„Lassen Sie das und sagen Sie mir lieber wo Ihr Patient ist"
Eine Gänsehaut überkam mich und ich begann überfordert zu grinsen. Verdammt, war der Junge schon wieder abgehauen? Ein Blick auf das Bett verriet mir, dass meine Vermutung stimmte. Seufzend ließ ich den Kopf hängen. „Ich weiß es nicht Dr. Kim. Er muss wieder irgendwo auf dem Klinikgelände sein. Ich werde sofort nach ihm suchen", erwiderte ich ergiebig und wartete auf ein zustimmendes Nicken seinerseits. Der Chefarzt rieb sich mit verzogenen Augenbrauen die Schläfen und stöhnte frustriert auf: „Was ist nur los mit dir, Kim? Na los doch, ich helf' dir suchen".
Und damit stürmte er an mir vorbei aus dem Raum. Wie bitte? Er wollte mir helfen? Blinzelnd verließ auch ich das Zimmer und schüttelte ungläubig den Kopf. Konnte Dr. Kim... nett sein? Zu mir? Wow, heute schien dann wohl doch nicht alles komplett schief zu laufen.
Ich bat auch wieder einige Schwestern darum beim Suchen zu helfen, welche sich auch direkt davon machten und die ersten Beiden Stockwerke ablaufen wollten. Ich selbst versuchte mein Glück im dritten Stockwerk und Dr. Kim wollte sich das vierte Stockwerk vornehmen. Doch auch nach einer halben Stunde war von dem Schwarzhaarigen keine Spur zu finden.
Geschaffen ließ ich mich an eine Wand fallen und musterte überlegend das Fenster mir gegenüber. Zig Regentropfen bahnten sich plätschernd ihren Weg an der Scheibe herunter und erschwerte mir die Sicht nach draußen. Wo konnte er nur sein? Die Suche blieb nicht nur bei mir, sondern auch bei den übrigen Drei erfolglos und so langsam begann ich mir sorgen zu machen. Natürlich war Jeongguk kein Kind mehr, trotzdem war es gefährlich in einem Krankenhaus rumzugeistern. Weiß Gott in welche Räume der Junge gehen konnte und welche Medikamente oder Utensilien er wohlmöglich fand.
Jammernd kratzte ich mich am Kopf. Wo sonst konnte er sein? Theoretisch könnte er nur noch draußen sein, allerdings wird er wohl schlau genug sein um nicht in dem strömenden Regen draußen irgendwo rumzulungern.
Gerade als ich mich wieder aufmachen wollte, um weiter zu suchen, kam ein tropfend nasser Hoseok auf mich zu gelaufen. Keuchend kam er vor mir zum stehen: „Tae, du hast doch... da draußen ist...". „Hey, jetzt atme erstmal durch! Wieso bist du überhaupt so nass?" Er schluckte und atmete tief durch, bevor er etwas ruhiger, jedoch noch immer etwas gehetzt zu erzählen begann: „Meine Schicht hat gerade angefangen und als ich vom Parkplatz ins Krankenhaus laufen wollte, hab ich deinen Patienten gesehen und..." „Was? Wo?!" „Draußen auf einer Bank im Park, aber er wollte nicht mit rein kommen, deshalb bin ich zu dir. Er ist doch dein Patient"
Entrüstet zog ich mir an den Haaren. „Was ist nur mit diesem Jungen los? Danke Hoseok, ich schuld' dir was!", und damit begann ich loszusprinten um Jeongguk wieder ins trockene zu bringen.
Hoseok und ich waren sein der Uni miteinander befreundet. Er war hier Pfelger und während ich in dieser Klinik meine Praktiken hatte, hatte er mich an die Hand genommen und versucht mir so gut wie möglich unter die Arme zu greifen. Er war ein herzensguter Mensch und egal wo er war, es schien die Sonne sobald er den Raum betrat.
Diesmal nahm ich sogar freiwillig die Treppen, da ich so viel schneller im Erdgeschoss war und somit auch schon kurze Zeit später aus dem Haupteingang stürmte. Die verwirrte Blicke die mir hierbei zugeworfen wurden ignorierte ich gekonnt.
Erst als ich das warme Gebäude verließ bemerkte ich wie stark das Unwetter war und schützend wickelte ich mir meinen Kittel fester um mich selbst. Schnellen Schrittes gelang ich in den Klinikpark und sah mich suchend um. „Jeongguk?!", rief ich, bekam allerdings keine Antwort. Was hatte ich auch erwartet? Verdammt, ich hätte mir wenigstens einen Regenschirm mitnehmen sollen. Ich zitterte und die prasselnden Regentropfen ließen mich erschaudern. Das letzte Mal, als ich in solch einem Regenschauer draußen war, war...
„Du kannst mir das nicht antun! Was hab ich dir getan!?"
„Die Sache ist bereits geklärt Taehyung! Du wirst diesen Jungen nicht mehr treffen! Hast du mich verstanden!?"
„Ich hasse dich!"
Das waren die letzten Worte die ich meinem Vater entgegen schleuderte, bevor ich die Tür hinter mir zuschlug und heulend durch strömenden Regen davon lief. Meine Hand auf meiner schmerzenden Wange, die bestimmt noch rot vom Schlag war. Ich hasste ihn. Ich hasste meinen Vater und ich hasste diese Familie. Während nicht nur der Regen, sondern auch meine Tränen mir die Sicht verschwimmen ließen, rannte ich zielgerichtet zu meinem Lieblingsplatz. Den Klippen. Es war der Ort unseres ersten Dates. Unseres ersten Kusses. Dieser Ort, er war alles was ich noch hatte. Warum mich mein Vater nicht akzeptierte? Er konnte sich selbst nicht ausstehen.
Die Wahrheit schmerzte aber es gab keinen anderen Ausweg.Es dauerte nur knappe Zehn Minuten bis ich am Rande der Klippen saß und mit schmerzverzerrtem Gesicht mein Handy in der Hand hielt. Es ging nicht anders.
Und das war die letzte Nachricht an ihn bevor ich mein Handy und somit alles was mich an ihn erinnerte in das tobende Meer unter mir warf. Noch eine Weile blieb ich dort sitzen. Wartete auf ein Wunder, oder wohlmöglich doch auf Namjoon. Hoffte inständig, dass er mich finden würde und mit mir davon laufen würde. Doch so weit kam es nie. Als ich nach Stunden von meinem Platz aufstand, der Regen hatte bereits gestoppt, ebenso wie meine Tränen, blieb ich noch einen Moment still und genoss das Geräusch der Wellen, die an der Klippenwand brachen und so ihre eigene kleine Symphonie spielten. Es war unruhig und aus dem Takt. Hatte keinen Rhythmus und spielte so, wie es wollte. Ohne Vorschriften. Es war frei. Das Meer war all das, was ich sein wollte, aber nicht sein konnte. Ein letzter sehnsüchtiger Blick, dann kehrte ich dem Horizont den Rücken zu. Ich tat einen Schritt nach vorne. Dann passierte es. Der Grund war von all dem Regen ganz rutschig geworden und mein unbedachter Schritt führte zum unvermeidlichen. Ich landete unsanft mit dem Rücken am Ende der Klippe, rutschte weiter hinab in den Abgrund, konnte mir nicht helfen, fand keinen Halt. Und mit einem Satz, befand ich mich im freien Fall. Nein, so sollte das nicht enden. So durfte das nicht enden! Panisch schloss ich meine Augen und schrie mir die Seele aus dem Leid. Das Gefühl für Zeit und Raum hatte ich verloren. Während es tatsächlich nur einige Sekunden dauerte, kam es mir so vor als würde ich stundenlang in ein bodenloses Loch fallen. Das Aufschlagen auf der Wasseroberfläche und das folgende Untertauchen in das Dunkle bekam ich nur am Rande mit. Sollte es tatsächlich so enden? Wenn ja, dann konnte ich wenigstens von mir behaupten, dass ich in Freiheit gestorben war. Das Letzte an das ich mich erinnern konnte, war ein starker Griff um mein Handgelenk, was ich allerdings als Algen abtat, die mich mit festem Griff umschlingen würden um mich in der Tiefe fest halten zu können, weit weg von all dem Unheil an der Oberfläche.
Ich wachte am nächsten Tag am Strand auf, hustend und keuchend. Ohne eine Ahnung, wie ich überlebt hatte und wie ich zurück auf festen Boden gekommen war. Aber was mir noch mehr zu Bedenken gab, waren die drei, zentimeterlangen, parallelen Schnittwunden, die tief an meinem Handgelenk prangten.
„Taehyung?"
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silver | k.th. x j.jg.
Fiksi PenggemarAls der junge Arzt Taehyung seinen neuen Patienten zugewiesen bekommt, hätte er nicht damit gerechnet in etwas verwickelt zu werden, von dem er zuvor noch gedacht hätte, soetwas wäre unmöglich. Undenkbar. Unglaublich. Doch es war echt. Er war echt.