Kapitel 3

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Kurze Zeit später fanden wir uns vor dem Restaurant wieder. Die Leute, die vorhin schon zum Rauchen hier standen, waren entweder erneut hier oder nie gegangen und verrenkten sich fast die Hälse um einen besseren Blick auf mein geschändetes Gesicht zu erhaschen. John und Mary unterhielten sich hitzig mit dem Lokalbesitzer, der uns drei gerade rausgeworfen hatte und ich sah das als beste Gelegenheit, unbemerkt zu verschwinden. Doch gerade als ich loslaufen wollte, hörte ich eilige Schritte hinter mir und eine zarte Hand hielt mich am Oberarm fest, was mich dazu zwang, mich umzudrehen. Am liebsten hätte ich mich losgerissen, denn ich merkte, wie unwillkommen ich hier war, doch irgendwas in mir brachte mich doch dazu stehenzubleiben. Mary sah mich aus tiefblauen Augen an und hielt mir eine Hand hin.

„Mir tut Johns Verhalten äußerst leid“

„Ja, mir auch“, sagte ich und wollte mich erneut umdrehen, ohne ihre Hand zu schütteln, als ihr Griff fester wurde.

„Kann ich es irgendwie wieder gut machen?“

„Nein, es ist schon in Ordnung“

„Kommen Sie, ich lade Sie zu uns ein und mache Ihnen einen Kaffee. John wird sich sicherlich gleich beruhigen, dann könnt ihr euch in Ruhe unterhalten“

Ich schüttelte nur den Kopf.

„Ich sollte besser gehen“

Mary jedoch bestand darauf und schleppte mich, ohne auf meine Proteste zu hören, mit zu sich und John nachhause. Ihre kleine Wohnung war nicht weit entfernt, so waren wir in wenigen Minuten dort. John hatte sich lauthals bei ihr beschwert, ihm war egal, dass ich ihn hören konnte. Er wollte mich eindeutig nicht bei sich haben und mir wurde schlecht von seinem gehässigen Verhalten. So hatte ich ihn noch nie erlebt und es verletzte mich sehr, doch ließ mir nichts anmerken, setzte ein falsches Lächeln auf, wie ich es schon so oft getan hatte, und setzte mich auf ihr bequemes Sofa.

„Also, was machen Sie hier?“, fragte Mary interessiert und strahlte mich freundlich an, als sie mir – wie angeboten – eine Tasse Kaffee hinstellte.

Ich überlegte einen kurzen Augenblick, was ich den beiden erzählen sollte, entschied mich dann aber doch für die Wahrheit. Es dauerte eine Weile, bis alles berichtet war: Warum ich meinen Selbstmord vortäuschen müsste und was Moriarty gemacht hätte, wenn ich mich nicht seinem Willen gebeugt hätte. Dass John, Lestrade und Mrs Hudson jetzt tot wären. Ich erklärte, wo ich mich all die Jahre über versteckt und was ich gemacht hatte. Doch anstatt auf Verständnis zu stoßen, biss ich – zumindest bei John – auf Granit.

Mary unterbrach meine Erzählung immer wieder mit erschreckten Geräuschen oder Gesten, John blieb auf seinem Sessel sitzen und starrte stur aus dem Fenster. Ich fragte mich, ob er mir überhaupt zugehört hatte, doch Mary riss mich erneut aus meinen Gedanken.

„Das ist ja schrecklich! Er wollte John also wirklich umbringen?“

„Ja, das habe ich doch gerade gesagt!“, mein gereizter Unterton brachte meinen Freund nun doch dazu, aus seiner abwesenden Starre aufzuwachen, blitzartig aufzustehen und drohend mit einem Finger auf mich zu zeigen.

„Wage es gar nicht erst, so mit meiner Frau zu reden, Sherlock Holmes“, flüsterte er. Wenn er mich nicht erst Minuten zuvor geschlagen hätte, hätte ich ihn wohl nicht ernst nehmen können, doch vorsichtshalber machte ich eine beschwichtigende Handbewegung um ihn zu beruhigen.

„Verzeihung“

John und überfürsorglich? Das passte nicht zusammen. Genauso wenig wie ein John, der seine Frau zum wohl teuersten Restaurant der Stadt ausführte und nun in seinem kleinen Wohnzimmer mit seinem Anzug viel zu aufgetakelt aussah. Es passte genauso wenig zusammen wie Mary, die in dem Restaurant ein Ginger Ale trank, obwohl die beiden offenkundig etwas zu feiern hatten. Trank man zu besonderen Anlässen nicht Alkohol?

„Sherlock? Sherlock!“, ich schreckte hoch. Ich hatte – wie so oft – nicht gemerkt, dass ich zutiefst in meinen Gedankenpalast versunken war. Mary sah mich aus ihren großen Augen besorgt an.

„Ja?“, fragte ich und setzte mich ein wenig unbeholfen auf.

„Da Sie jetzt schon einmal hier sind, können wir Ihnen auch gleich von der großen Neuigkeit berichten! Sie sind sozusagen der erste, der es erfährt!“, sie lächelte aufgeregt.

Nein. Bitte nicht. Nicht das, was ich denke. Alles, nur nicht das.

„Wir bekommen ein Baby!“, rief sie begeistert, während John im Hintergrund etwas unverständliches nuschelte.

Alles.

Nur.

Nicht.

Das.

Be Careful What You Wish For (Sherlock Short Story)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt