Prolog

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Die Sonne ging langsam über dem Deception State Pass Park unter. Tauchte die Bäume ein letztes Mal für diesen Tag in warmes Sonnenlicht, bevor sie hinter den bewaldeten, unbewohnten Inseln des Parks verschwand. In der Ferne, hinter den immer weißen Berggipfeln. Schon längst war es im Wald selbst dunkel. Hatten die Bäume und ihr Blätterdach die Sonnenstrahlen absorbiert. Durch die warme Luft und die Kühle am näher rückenden Abend hatten sich leichte Schleier gebildet. Wie eine Decke aus weißen, leicht transparenten Stoff. Wie eine schützende Decke. Der Waldboden knackste unter den Sohlen meiner Sandalen. Überall über diesem grünen Teppich aus Fahnen, Moosen und Flechten leuchteten die weißen kleinen Blüten, die ich sammelte. Ich hatte schon längst alles um mich herum vergessen. Ich folgte einfach meinen Füßen, wohin sie mich auch trugen. Ich bestimmte nicht ihren Weg. Ich ließ mich treiben. Pflückte hier und da. Blieb stehen und hörte dem Wald zu. Den Tieren des Tages, die sich mit ihrem Gesang vom Licht verabschiedeten, bis sie sich morgen wiedersahen. Ich fühlte keine Angst so alleine. Ich war nicht alleine. Alles um mich herum blühte, sang und lebte. Ich fühlte mich sicher. Geborgen. Geschützt durch das Blätterdach, geschützt von Mutter Natur. Nichts auf der Welt konnte mir Angst machen. Ich war glücklich. Ich spürte das Gefühl tief in mir, aber beschreiben hätte ich es nicht gekonnt. Nicht zu diesem Zeitpunkt. Es wurde immer dunkler und kälter, während mich meine Füße einfach davon trugen. Weg vom Campingplatz, weg von meinen Eltern. Ich würde ja schließlich auch wieder zurückkehren, aber gerade wollte ich es einfach nicht. Ich summte so vor mich her. Nicht aus Angst, sondern über mein Gefühl, das ich empfand und nicht anders Ausdruck verleihen konnte. Ich bemerkte nicht einmal den kleinen Jungen der plötzlich, nackt wie Gott in geschaffen hatte, vor mir stand. Erst als ich fast gegen ihn gelaufen wäre, schreckte ich dann doch hoch. Mir entfuhr ein kurzer Aufschrei. Unsere Augen trafen sich. Er stand einfach nur da und sah mich an. Ich stand da. Bewegungslos und sah ihn an. Und dann... . Wir lächelten beide gleichzeitig. Er kicherte und ich tat es ihm gleich. Er hielt mir seine Hand hin. Seine goldfarben Augen sahen mich vertrauensvoll und auffordernd an. Es gab kein Zögern, keine Angst darüber das er so plötzlich vor mir gestanden hatte und das auch noch ohne Kleidung am Körper. Ich nahm seine Hand. Er drückte sie und lächelte mich an. Ich erwiderte es. Das Gefühl seiner Hand in der meinen war schön. Ich kannte ihn nicht und dennoch wusste ich einfach, dass ich bei ihm genauso sicher war wie in diesem Wald. Vielleicht sogar noch sicherer. Plötzlich wurde der Augenblick gestört. Ich sah, wie der Junge aufschaute. Er sah nicht mehr mich an. Er ließ den Kopf herumfahren. Dann hörte ich es. Ich hörte meinen Namen. Immer wieder rief jemand nach mir. Erst eine helle, melodisch klingende Stimme, dann eine raue, kräftige. Es waren meine Eltern. Ich drehte mich zu dem Jungen vor mir. Noch immer hielt ich seine Hand in der meinen. >>Ich kann nicht. Meine Mama und mein Papa suchen nach mir.<<Als ich das schon fast enttäuscht und entschuldigend sagte, sah ich wie sich das Gesicht des Jungen veränderte. Sein Blick wirkte schon fast gequält. Ich ertrug es nicht. Ich wollte doch mit ihm spielen, aber ich wusste auch dass ich das jetzt nicht mehr konnte. >>Ich komme morgen in Ordnung?<< fragte ich und drückte seine Hand um ihn aufzumuntern. Er lächelte nur kurz, dann ließ er meine Hand los und lief alleine durch die Schleier, bis ich ihn nicht mehr sehen konnte. 

Das war meine erste Begegnung mit dem Jungen im Wald. 

Am nächsten Tag konnte ich es kaum erwarten, das meine Eltern mich alleine spielen ließen. Natürlich hatten sie mir noch einmal eingeprägt das ich mich nicht so weit vom Camp entfernen durfte, aber das sagten sie mir. Eydis. Ich liebte es alleine zu spielen. Auch zu Hause in Seattle konnte ich auch gut ohne Freunde auskommen. Die Kinder in meinem Alter fanden mich meist komisch und hackten auf mir herum. Mal gefiel ihnen nicht das ich im Unterricht etwas wusste, dann nicht wie ich meine Haare hatte, meinen Pullover und und und. Sie fanden immer Gründe mich zu meiden und ich auch. Ich las selbst gerne Bücher oder ließ mir gerne vorlesen. Es war egal. In der Welt der Bücher, die ich bisher gelesen hatte, gab es nur das Gute. Alles war gut. Immer gab es ein Happy End. Das war besser, als die reale Welt, in die ich nicht passte. Es machte mir aber nichts aus anders zu sein, wie es manche Menschen beschrieben. Meine Eltern waren immer da für mich. Sie waren nicht über fürsorglich, nicht sonderlich streng, aber es gab auch bei ihnen Regeln, Grenzen die überschritten werden konnte und eben auch Konsequenzen. Ich teste dies aber gerne aus. Nicht in böswilliger Absicht, sondern aus dem Grund, weil ich dachte, ich würde sonst irgendetwas Spannendes verpassen. Ich war neugierig auf meine Welt. Ich wollte sehen was um mich herum passierte. Was es zu entdecken gab und alleine der Gedanke an den Jungen ließ es in meinen Zehen und Fingerspitzen kribbeln. Ich hatte das Gefühl, das er mir etwas zeigen wollte, etwas, was mich interessierte. Ich war mir sicher, dass es wie ein Abenteuer sein würde. Nichts was mich ängstigte oder mich verletzte. Ich wollte mit ihm spielen. Vielleicht hatte er genauso wenig wie ich richtige Freunde. Schließlich hatte er auch alleine im Wald gespielt.Wieder einmal ließ ich meine Füße das Kommando übernehmen. Sie trugen mich tiefer und tiefer in den Wald und ja ich blickte mich nun hin und wieder um. Ich hatte ein schlechtes Gewissen meinen Eltern gegenüber. Sie machten sich schließlich auch nur Sorgen, aber ich wollte mit dem Jungen spielen. Das mussten sie auch verstehen. Ich wanderte durch das Unterholz und je länger ich ging, desto leiser wurden die Stimmen meinen Eltern in meinem Kopf. Es war etwas kühler als gestern und irgendwann begann ich daran zu zweifeln das ich den Weg zu dem Platz, wo ich den Jungen getroffen hatte, wieder finden würde, aber genau wie einen Tag zuvor blockierte schließlich jemand meinen Weg. Freudig wedelte der Hund vor mir mit dem Schwanz. Er wimmerte scheinbar vor Freude und mein Herz schlug schneller. Er wuselte um mich herum. Der gräulich, braune Hund legte sich flach auf den Boden, schnaubte und sprang wieder auf um noch einmal um mich herumzuhüpfen. >>Oh bist du süß!<<, sagte ich und begann der Hund nach dem ersten Schreckmoment zu streicheln. Er ließ es sich gefallen, legte sich erneut auf den Boden und kraulte sich zu mir, so das ich sein weiches Fell besser streicheln konnte. Er fiepte und wimmerte. Ich lachte, während er mich fast vor Freude zu Boden riss. Ich hockte mich neben ihn und versuchte mit beruhigenden Worten auf ihn einzureden.>>Wo ist denn dein Herrchen oder Frauchen?<<, fragte ich leise und sah mich dabei um. Niemand war zusehen oder zu hören. Ich sah hinunter zu dem Hund. Er sah mich an und da waren diese Augen, die mir so vertraut vorkamen. >>Bist du der Hund von dem Jungen?<<Er fiepste und erhob sich um sein Gesicht gegen das meine zu drücken. Ich warf meine Arme um seinen Hals und drückte ihn, kraulte ihn und zwang ihn mich anzusehen. Ich liebte Hunde. Unsere Nachbarin Mrs. Biever hatte einen schwarzen, großen Hund namens Goliath. Der hier war aber kleiner gewesen. Er musste noch jung sein. Sein Fell war noch so flauschig und weich. Ich erhob mich schließlich wieder. >>Komm, wir suchen dein Herrchen<<, sagte ich und forderte ihn auf mir zu folgen. Er tat es. Er folgte mir an meiner Seite durch den Wald. Sein Blick immer wieder zu mir sehend, was mich zum Lächeln brachte. Wie auch den Tag zuvor bekam, ich nicht mit wie dunkel es im Wald immer mehr wurde. Wir spielten und tollten herum. Der Junge oder das Herrchen des Hundes tauchte nicht auf.Schließlich verabschiedete ich mich, als ich merkte, wie kalt mir wurde. Wir hatten bereits den Rückweg angetreten. Er begleitete mich. Er war ein Rüde und hatte mich schließlich bis zum Rand des Camps begleitet. Ich ging in die Hocke und sah in die goldfarbenen Augen. Er wimmerte und tapste auf mich zu. Er drückte sich gegen mich. Ich wollte genauso wenig ihn alleine lassen wie er mich. Ich drückte ihn an mich, bis ich meine Mutter nach mir rufen hörte. >>Ich muss gehen. Bis morgen.<<, flüsterte ich und deute ihm mit dem Finger an, dort sitzen zu bleiben und mir nicht zu folgen. Ich sah jedoch noch einmal über meine Schulter um sicher zugehen, dass ihr mir nicht folgte. Er tat es nicht. Er saß dort hinter den Büschen und sah mir nach. Ich schmunzelte. Was für ein braver Hund, der auf mich hörte, obwohl ich doch gar nicht sein Besitzer war. Als ich mich jedoch noch einmal umdrehte, war der Hund verschwunden. 

The Midnight MoonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt