Sehnsucht

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Der Club ist von vorne bis hinten vollgestopft mit verschwitzten ausgelassenen Menschen, einige sind wahrscheinlich schon ziemlich betrunken. Doch diese Masse an Tanzenden und Trinkenden hinderte das Schicksal nicht daran, meine hellblauen Augen auf eines der wohl perfektesten Gesichter fixieren zu lassen. Seine hellbraunen Haare sind womöglich makellos zurück gegelt, dennoch versteckt er sie unter einer Baseball Cap, die er verkehrtherum trägt. Wie es das Universum möchte steht er nur einen Tisch weiter, ich könnte ohne weiteres nur drei kleine Schritte gehen und mich in seine starken Arme werfen. Trotzdem bleibe ich wie versteinert auf der mit Leder gepolsterten Bank sitzen und beobachte, registriere und speichere jede seiner Bewegungen in meinem Gehirn ab, jede ernste Mimik, jedes Lachen.

Meine Freunde, die teilweise auf der hohen Bank neben mir sitzen und teilweise um den Stehtisch stehen, albern rum, stoßen an und lachen ausgiebig, während ich mich angestrengt daran erinnern muss zu atmen. Tief ein und ganz langsam wieder aus, tief ein und ganz langsam wieder aus – um mein rasendes Herz zu beruhigen. Die erwünschte Wirkung tritt schleichend ein; mein Puls wird stabiler, meine zittrigen Hände führen nicht mehr dazu, dass die Eiswürfel in meinem Glas voll Wasser klirren und meine Atmung spielt sich allmählich in einem gleichmäßigen Rhythmus ein. Ich sage mir diese Worte wiederholt, wie ein Mantra auf, immer wieder. Tief ein, ganz langsam wieder aus, tief ein – plötzlich setzt mein Herz für eine Sekunde aus und ich halte die Luft an. Er sieht mich! Er sieht mich nicht nur, nein, er blickt mir direkt in die Augen! Tu was Maya! Irgendetwas! Ein zurückhaltendes Lächeln huscht über meine Lippen, welches er genauso, nur mit leichter Überraschung, erwidert. Verdammt Maya, steh doch auf! Doch bevor ich nur irgendetwas bewerkstelligen kann, um seine Aufmerksamkeit auf mir zu behalten, fliegen seine kristallklaren grünen Augen abrupt weiter und scannen die restliche Umgebung. Wahrscheinlich wollte er diesen peinlichen zwei Sekunden, die sich anfühlten wie Minuten, schnellstmöglich entkommen. Wer könnte es ihm verübeln? Wir hatten seit fast zwei Jahren keinen Kontakt mehr. Er wollte keinen Kontakt mehr.

Und nun, sieh mich an. Nach zwei Jahren erschlagen mich die Gefühle, wie als wäre ich zurück in meinem 16-jährigen Körper, als wäre ich zurück in der Zeit in der er in mein Leben trat. Ich kann mich noch ganz genau an unsere erste Begegnung erinnern. Damals schmiss meine Freundin in einem der Wintermonate eine Hausparty, zu der nur mir bekannte Gäste eingeladen wurden. Doch mittendrin saß auf der Couch ein völlig fremder junger Mann. Als ich ihn bemerkte saß ich, mit vom Alkohol vernebelten Verstand, auf den Boden und wärmte mit den Händen meine in Wuschelsocken gepackten Füße. Eine andere Freundin saß auf der Couch direkt hinter mir, ich lehnte meinen Rücken an ihre Beine. Ich beäugte den Fremden misstrauisch und wand mich zu Talea. „Wer ist das?", fragte ich sie, doch sie zuckte nur unwissend mit den Schultern, auf das ich ihn ohne Scham fragte, wer er sei. Er antwortete auf meine barsche Frage, als sei es normal für ihn gewesen, so angesprochen zu werden. „Emilio Tremblay."

Im Nachhinein frage ich mich wieso er den Kontakt zu mir in erster Linie aufbauen wollte, denn mein alkoholisierter Kopf war unfähig zu denken. Ich fragte Talea und ihn wohl 30-mal wer er sei. Talea antwortete darauf nur mit seinem Namen, denn mehr wusste sie auch nicht. Ihr Ton verriet, wie unangenehm ihr meine damalige Dummheit war. Doch ich wollte nicht nur seinen Namen wissen, nein ich brauchte eine Eselsbrücke, so wie zu jedem Namen und zu jedem Gesicht. Ich brauche eine Geschichte, ein Ereignis, an das ich mich erinnern kann um die Person zuordnen zu können. Nichtsdestotrotz hatte mein angeheitertes Gehirn nicht verstanden, dass es zu dieser Person keinerlei Eselsbrücken gab. Diese Person war meinen Freunden und mir völlig fremd. Trotzalledem erzählte er mir von einer weiteren Hausparty bei seinem Kumpel, die demnächst stattfinden sollte und er wollte, dass ich auch komme. Daraufhin forderte ich seine Nummer ein, damit ich auch gewiss auf diese Party gehen kann. Meine Intension galt in diesem Augenblick nur auf die von ihm angekündigten Party zu gehen und nicht die Nummer des charmanten Jungen mit seinem kantigen Kiefer zu erhalten. Wie sich mein schamloses Verhalten doch ausgezahlt hatte.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 23, 2020 ⏰

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