John griff nach dem Türgriff und öffnete die Tür. Vor ihm stand ein Mann, den er bis jetzt noch nie gesehen hatte.
„Hallo. Kann ich Ihnen weiterhelfen?“, fragte John.
„Äh, nein. Also ich bin heute nebenan eingezogen und wollte mich nur kurz vorstellen.“ John und sein neuer Nachbar schauen sich einen Moment lang stumm an.
„Ähm, Todd Anderson.“ Zögerlich hält Todd John die Hand hin.
„John Cleaveland. Freut mich“, antwortete John und griff nach Todds Hand.Todds Hand war größer als Johns und fühlte sich weich an im Gegensatz zu Johns Händen die durch seine Arbeit als Mechaniker immer ziemlich rau und trocken waren. Todd war außerdem auch etwas größer als John, der ungefähr 1,80m groß war. Der Handschlag war kurz und von einer peinlichen Stille begleitet.
„Ich, äh, also, gehe mich noch den anderen Nachbarn vorstellen“, stotterte Todd vor sich hin. Seine Augen zuckten immer wieder von Johns Gesicht zu seinem Oberkörper.
„Okay, dann viel Erfolg. Die Meisten sind zurzeit noch arbeiten“, antwortete John.
„Ich werde es trotzdem Mal versuchen.“ Erneut trat eine unangenehme Stille ein, die noch nicht mal von einem Luftzug unterbrochen wurde.
„Man sieht sich, murmelte Todd und wandte sich der Treppe zu.
„Jo, tschüss“, murmelte John zurück. Todd sprang die Stufen runter, als würde er vor etwas weglaufen. Die Röte in Todds Gesicht war John nicht entgangen. Genauso wie die Röte in seinem eigenen Gesicht.Verwirrt schloss John die Tür. Nicht nur die Tatsache, dass er anscheinend doch mehr Gefühle hatte als er dachte, verwirrte ihn, auch Todds Farbe. Denn er konnte keine Farbe erkennen. Alles war nur ein einziges Gewirr aus allen Farben, die John je gesehen hatte, gewesen. Rot und schwarz waren genauso vorhanden wie grün und gelb. Auch blau hatte kurz aufgeblitzt. Todd war nett, aufgeschlossen und natürlich, was für grün oder gelb sprach. Doch er war John gegenüber nicht misstrauisch gewesen, was wiederum für rot sprach. Diese verwirrende Tatsache war aber noch nicht genug. Johns Wangen fühlten sich ganz heiß an. Und das stand meist für Gefühle glücklicher Art. Und auch sein Bauch spielte verrückt. Nur einmal in seinem Leben hatte er so etwas gespürt, aber das war schon fast 20 Jahre her. Stumm stand John vor seiner geschlossenen Tür. Hilflos seinen Gefühlen ausgesetzt. Langsam schlich John ins Wohnzimmer. Wieder auf dem Sofa schaltete er den Fernseher ein. Ruhelos wechselte er die Programme. Seine Gedanken waren immer noch bei Todd. Nach einer Weile des hin und her Schaltens schmiss John die Fernbedienung achtlos auf das Sofa. Es lief irgendein Fantasyfilm, doch der interessierte John nicht. Seine Gedanken waren bei Todd. John hatte vorher nur dieses eine Mal auf der Realschule Gefühle für jemanden entwickelt. Was ihn fast genauso sehr erstaunt ist die Tatsache, dass es ein Mann ist, für den er diese Gefühle verspürt. Auf der Realschule war es ein Mädchen. Aber am meisten verwirrt ihn Todds Farbe, die nicht erkennbar war. Dieser flimmernde Schein um ihn herum, der keine klare Farben beinhaltete. Entweder schwache, Matte Farben oder mehrere auf einmal. Teilweise sogar halb vermischt.
John versuchte immer wieder seine Aufmerksamkeit auf den Film zu lenken, doch es misslang ihm. Immer und immer wieder schwirrten seine Gedanken um Todd.
„Das ist doch nicht mehr normal“, murmelte John vor sich hin. War es möglich, dass er tatsächlich noch so starke romantische Gefühle fühlen konnte? Genervt von sich selbst ging er in die Küche und kochte Kaffee. Er wusste nicht warum er Kaffee trank, da er sich jedes Mal ekelte, wenn der feine Kaffeefilm auf der Zunge zurückblieb. Trotzdem trank er jeden Morgen diese braunschwarze Flüssigkeit, die ihm durch das Koffein wenigstens beim Wach werden half, obwohl er das oftmals gar nicht brauchte. Es half ihm aber auch auf der Arbeit in der Werkstatt einen normalen Anschein zu bewahren, wenn er in den kleinen Pause mit seinen Kollegen zusammenstand und sich mit ihnen unterhielt. Es war immer riskant für John sich mit Leuten zu unterhalten, vor allem kurz nach einem neuen Mord. Kurz dachte John an Stanley, den er reglos und mit unnatürlich wirkender Haltung auf dem Waldweg liegen gelassen hatte. Dann kurz bei seiner Farbe und sofort wieder bei Todd, dessen Farbe nicht zu deuten war, da sein Verhalten sehr viele Aspekte gezeigt hatte. Aber auch Johns Verhalten war nicht typisch für blau. John fühlte sich immer mit dieser Farbe allein, doch es gab eine Zeit, in der das nicht so war, denn er hatte Madison. Madison zeigte eigentlich nie irgendwelche Gefühle, außer sie spielte mit John.Konnte es sein, dass Todd blau war? Aber irgendwie passte das nicht zu ihm. John schlich wieder ins Wohnzimmer und starrte auf den Fernseher. Der Film wurde unterbrochen und Nachrichten liefen. Zu sehen waren Live-Bilder von einem Tatort zu sehen. Draußen auf dem Flur hörte er die Tür von Todds Wohnung zu schlagen. Total perplex über die Situation ließ John sich auf das Sofa fallen.
"Das nennt man dann wohl einen neuen Rekord", brabbelte er leise.
Als die Tür von nebenan ein zweites Mal hektisch zugeschlagen wurde, schreckte John leicht zusammen. Fragen wie,
'wieso haben sie Stanley schon gefunden?' oder
'habe ich schon wieder einen Fehler gemacht? Werde ich nachlässig?' gingen ihm durch den Kopf. Aber die schlimmste Frage war,
'kannte Todd Stanley?'.Diese Frage zerriss John innerlich und zwar nicht nur in zwei Teile. Für eine kurze Zeit konnte John sich auf die Moderatorin im Fernsehen konzentrieren, bevor der Informationssturm zu viel wurde. Bis auf wie das Opfer hieß, das es durch mehrere Messerstiche gestorben war und mehrere Knochenbrüche hatte war sowieso noch nichts bekannt. Zumindest für die Öffentlichkeit. Im Hintergrund sah man einige Leute von der Spurensicherung rumlaufen und auch einige Polizisten. Nachdem jedoch John sich die gleichen Informationen schon zum fünften Mal anhörte, schaltete er genervt den Fernseher aus. Er legte sich einfach nur aufs Sofa und starrte an die Decke. Sein Tag war alles andere als geplant verlaufen. Am Anfang schon und dann ging alles den Bach runter. Erst machte ihn dieses Treppenhaus noch nervöser als sonst und brachte ihm fast einen Nervenzusammenbruch, dann stellte sich sein Nachbar ihm vor und löste eine Gefühlsexplosion aus und dann hatte die Polizei auch schon Stanley entdeckt.
Er legte sich flach auf sein Sofa in seiner mittlerweile stillen Wohnung. Nur das Radio drang leise zu ihm ins Wohnzimmer. Er ließ sich von der Stille seiner Wohnung einhüllen. Nichts stand zwischen ihm und seinen Gedanken. Er ließ ihnen freien Lauf, egal wie verwirrend sie auch waren. Sie wechselten zwischen Todd, Stanley, zurück zu Todd und zu anderen Sachen, die nichts mit den Geschehnissen der letzten Stunden zu tun hatten. Er lag einfach nur da und ließ es über sich ergehen. Seine Gedanken waren verwirrender als seine jetzige Situation. Doch das machte ihm nichts aus. Ein wenig genoss er es sogar.
Seine Gedanken waren frei, holten sich die Freiheit, die er selbst nie erlebt hatte und nach der er sich so sehnte. Aber er hatte sich selbst diese Ketten der Unfreiheit angelegt, in dem Moment als er den ersten Stich gewagt hatte. Und dann den Zweiten, den Dritten und immer so weiter. Wie in einer Trance starrte John an die Decke, fokussiert auf seine Gedanken.
Draußen zog die Sonne ihren Halbkreis am Himmel und war schon kurz davor ihn zu beenden, als John durch eine zufallende Tür von nebenan aus dieser Trance gerissen wurde. Leicht verwirrt setzte er sich auf und schaute auf die Uhr. Es waren fast vier Stunden vergangen. Vier Stunden, in denen er nur da lag und sich mit seinen Gedanken auseinandergesetzt hatte. Es waren keine verschwendeten Stunden. Er wusste nun, dass er sich auf jeden Fall nochmal mit Todd treffen wollte und, dass er sich um die Sache mit Stanley nicht zu sehr Sorgen sollte, denn das würde ihn einfach nur innerlich auffressen. Noch einmal schaute John auf die Uhr. 18:30. Er atmete tief und ruhig ein und aus, bevor er aufstand und zur Tür ging.
Doch er stoppte. Schnell rannte er in sein Schlafzimmer und zog sich ein T-Shirt an, blau natürlich. Kurz schaute er noch in den Wandspiegel, der eigentlich mit einer Decke abgedeckt war. Allerdings war die Decke runtergefallen. Er sah die Narbe über seinem Auge, die kurzen braunen Haare und die himmelblauen Augen, die nichts als Unschuld ausstrahlten. Sein Spiegelbild ekelte ihn und doch hielt es ihn jedes Mal kurz in seiner Gewalt. John legte die Decke wieder über den Spiegel. Er wusste nicht warum er den Spiegel nicht schon längst entsorgt hatte. Er wusste nicht warum er sich so sehr an den Spiegel klammerte, obwohl er ihn nicht brauchte und sein Spiegelbild verabscheute. Er wusste es einfach nicht. Madison hatte Spiegel geliebt. Sie hatte immer gesagt, dass Spiegel uns die Realität in einer anderen Perspektive zeigen, ob sie jetzt die bessere Realität ist, müssten wir selbst herausfinden. Wenn John zurück dachte an die Zeit als Madison noch bei ihm war, konnte er oft nicht glauben, dass sie erst 12 gewesen war. Eilig verließ er das Zimmer und trat zur Tür hinaus. Sofort stand er vor Todds Tür und erneut kam Panik in ihm auf. Zum ersten Mal aber geling es ihm die Panik zum Großteil zu unterdrücken. Er hob seine Hand zum Anklopfen, atmete noch einmal durch und klopfte. Von drinnen hörte er leise Schritte die näher kamen und Todd öffnete ihm die Tür.
"Hey", murmelte John leise.
"Hi", antwortete Todd und lächelte.
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Colour of the Soul
Mystery / ThrillerJohn, 31 Jahre alt, sieht Farben. Nicht nur von seiner Umgebung, sondern von Menschen. Farben, die wie eine Aura einen Menschen umgeben und ihre stärkste Charaktereigenschaft anzeigen. Gute wie schlechte Eigenschaften. Doch was bewirkt dies bei ih...