Ungeklärte Tatsachen

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"Officer Wilde an Officer Zarabi; Ich befinde mich aktuell mit Officer Hopps an der Kreuzung zur Fang Road an der Main Avenue. Bisher noch keine Spur von einem Geisterfahrer, aber die Lage könnte sich bald ändern; over."
Das Funkgerät in Nicks Pfote rauschte einen Moment lang, bis sich der Löwe Stephen am anderen Ende der Leitung zu Wort meldete. "Officer Zarabi; Habe verstanden, over and out."
Zufrieden steckte der Fuchs das Funkgerät zurück an seine Uniform, dabei blendeten ihn die Strahlen der Hochsommersonne aus der Windschutzscheibe des Dienstfahrzeugs in die Gläser seiner Sonnenbrille. Der Arbeitstag hatte für den ehemaligen Schmuggler nicht gerade rosig begonnen: Beinahe hätte ihm sein Vorgesetzer Chief Bogo - Erster seines Namens, vorzeitlich ein griesgrämiger Büffelhintern - wegen der Verspätung des Fuchses bei Dienstbeginn eine Standpauke gehalten, würde sich der Polizeichef heuer nur nicht so unüblicherweise gute Laune erfreuen.
Naja, falls man Bogo überhaupt ansehen konnte, ob es ihm "gut" ginge oder nicht. Der grummelige Kaffernbüffel tat sich nämlich selten daran, ein Lächeln aufzusetzen, sollte dies nicht aus Gehässigkeit geschehen. Auch über sein Privatleben hielt sich Bogo sehr bedeckt und gab recht wenig von seinen Interessen preis, aber in letzter Zeit bemerkte nicht nur Nick hin und wieder, dass der Polizeichef ausgesprochen gnädig bei auftretenden Mangelheiten der Polizeikräfte war, und am Feierabend ziemlich abwesend auf sein Handy-Display starrte, während der Büffel hin und wieder einen Mundwinkel hochzog oder verträumt dreinblickte.
Doch abgesehen davon hatte sich nicht allzu viel seit Nicks offizieller Ernennung zum vollwertigen Polizisten des ZPD getan, sowohl beruflich als auch im persönlichen Bereich. Die Arbeit als täglicher Verteidiger von Recht und Ordnung und ganz besonders die Freundschaft zu seiner Kollegin, der einfallsreichen und dickköpfigen Häsin Judy Hopps, hatten aus ihm einen besseren, vernünftigeren Fuchs gemacht, der keine ausgeklügelten Tricks mehr anwenden musste, um sich im Alltag durchzuschlagen.
Zumindest meistens nicht.
"Wo ist den das verschlafene Murmeltier von vor fünf Minuten denn plötzlich abgeblieben?", neckte ihn eine liebevolle Stimme neben ihm, und Nick schmunzelte Judy zu, die sich dazu durchgerungen hatte, bei der heutigen Streife am Steuer des Dienstwagens sitzen zu dürfen. Der Fuchs fand, dass sie eine lausige Fahrerin abgab, traute sich jedoch nicht, sie damit aufzuziehen, weil er sonst dafür büßen müsste. Plötzliche Vollbremsungen lagen dem Kanickel nämlich im Blut.
"Das Murmeltier meldet sich morgen Früh wieder bei dir, Möhrchen", gab der Polizist lässig zurück und leckte an seiner Eigenkreation, "Pfote am Stiel" (einem pfotenförmigen Fruchteis mit Kirschgeschmack), die er wie immer naschte, sobald er eine Pfote frei hatte. "Aber lass dir eines gesagt sein - der Tag, an dem Finnick mich, Nicholas Piberius Wilde, beim Roulette besiegt, ist der Tag, an dem du mich in der Erde einbuddeln kannst!"
Die Häsin mit dem hellgrauen Fell schenkte ihm einen verwegenen Seitenblick ihrer violetten Augen und zog herausfordernd eine Braue hoch. "Soll ich einen Maulwurf fragen, ob er mir ein Loch gräbt, oder willst du, dass ich mich mit der Schaufel allein zurechtfinde?"
Nick wusste sofort, dass sie seine Aussage nicht sonderlich ernst nahm. "Du provozierst mich."
"Ich experimentiere nur", entgegnete seine Kollegin salopp und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder dem regen Verkehr zu, welcher auf der Main Avenue herrschte.
Amüsiert von ihrer Schlitzohrigkeit musste Nick grinsen. "Schlaues Häschen."
"Dummer Fuchs."
Der Polizist lachte leicht durch geschlossene Lippen. Viele seiner Unterhaltungen mit Judy liefen auf diesen Insider-Witz hinaus. "Schon eine Spur von unserem unbekannten Aufs-Gas-Treter?"
"Bisher nicht", antwortete die Häsin nun mit einer etwas ernsteren Miene, die kleinen, weichen Pfoten konzentriert auf das Lenkrad gelegt, "Aber halt' lieber weiter Ausschau. Stephen meint, er befindet sich höchstwahrscheinlich in unserer Nähe."
Das Funkgerät an Nicks Uniform mischte sich geräuschvoll in die Konversation ein. "Zarabi an Wilde", ertönte Stephens verzerrte Stimme alamierend aus dem Lautsprecher, "Habe verdächtiges Fahrzeug im Kreisverkehr um die Morton-Mouse-Gedenkstatue gesichtet - ein recht schäbiger Corvette in Grauschwarz steuert mit erhöhter Geschwindigkeit die Main Avenue hinunter, er sollte also gleich bei euch vorbeikommen."
Im selben Augenblick rauschte besagter PKW wie ein Komet an der Kreuzung vorbei und hinterließ eine aschgraue Rauchwolke auf seinem Ritt. Entsetzt schaute Nick dem Corvette nach und blickte dann zu Judy, welche ebenso irritiert wirkte. Welcher Wahnsinnige würde am helllichten Tag mit einem auffallend defekten Wagen die Hauptstraße entlangbrettern?
Sicherlich kein Unschuldslämmchen, meinte der Fuchs schelmisch in Gedanken und musste unwillkürlich an Dawn Bellwether und ihr biederes Gefolge an Komplizen zurückdenken, was sein Nackenfell dazu veranlasste, sich zu sträuben.
"Wir haben den Corvette eben gesehen", teilte der Polizist seinem Kollegen per Funk mit, "Sind schon unterwegs."
"Ich beordere inzwischen eine Eskorte zu euch, falls es brenzlig werden sollte", gab Stephen zuversichtlich zurück, "Viel Glück euch beiden."
"Danke. Over and out."
Und ehe Nick es sich versah, drückte Judy aufs Gas, riss das Lenkrad scharf um und schon raste das Polizei-Duo mit einem Affenzahn die belebte Hauptstraße hinab, um sich hartnäckig an die Fersen des unbekannten Geisterfahrers zu heften.
An unzähligen Hochhäusern und Straßenschildern fuhr der Dienstwagen vorbei, bis endlich die verbeulte Stoßstange des schlingernden Fahrzeugs in ihr Sichtfeld geriet.
"Bis du ihn erreichst, flieht er noch in den nächsten Staat", neckte Nick seine Kollegin, abseits der Sorge um die Passanten an der Main Avenue und dem Ärger über den unvorsichtigen Raser, der offenbar keine Rücksicht auf Verletzte nahm.
"Kannst du dir bitte die selbstgefälligen Kommentare für später aufheben?", konterte die Häsin genervt und rollte stöhnend mit den Augen, "Ich muss mich hier gerade auf etwas anderes konzentrieren..."
"Oh, du findest, meine Anwesenheit bringt dich aus dem Konzept?", spöttelte der Fuchs weiter und musste aufgrund der Tatsache, dass er einen unbewussten Teil von Judys ungeteilter Aufmerksamkeit genoss, schamlos grinsen, "Was für eine Ehre, Puschel. Ich hab dich auch lieb."
Den letzten Satz schien die Polizistin überhört zu haben, da sie eine blitzartige Vollbremsung einlegen musste: Der Corvette war tatäschlich mitten im Berufsverkehr geparkt worden, und der Fahrer - dessen Körper von der immensen Größe seiner schwarzen Sporttasche verdeckt wurde - im Laufschritt Richtung Einkaufscenter floh.
"Deinetwegen hat er Reißaus genommen, Mr Plappermäulchen", ärgerte sich Judy und entfernte sich mit einer Pfotenbewegung ihren Sicherheitsgurt, um aus dem Dienstwagen zu steigen. Nick tat es ihr gleich und folgte ihr mit unschuldiger Miene.
"Ich wollte deine heldenhafte Kühnheit nicht einschränken, Puschel", entschuldigte der Fuchs sich überschwänglich, während das Hupkonzert, dass sich auf dem kurzfristig entstandenen Stau ausbreitere, seine Schmeicheleien untermalte, "Kannst du mir bitte verzeihen?"
"Das entscheide ich, nachdem wir den Flüchtigen gefasst haben", entschloss Judy eilig und stürmte auf das riesige Einkaufscenter "Tall Mall" zu, vor dem sich unzählige Säugetiere tummelten. Den Täter zu fassen würde also kein Kinderspiel werden.
"Warte! Und der Corvette?!", rief Nick ihr verblüfft hinterher.
Die Häsin, welche jede noch so weit entfernte Stimme hören würde, schaute über die Schulter zu ihm und antwortete laut: "Park ihn vor dem Einkaufscenter!", bevor sie sich wieder der Verfolgungsjagd zuwandte und der Fuchs nurmehr ihre kompakte, weißgraue Statur als winzigen Punkt in der Menge erkennen konnte.
Empört schnaubte Nick durch die Nasenlöcher seiner spitzen Schnauze. Natürlich durfte sich seine Kollegin den ganzen aufregenden Part der Aktion widmen, und er selbst musste ihr hinterherwischen und den Stau auflösen, der zu einem größeren und lärmenden Chor aus wütenden Stimmen und Autohupen heranwuchs. Judys Sturköpfigkeit und Durchsetzungskraft begleiteten jedem ihrer Ruhmestage, an denen sie Klischees brach und Unmögliches vollbrachte, und genau deshalb wurde sie von den Einwohnern Zoomanias auch so gefeiert.
Ein zufriedenes Lächeln zierte die Lippen des Fuchses.
Genau deshalb mochte er es so, an ihrer Seite zu arbeiten.

ZPD - Verhoppelt und ausgefuchst! 🐰👮🐱Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt