I - Die Socken

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“Liebe Mama!
Heute ist es schon wieder geschehen: ich habe ein paar Socken verloren! Das war schon das dritte Mal, dass mir das in zwei Wochen passiert ist.
Aber mach' dir keine Sorgen um mich oder meine Klamotten, ich werde schon irgendwo irgendwie ein paar Neue beschaffen.
In Liebe, dein Ido!“

Ein neuer Tag, ein neuer Brief: das Motto dieses jungen Autors. Seine absolute Lieblingsbeschäftigung war das Schreiben an seine liebe herzensschwache Mutter, die von ihm abgeschottet an einen Ort lebte, wovon der kleine Ido selber nichts wusste. Er fantasierte sich immer die wildesten Theorien zusammen, wo ihr Aufenthaltsort habe sein können.

Zurück bekam er nie welche, aber ihm machte das nichts, vielleicht war seine arme Mutter einfach des Geldes zu kurz, sich ein bisschen Papier, eine Briefmarke und einen Stift zu holen.
Schwer fiel es ihm schon, einen schönen Brief zu verfassen mit seinen verkohlten und zur Hälfte unbrauchbaren Materialien, aber irgendwie musste man ihr bescheid geben, dass ihr kleiner Schützling noch lebe.
Ein Fünkchen Hoffnung braucht doch jedermann.

Seine halb schwarzverbrannten Lederschuhe anlegend, gepaart mit einem spärlich zusammengenähtem Umhang, den er sich hastig über die Schultern striff, zog er auf und davon zum Postamt. Sie besaßen nämlich noch den einzig stehenden Briefkasten im ganzen Lande. Der markante stechende Gelbton löste in dem großen Herzen Idos eine kleine Welle der Freude aus, auch wenn der Lack leicht abgeblättert war und es dem Briefkasten mehr als dreckig ging.
Auf seine Zehenspitzen stellend, warf er seine Nachricht mit beiden Händen durch den Schlitz und trabte von Ohr bis Ohr lächelnd zu seinem kleinen Häuschen zurück.

Ein junger Herr lugte höchst nervös aus dem Spalt zwischen seines Hauses Türen durch und pfiff den Knaben zu sich her.
“Was machst du noch da draußen?!“
“Ich wollte Mama noch einen Brief abschicken! Ist das schlimm?“
“Du tickst doch wohl nicht ganz... na gut, du bist hier draußen in diesem Wüstland schutzlos, alleine kann ich dich auch nicht lassen. Los, renn' nach Hause und schnapp' dir deinen Kram, falls du noch welchen hast! Kehre dann zu mir zurück, ich muss dich unter meine Obhut nehmen.“
“Super! Ist das dann eine Übernachtungsparty?“
“Es ist keine...! Hm, na gut. Sagen wir, es ist eine Übernachtungsparty.
Hauptsache, du verschwindest aus deiner Bruchbude, das kann ich echt nicht mehr mitansehen.
Los jetzt!“

Ohne zu zögern und den Worten eines absolut Fremden Misstrauen zu schenken, eilte er flugs zu seinem Häuschen - sofern man dies, was er hatte, ein Häuschen nennen konnte.
Dort zog er sich eine zerrissene Decke aus einem Schutthaufen hinaus, fügte noch ein flaches Kissen hinzu, ein paar Essensvorräte und seine Schreibmaterialien und machte sich auf zur Haustür des Fremden.

Dreimaliges Klopfen, keine Antwort, bis er von einer rauen Stimme hineingewiesen wurde. Sie klang mehr als gestresst, fast schon einem Koller nahe.
“Und mach' die Türe bitte leise zu!“ flüsterte er noch aggressiv hinterher, als Ido seine Sachen abstellte und seinen Umhang weglegte.
“Und wie lang werde ich hier bleiben, Herr...?“
“Amulo. Nenn' mich Amo.“
“Herr Amo. Also?“
Bedächtig schweifte er seinen Blick über den Status der Außenwelt: nicht zu reparieren, in absolutem Chaos versunken. Schusslöcher waren überall in den Böden und Wänden versunken, es herrschte die Anarchie an jedem einzelnen Zentimeter des Milieus.

“Das steht noch offen, Kleiner.“

In Liebe, dein IdoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt