Der, der anhielt

171 23 44
                                    

Heyy Leute,

ich hatte ja geschrieben, dass bald das erste Kapitel von "Das Herz, das in tausend Teile zersprungen ist" von mir hochgeladen wird.

Und jetzt ist es endlich draußen.
Ich hoffe, es wird euch gefallen und ihr lasst vielleicht die ein oder andere Rückmeldung da.

Ich möchte euch nicht weiter aufhalten,
also, viel Spaß beim esen!!

Gedankenwirrkopf <3

Da stand er.

Er sah mich mit seinen eisigen hellblauen Augen an.

Ich war überrascht. Er war der erste Mensch, der angehalten hatte um zu hören, was ich auf meiner Geige, die statt einer normalen Schnecke einen Löwenkopf hatte, spielte. Alle Menschen gingen hastig an mir vorbei und würdigten mich keines Blickes. Sie warfen höchstens ein Fünfzig-Cent-Stück in meinen offen vor mir liegenden Geigenkasten.

Doch dieser Junge, der knapp zwei Jahre älter war als ich, war anders als die anderen Menschen dieser Welt. Er stand da und hörte meinem traurigen Stück zu. Als er mir in die Augen blickte, schaute ich schnell wieder auf mein Notenblatt, das vor mir auf dem Notenständer stand. Ich sah nur noch aus den Augenwinkeln, dass er einen Fünfzig-Euro-Schein in meinen Kasten warf. Dann entfernte er sich, ich sah seine Schuhe nicht mehr.

Als ich mit dem Stück zu Ende war, hörte ich Applaus einer einzigen Person. Ich sah mich um. Der Junge mit den eisigen Augen und den kurzen, braunen, gelockten Haaren lehnte auf der anderen Straßenseite an einer Mauer und applaudierte. Ich verbeugte mich leicht und setzte schnell die Geige wieder an. Während ich wieder anfing zu spielen, beobachtete ich den hübschen, spendablen Jungen.

Er überquerte die Straße und lief schnurstracks in das Gebäude neben mir. Eine Eisdiele.

Kurz darauf kam er wieder heraus. Mit zwei Kokosnussschalenhälften und zwei großen Stücken Klebestreifen in der Hand. Mit diesen klebte er sich die Kokosnussschalenhälften an die Unterseite seiner Schuhe. Er sprang leicht auf und ab. Es hörte sich an wie ein Pferd oder wie jemand, der versuchte zu steppen.

Mir ging ein Licht auf: der Junge wollte zu meinem Geigenspiel steppen. Der braunhaarige Junge sah mich an, nickte mir zu und fing dann an zu steppen. Er sprang wild auf und ab und man hätte meinen können, er wäre von etwas gestochen worden. Er sah aus als wäre er verrückt geworden.

Doch der Klang seiner Bewegungen verwandelte mein langsames Stück in ein schnelles, wildes, heiteres Lied. Der Junge steppte und ich ließ meine Finger unkontrolliert über das Griffbrett fliegen. Dadurch verspielte ich mich immer mehr, aber das störte niemanden. Die Menschen blieben verwundert stehen. So etwas hatten sie noch nie gehört! Es war etwas ganz Neues in ihren Ohren und es gefiel ihnen, denn sie warfen ordentlich Geldstücke in meinen Geigenkasten. Ich sah den Jungen mit den eisig blauen Augen dankbar an und er lachte. Dieser magische Junge hatte mein langsames, trauriges Geigenspiel in etwas Neues, Verrücktes, Außer­gewöhnliches verwandelt. Die Menschen sahen belustigt dem Jungen zu, der mit den Kokosnuss­schalenhälften steppte.

Eine Frage schoss mir an diesem Abend mehrmals durch den Kopf: »Warum hilft er mir?«

Die Stimme des magischen Jungen hörte ich an diesem Abend nur ein einziges Mal. Als wir uns mit Blicken verständigt hatten aufzuhören und ich meine Noten in meine Tasche packte, rief er den sich lang­sam auflösenden Grüppchen zu: „Vielen Dank für ihre großzügigen Spenden!" Seine Stimme war eisig, aber zugleich hatte sie eine gewisse Wärme in sich. Sie war weich und klang noch lange in meinen Ohren.

Das Herz, das in tausend Teile zersprungen ist [Kurzroman]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt