Kapitel 1

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Es ist wieder der eine Tag im Jahr.

Obwohl wir uns privat nicht oft sehen und eher getrennte Wege gehen ist dieser Tag für uns bestimmt.

Selbst wenn die Hölle erneut herausbrechen und es Tod und Hass herab regnen würde, so würden wir an diesem Tag zusammen sein.

Dieser Tag ist für uns ein Heiligtum.

Eine stille und zugleich traurige Zeremonie.

Jeder bewältigt seine Trauer anders.

Ich stürze mich wie ein Verrückter auf die Arbeit. Mehr geht immer. Immer mehr, immer mehr. Sage nie nein, sodass ich Abends erschöpft ins Bett falle und kein anderer Gedanke außer der Arbeit in mir aufkeimen kann.

Er hingegen... verarbeitet es anders. Ausgiebige Feiern mit Alkoholexzessen, extreme Sportarten, die für mich schon an Sinnlosigkeit grenzen, welche nicht selten in der Notaufnahme enden. Leben am Limit.

Aber dieser Tag heute... ist nicht all dies.

Keine Arbeit.

Keine Feier.

Keine Notaufnahme.


Er trinkt Bier.

Ich trinke Wodka.

Ein kleines Zeichen des Verständnis. Der Verbundenheit.


Wir sitzen stumm auf der Couch und nippen abwechselnd an unserem Getränk.

Wir brauchen nicht zu Reden. Wir verstehen einander stumm. Der Schmerz in unserem Herzen ist gleich und dennoch so unterschiedlich.

Die grausame Vergangenheit können wir nicht ändern, egal wie sehr wir es uns wünschen.


Als ich den letzten Tropfen aus meinem Glas geleert und es zurück auf dem Tisch abgesetzt habe, füllt er mir mit zittrigen Fingern unaufgefordert nach. Das Glas füllt sich rasch und läuft über. Einige Sekunden starren wir beide auf den kleinen See aus Wodka, welcher sich rund um das Glas auf dem Tisch gebildet hat.

Ich stehe auf um ein Handtuch zu holen, doch ich werde schnell und bestimmt an meiner Hand festgehalten. Ich verweile einen Moment und spüre den kräftigen, warmen und immer noch zittrigen Händedruck, dann setzte ich mich erneut neben ihn. Mit einer schnellen Bewegung dreht er sich zu mir und vergräbt sein Gesicht in meiner Brust. Meine Hand hält er noch immer fest.

Ein kaum hörbares Wimmern ist zu hören. Ich lege meine andere Hand auf seinen Rücken um ihm Trost zu spenden.

Ich war derjenige, der im letzten Jahr zuerst von den Emotionen überrannt worden war. Dieses Mal brechen die emotionalen Mauern bei ihm zuerst ein.

Ich spüre seine heißen Tränen auf meiner Brust, welche durch mein Hemd gesickert sind.

Wenige Momente später laufen meine Tränen meine Wange entlang und fallen lautlos auf seinen Kopf.

Wir verharren so.

Still.

Weinend.

Zerbrochen.

Im Schmerz.


Wir können nicht ändern was geschehen ist.



Countryhumans | Russland x GermanyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt