Dornen der Rose

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Sein Gesicht kam näher. Immer näher. Und ich wollte ihm sagen, dass ich nicht kann, nicht darf. Es nicht geht und er es bereuen würde. Doch ich brachte die Wort der Verzweiflung nicht über meine Lippen. Mein Körper war erstarrt in der Zeit. Er ließ sich nicht bewegen.
Gedanken über Gedanken. Wie ein Wirbelsturm fegten sie in meinem Kopf umher.
Und die Zeit verlangsamte sich, so dass alles wie in Zeitlupe dahin floss. Mein Herz begann zu zittern, als hätte es Angst vor der nahen Zukunft.

„Beweg dich! Los! Tu etwas dagegen!", befahl ich mir.

Nichts geschah. Nur er kam näher und näher.
Wieso verließ mich meine Kraft gerade jetzt, wo ich sie doch am meisten brauchte? Er durfte es nicht tun. Niemals.
Doch das wusste er nicht. Er lebte noch immer in seiner friedlichen Unwissenheit. Und vielleicht war es das, was es für mich so schwer machte, mich zu wehren. Vielleicht wollte ich einfach nicht seine Hoffnung zerstören.

Er schloss die Augen und sein Atem streifte mein Gesicht.
Ich blickte ihm starr ins Gesicht.
Still hoffte ich, dass er von selbst aufhören würde.
Verzweiflung. Angst.
Was würde geschehen, wenn er es tat? Würde man mich verbannen? Mich foltern? Mich töten? Oder würde man mir mein Herz heraus reißen? Ihn vor meinen Augen töten, weil er es gewagt hatte mich zu berühren?

„Tu es nicht! Bitte! Komm mir nicht zu nahe. Töte mich stattdessen! Bring mich um! Bitte!"

Ich verzweifelte.
Wieso tat er das? Wusste er den nicht was ich war? Wie gefährlich ich war? Wie tödlich?
Tränen. Sie suchten ihren Weg über meine Wange hinab zum Boden.

Er stoppte.
Wenige Millimeter trennten uns.
Er war mir so nahe. So nahe. Ich hätte ihn so gerne berührt. So gerne. 

Er öffnete die Augen.
Der Himmel. In seinen Augen strahlte ein blauer Himmel, so wunder wunderschön. Das schönste was ich in meinem Leben je gesehen hatte. Und ich glaubte, einem Engel gegenüber zu stehen. 

„Du weinst...", flüsterte er.
Ich starrte ihn an. Meinen Engel.
„Du...du darfst nicht." Er schaute mich mit seinen wunderschönen Augen an und ich versank im Himmel.
„Wieso nicht? Sag es mir. Bitte." Er wollte seine Hand auf meine Wange legen, doch ich schritt zurück.
„Du würdest es bereuen. Glaub mir." Ich blickte zu Boden. Ich konnte seine Schönheit nicht länger ertragen.
„Woher willst du das wissen? Woher willst du wissen, das ich es bereuen würde?" 

Ich schwieg. 

„Mein ganzes Leben habe ich in Dunkelheit verbracht. Ich habe nie gewusst, wo mich mein Weg hinführte. Ich bin immer im Dunkeln getappt. Nie habe ich Licht gesehen. Immer nur Schatten, Dunkelheit. Und nun sehe ich endlich Licht. Genau vor mir. Und ich würde es so gerne in meine Arme nehmen und nie mehr loslassen. Es nie mehr aus den Augen lassen und nie mehr hergeben. Und nun sagst du, ich würde es bereuen, dieses Licht zu umarmen."
Er weinte. Ich sah ihn nicht an, doch ich konnte fühlen das Tränen der Trauer aus ihm heraus brachen. Ich konnte seit unserem ersten Treffen all seine Gefühlsregungen fühlen.
„Jetzt wo ich endlich Licht gefunden habe, willst du mir dieses Licht wieder wegnehmen? Soll ich wieder im Dunkeln tappen?", fragt er mit zitternder Stimme.
„Wenn du das Licht berührst, wird es sich in ein Höllenfeuer verwandeln und dich töten.", flüsterte ich. 

„Das glaube ich nicht." Er beharrte darauf, dass alles gut werden würde. Doch ich wusste es besser. 

Ich hatte dies alles schon einmal durchgemacht. Ich hatte gesehen, was die Folgen einer Berührung mit mir sind.
„Sag mir, wie kann ein Engel tödlich sein?" Ich blickte ihn erstaunt an. „Siehst du es denn nicht? Du bist mein Engel. Mein wunderschöner Engel der Hoffnung." 

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 10, 2019 ⏰

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