert. Nach ein paar stressigen Zeiten mit pubertierenden Zicken in der wir uns Selbstbewusstsein antrainiert haben, werden wir nun akzeptiert. Oder auch ignoriert. Nur solche Nervensägen wie dich muss man ignorieren!  Da wir noch immer am selben Ort stehen und schweigen räuspere ich mich und setze mich in Bewegung.

Im Stall beweist Caleb sein Geschick im Umgang mit Pferden und ich bin echt beeindruckt. Nur 10 Minuten später steht Citti wieder in ihrer Box und wir verstauen die Sachen wieder im Spind. Jetzt erst bemerke ich wieder das starke Pochen in meiner rechten Hand und eine warme Flüssigkeit, die sich in meiner Handinnenfläche ausbreitet. Ich drehe meine Hand um und verziehe das Gesicht. Mein Handgelenk ist angeschwollen und blau angelaufen, und meine Handinnenfläche ist von der Longe aufgeschürft und blutet leicht. "Ouuuh, das sieht echt nicht gut aus. Das solltest du dringend auswaschen, damit sich das nicht entzündet.", rät Caleb mir. "Habt ihr hier im Stall Verbandsmaterial?" "Ja, es gibt einen Verbandskasten in der Reithalle und einen im kleinen Gäste-WC.", antworte ich nach kurzem überlegen. Im WC spüle ich mir zuerst die Wunde mit kaltem Wasser aus. Durch die sandige Longe ist Dreck in die Wunde gekommen, was jetzt beim ausspülen ziemlich weh tut. Aber ich beiße die Zähne zusammen und blinzele die aufsteigenden Tränen weg. Schließlich gibt es viel schlimmere Schmerzen als diese hier. "Geht es?", fragt Caleb und schaut mich ein wenig besorgt an. "Ja, klar. Alles bestens.", versichere ich. Caleb öffnet den Verbandskasten und holt eine Salbe aus dem kleinen Spiegelschränkchen. "Das wird jetzt ein wenig brennen wenn du die Salbe aufträgst, aber die ist gut zur Heilung.", warnt er mich vor. Ich nicke und atme einmal tief durch, bevor ich ihm die Salbe abnehme und sie aufschraube. Als Caleb sieht wie ich zögere nimmt er mir die Salbe aus der Hand zieht mich sanft zu dem kleinen Hocker am Fenster. "Setz dich. Ich mache das." Ich setze mich auf den Hocker und streiche mir nervös eine lose Haarsträhne hinters Ohr, die sich aus meinem Zopf gelöst hat. Caleb öffnet die Tube und nimmt vorsichtig meine rechte Hand in seine. Ein Kribbeln geht durch meinen gesamten Körper und ich bekomme Gänsehaut. Beides versuche ich auszublenden, da mich dieses Gefühl verunsichert. Tja, bei dieser Sanftheit muss man ja praktisch Gefühle für diesen süßen Kerl entwickeln. Ja klar, sicher doch. Ich zucke leicht zusammen als Caleb die Salbe sorgfältig auf der Wunde verteilt. Es brennt tatsächlich ganz schön dolle, aber ich reiße mich zusammen. "Sorry.", entschuldigt er sich. Sein britischer Akzent hat interessanterweise ein beruhigende Wirkung auf mich. "Schon gut, war schließlich eigene Dummheit." "Das hat eher was mit Tollpatschigkeit als mit Intelligenz zu tun. Außerdem hat jeder mal so einen Tag." Soweit man drei dumme Aktionen an einem Tag noch als Tollpatschigkeit bezeichnen kann. Kannst du mich nicht einmal in Ruhe lassen, nerviges Piepsi in meinem Gehirn. Wahrheit ist manchmal schmerzhaft, meine Liebe. Meine Güte, dann nenn es wie du willst. Diese Stimme treibt mich irgendwann noch in den Wahnsinn. Während ich eine Unterhaltung mit meiner inneren Nervensäge führe, holt Caleb eine Kompresse und eine Mullbinde aus dem kleinen erste-Hilfe-Kästchen. Behutsam platziert er die Kompresse auf der Wunde in meiner Handinnenfläche und fängt an, die Mullbinde um meine Hand und mein Handgelenk zu wickeln. Wieder läuft mir ein warmer Schauer über den Rücken und die Berührung seiner Hand an meiner sorgt für ein Gefühl von winzig kleinen Stromschlägen. Wow, ich sollte dringend mal mit meinen Gefühlen klar kommen. Ja, das solltest du wohl. "Okay, fertig.", sagt Caleb nachdem er einen Klebestreifen befestigt, damit der Verband sich nicht wieder öffnet. "Danke.", ist alles was ich raus bekomme. "Kein Problem... Ich sollte dann wohl mal nach meiner Mum suchen, nicht dass sie sich noch fragt wo ich bleibe." "Ja... Sie ist bestimmt noch bei meiner Mum in der Reithalle." Ich packe die Salbe und den Verbandskasten zurück in das kleine Spiegelschränkchen.

Auf dem Weg zur Reithalle unterhalten wir uns noch ein wenig. "Wie kommt es eigentlich, dass du dich so gut mit Medizin auskennst? Ich meine der Verband sieht aus wie von nem Profi.", frage ich neugierig. "Meine Mum war Notfallärztin in einem Krankenhaus in London und auch hier in Deutschland. Sie hat mir einiges beigebracht.", erklärt Caleb. "Interessant. Und wie man sieht ist es praktisch so etwas zu können.", gebe ich schmunzelnd zu. "Ja, das stimmt. Aber es ist schöner wenn es gar nicht erst gebraucht wird, oder?" "Da hast du wohl recht." Einen Moment lang lächeln wir beide einfach nur schweigend vor uns hin. "Was ist eigentlich mit deinem Vater, also was ist er von Beruf?", fragt Caleb mich plötzlich und es fühlt sich an wie Nadelstiche in meinem Herzen.


Und weiteres Kapitel ist fertig. Jetzt sind gerade Pfingstferien, von daher habe ich ganz viel Zeit fürs schreiben. Ich hoffe euch gefällt das Kapitel. Bis dann.

🌌~ galaxygirl ~🌌

Auf der Flucht vor der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt