II - Postbote

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“Liebe Mama!
Gestern habe ich einen netten Mann getroffen, der hat mir Essen gemacht und mir eine Übernachtungsparty geschmissen.
Ich weiß, ich weiß, du sagst mir ständig, dass ich nicht mit Fremden reden darf, aber er ist mir nicht so wie die anderen, er ist ein ganz Lieber! Er heißt mit Nachnamen Amulo, aber ich sage Amo zu ihm. Du wirst ihn mögen, wenn ich ihn dir erstmal zeige!
In Liebe, dein Ido!“

Die Morgensonne zeigte sich schon zu lange nicht mehr, stattdessen musste das unzureichend wärmende Kerzenlicht einen geeigneten Ersatz darstellen. Es war Wochen, Monate, Jahre her, seitdem ein Sonnenstrahl die dichte, durch Asche verursachte Wolkendecke durchbrach, die am Himmel thronte.

“Du bist ganz blass im Gesicht, Sportsfreund, dünn wie Papier dazu auch noch. Macht dir deine Mama daheim denn nichts zu essen?“
“Meine Mama ist nicht hier.“
“Und dein Papa?“
“Auch nicht.“
“Wo sind sie? Weißt du das?“

Ido ließ seine Gedanken für eine kurze Weile schweifen, bevor er dann wieder auf den Boden der Realität zurückkehrte.
“...Nein.“
Amo machte einen Schritt zurück, zum Erstaunen des Jungen. In seinen Augen war die schiere Angst geschrieben.

“Ist was?“
“Ja, ich- Denn, wie- ach. Nein, es ist nichts los.“
“Sicher? Klingt nicht so...“
“Ich war nur, ähm, ein bisschen schockiert darüber, dass du damit so gut klarkommst. Wie lange ist das so?“
“Wie lang ist was?“
“Dass deine beiden Eltern weg sind.“
“Kann ich auch nicht genau sagen... eines Tages waren sie halt weg.
Dann hab' ich so einen Brief von ihr bekommen, wo darinstand, dass sie nun an einem anderen Ort ist und ich mir keine Sorgen machen soll. Seitdem schicke ich ihr jeden Tag einen Brief, damit sie weiß, dass es mir gutgeht.“
“Nur deiner Mama? Und was ist mit Papa?“
“Er hat mir keinen Brief geschickt wie Mama, also kriegt er auch keine!“

Wie leicht und unbeschwert er diesen Satz hervorbrang, stürzte Amo in noch größere Sorgen um das Kind und dessen Familie. Wo waren sie? Was ist ihnen geschehen? Es können doch wohl nicht “sie“ gewesen sein, oder?

“Kann ich dich was fragen, Amo?“
“Ja?“
“Können wir bitte zum Postamt gehen? Mama hat ihren Brief noch nicht bekommen!“

Hastig beäugte der junge Herr den schlampig zusammengefalteten Brief, dem Ido ihn in die Hände rückte. Nein sagen konnte er ihm nicht, egal wie gefährlich es draußen war.
Seine kindliche Unschuld war dessen viel zu viel wert.

“Natürlich, aber ich muss ihn abgeben.“
“Und das, weil...?“
“Hm, nur so. Ich habe schon lange keinen Brief mehr abgesendet.“
“Okay... aber du versprichst mir, dass du ihn nicht liest! Er ist nur für Mama!“
“Na dann. Her mit dem Brief.“

Den Brief erhaltend und tief seufzend, erhaschte Amo einen Blick nach Links und Rechts, bevor er sich hinauswagte. Brennende Funken konnten in der Entfernung gesehen werden, wie sie dem Himmel emportänzelten, verglühten, sich zusammenklebten oder erlischten. Es erfüllte den sonst so dunklen Himmel mit ein bisschen Leben, selbst wenn die Funken aus gewalttätigen Ursachen entstanden.
Langsam, Schritt für Schritt bewegte er sich dem direkt an der Ende der Straße liegendem Postamt zu, der zerbrochene Steinboden unter ihm nachgiebig knirschend.
Es war furchtbar, mutterseelen allein durch die schwarzgeschossenen Straßen zu wandern und jede Sekunde um sein Leben fürchten zu müssen.

Schließlich, nach einigen nervenzerreißenden Minuten schaffte Amo es, den Brief durch den Schlitz zu werfen. Eigentlich wollte er danach sofort den Rückweg einschlagen, allerdings überkam ihn seine Neugier und er öffnete den schwach verschlossenen Briefkasten mit roher Gewalt.
Kein Brief war mehr da, aber es roch schwer nach Rauch.
Ob die Briefe tatsächlich die Mutter des armen Kindes erreichten...?

“Postbote in diesem Wüstland sein könnte ich nie. Schwer genug, von der Ferne den ganzen Tumult der Soldaten mitzubekommen und Pistolenschüssen haarscharf auszuweichen, dann auch noch Briefe dabei verlässlich austragen.
Könnte ich wirklich nie.“ murmelte Amo, während er locker zurück nach Hause sprintete.

Für heute war die Arbeit getan.

In Liebe, dein IdoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt