17:57 Uhr
Entweder ich sterbe heute noch an einem Herzinfarkt oder werde ohnmächtig. Was gerade in mich gefahren ist? Ich weiß es nicht, aber in der Geschwindigkeit sollte kein Mensch jemals joggen gehen. Ich höre meinen Herzschlag und habe das Gefühl, dass mein Herz gleich aus meiner Brust springt. Eigentlich ist genau das mein liebster Moment beim Laufen, wenn ich es in jeder einzelnen Muskelfaser spüre - nun gut, das Gefühl zu sterben ist nicht so toll. Und genau in den Momenten seh ich dann mein Ziel und verfolge es immer weiter und weiter und weiter.
Ich lehne mich gegen ein Gartentor und trinke hastig die letzten Schlücke aus, nachdem ich mir den Schweiß aus den Augenpartien gewischt habe. Warum genau tue ich mir das jedes Mal an? Aus Sorge gleich zu kollabieren, beschließe ich nach Hause zu spazieren. Als ich mich gerade umdrehen will um meinen Heimweg anzutreten, erschreckt mich eine bekannte Stimme: "Hey."
Es ist seine Stimme. Wie in Trance drehe ich mich langsam um und sehe ein breites Grinsen vor mir. Geht es ihm gut? Erst im zweiten Moment fällt mir auf, wie verschwitzt er ist.
Liv lauf! Der stalkt dich! Der hat einen absoluten Schaden.
Und genau auf diese innere Stimme sollte ich hören, doch das einzige worüber ich nachdenken kann ist der Versuchung zu widerstehen, meine Arme um seine muskulösen, gebräunten Arme zu werfen und ihn zu mir zu ziehen.
Du blöder Schlampenkörper.
"Oh, hey. Was machst du denn hier?"
Ich kann einfach nicht verhindern, dass mein Blick nach unten auf diesen gut gebauten Körper rutscht, das T-Shirt, so durchnässt, lässt seine Muskeln noch mehr zur Geltung kommen. Gott, bin ich oberflächlich.
"Ich laufe, normalerweise morgens, aber heute brauchte ich einfach eine Runde mehr, zum Abschalten und so."
Kommt mir irgendwie bekannt vor.
"Willst du was?", fragt er grinsend und hält mir seine Wasserflasche vor mein Gesicht.
Mona lehrte mich niemals etwas von fremden Menschen anzunehmen, aber da ich sonst anderweitig sterben würde, nahm ich das Risiko in Kauf. "Danke", sage ich erleichtert und gebe ihm die beinahe Leere Flasche zurück, was mein Gesicht noch röter werden lässt - falls das überhaupt noch möglich ist. "Ich habe noch einen langen Rückweg vor mir, also mache ich mich mal lieber auf den Weg." "Da hast du Recht", entgegnet er und ich sehe, wie sein Blick über mein bauchfreies Laufshirt zu meinem Bauch hinunter wandert. "Hm? Wie bitte?", frage ich, sichtlich durch seinen Blick verwirrt und reiße den Blick von seinen Schweißtropfen, die über seinen muskulösen Körper laufen.
"Ich denke, dass du einen sehr langen Weg vor dir hast, nicht wahr? Du wohnst doch in der Lilienstraße. Dann bist du jetzt fast 8 Kilometer davon entfernt."
"Du weißt wo ich wohne?", frage ich sehr verwirrt. Da hast du es, er ist ein Stalker!
"Ja, weiß ich. Liv Mayer. Geboren am 12. Oktober. Wohnhaft in der Lilienstraße 11. Einen Meter dreiundsechzig groß. Braune Haare. Braune Augen."
Ich weiche verängstigt ein Stück nach hinten, weil sich in meinem Kopf schon meine Ermordung von einem Stalker abspielt.
"Du hast mir vorhin deinen Ausweis gezeigt", erklärt er mindestens genauso verwirrt. "Erinnerst du dich nicht mehr? Vorhin an der Ampel bei dem Supermarkt."
Das beruhigt mich nicht mehr, denn er hat sich den maximal drei Sekunden angesehen.
"Du hattest meinen Ausweis nur ein paar Sekunden in der Hand und wie jemand mit einem fotografischen Gedächtnis siehst du nicht aus!", kontere ich. Er beunruhigt mich und durch seine sich anhebenden Mundwinkel, welche Grübchen verursachen, werde ich nur noch unruhiger.
"Wie sieht denn jemand mit einem fotografischen Gedächtnis aus?", fragt er schmunzelnd. Er macht mich wahnsinnig mit seiner Art.
"Nicht wie du jedenfalls." Oh wow Liv, wie schlagfertig du nur bist!
"Ah, und wie seh ich denn aus?"
"Wie ein Stalker", rutscht es mir heraus und noch im selben Moment möchte ich dafür unter der Erde landen.
"Ah, und was machst du dann vor meiner Haustür?"
Wie wenn er hier wohnen würde, der spinnt doch komplett. "Hier, schau", zeigt er auf das Klingelschild. Familie Blanco. Ich spüre, wie ich im selben Moment rot anlaufe und möchte jetzt wirklich einfach nur begraben werden. So neugierig wie ich bin, kann ich es mir nicht verkneifen, mir das Haus genauer anzusehen. Es ist keineswegs ein protziges Haus, eher ein gemütliches, heimeliges. Wenn Nele und Jess ihn aus der Schule kennen, ist er vermutlich in unserem Alter, wohnt also noch hier mit seinen Eltern. Wie kann es mir nur entgangen sein, dass der einzige Junge, bei dem ich jemals Hitzewallungen bekommen habe, erstens in unserer Stufe ist und zweitens nur wenige Kilometer von mir entfernt wohnt?
"Oh", räuspere ich mich und möchte endlich gehen. Mir ist dieses ganze Geschehnis so peinlich, dass ich ihn am liebsten nie wieder sehen möchte. "Hey, warte noch. Wenn du mir deine Wasserflasche gibst, fülle ich sie schnell auf, dann kann ich sichergehen, dass ich nicht Mitverantwortlicher an deinem Hitzetod bin."
Er nimmt mir meine Flasche ohne Zögern aus der Hand und streift dabei ganz leicht meinen nackten Bauch, wodurch sich sofort eine Gänsehaut bildet. Ich bin total verwirrt, denn diese soziale Geste passt absolut nicht zu dem Typen, von dem mir Jess so wütend erzählt hat. Vielleicht hat er eine Persönlichkeitsstörung. Bevor ich länger darüber nachdenken kann, kommt Elias mit einer aufgefüllten Flache zurück und ich kann - mal wieder - den Blick nicht von ihm nehmen. Doch ich habe genug über ihn gehört, um zu wissen, dass ich mich besser nicht auf ihn einlasse, was meinem Körper total egal ist.
"Ich wollte noch einmal etwas zu vorhin sagen... Du weißt schon, an der Ampel. Sorry falls das mega merkwürdig rüberkam, oder unangenehm, das wollte ich nicht." "Ich fand dich nicht unangenehm." Ein breites Lächeln überzieht sein Gesicht, doch ich habe ihm auch nicht die Wahrheit gesagt. Er war mir nicht unangenehm, er hat mir Angst gemacht. Er sieht mich forschend an, was mir überhaupt nicht gefällt.
"Du sollst nicht denken, dass das irgendeine blöde Masche war, um dich rumzukriegen. Ich dachte echt du wärst jemand anderes."
"Ist schon okay." Warum enttäuscht es mich, dass er kein Interesse an mir hatte? Ich sollte froh sein, denn so jemanden wie ihn, brauche ich nicht in meinem Leben.
"Was nicht bedeutet, dass ich grundsätzlich nicht versuchen würde dich anzumachen", wirft er grinsend hinterher.
"Nur in dem Moment, habe ich es nicht getan."
Ich kann mir mein Grinsen nicht verkneifen.
"Soll ich dich nach Hause begleiten?"
JAAAAAAAAA.
"Nein, nicht nötig, dass schaffe ich auch alleine." Er nickt. "Schon klar, aber ich muss sowieso in die Richtung..."
Er stockt und greift mit seiner Hand an meine Schläfe. "Wer hat dir das angetan?", fragt er harsch.
Ich muss leicht lachen. "Das war bloß ein Unfall, meine beste Freundin sollte nie mehr so von mir geweckt werden." Doch er lacht nicht, er schaut immer noch eisern an meine Schläfe. "Wenn dir jemand so etwas antun würde, hättest du wen zum reden?", fragt er in einer Mischung aus Besorgtheit und Wut. Ich würde ihm gerne antworten, doch ich kann nicht. Seine Daumen liegen immer noch an meinem Gesicht. Ich kann nicht sprechen, ich bin nicht einmal in der Lage zu denken und bekomme kaum Luft. Diese Intensität, die von ihm ausgeht, raubt mir die Worte und macht mich wahnsinnig. Schließlich gelingt es mir, ganz leiht zu nicken und er lässt mein Gesicht los.
"Ich begleite dich", entscheidet er und mir ist klar, dass ich nicht widersprechen kann. Er beginnt in einem langsamen Tempo zu laufen, ich ihm hinterher.
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Why did you do that?
RomanceDie 17-jährige Liv ist starken Gefühlen immer aus dem Weg gegangen. Wenn sie einem Jungen begegnet, fühlt sie nichts, kein Kribbeln, keinerlei Anziehung. Sie verspürt eher das Gegenteil. Taubheit. Bis sie auf Elias trifft, bei dem ihre Hormone verrü...