"Wieso nicht?", rief ich aufgebracht und ballte meine Hände zu Fäusten.

"Madeleine! Du bist eine Frau! Du gehörst nach Hause in die Küche oder an deine Nähmaschine!", schallt mein Vater mich.

"Du weißt, dass ich es kann", schniefte ich, "Du weißt, dass ich gut bin und es schaffen würde"

Wütend strich ich mit meiner Faust die Tränen meiner Wut weg.

Das alles ist so unfair. Ich habe es verdient zu studieren. Wer soll, denn sonst Papas Praxis übernehmen? Louis ist ja noch auf seiner Studienreise in Moskau.

"Madeleine", brachte mein Vater mich wieder ins Jetzt, "Es hat seine Gründe wieso Frauen nicht studieren dürfen. Und besonders nicht Medizin. Die Frau ist anatomisch nicht dafür gemacht zu studieren. Du weißt doch, das Gehirn...", er machte ausschweifende Bewegungen.

Seufzend ließ ich meine Fäuste wieder fallen und blickte zu Boden.

Wäre ich als Junge geboren stünden mir alle Wege offen, doch als junge Frau hatte ich meine "familiären" Pflichten zu erledigen, wie meine Mutter es mir eintrichterte.

"Wer soll denn deine Praxis übernehmen, Papa?", versuchte ich es nun auf einem anderen Weg. 

"Ein alter Freund von mir...er hat einen Sohn, der Medizin studiert hat. Er sucht nach einer Stelle...wie hieß er noch gleich? Mhhh, William hieß er glaube ich"

Ungläubig blickte ich zu meinem Vater hoch. 

Das konnte doch nicht sein Ernst sein! Er würde die Praxis doch nicht wirklich einem dahergelaufenen Jüngling überlassen. 

"Papa", setzte ich an, doch ich wurde von ihm direkt unterbrochen.

"Madeleine, ich sagte es reicht. Du wirst mit der Praxis nichts am Hut haben! es reicht mir schon, wenn du die Verbände wechselst"

Ich machte auf dem Absatz kehrt und rannte in mein Zimmer. Es füllte sich an wie ein Schlag ins Gesicht. So oft hatte ich Papa in der Praxis geholfen oder Louis damals als er noch da war, und jetzt? Jetzt wo ich in das "heiratsfähige" Alter gekommen war, sollte damit Schluss sein? Damit ich die Männer nicht verjage? Wohl eher damit diese sich neben mir nicht unwohl fühlen, weil ich vielleicht gebildeter war als sie. 

Seufzend öffnete ich die Tür meines Zimmers und setzte mich auf mein Bett. Das Zimmer war relativ groß und hell. Es war mit weißer Tapete bestrichen und mit einer goldenen Bordüre beklebt worden. Es war riesig in der Mitte stand ein großes weißes Bett mit goldenen Verzierungen darüber hing ein Gemälde, das meine Mutter für mich gemalt hatte. Es zeigte einen wunderschönes Waldinneres durch den ein Fluss floss. Rechts gegenüber stand an der Wand mein Frisiertisch, der den gleichen Stil aufwies wie mein Bett.

Links von meinem Bett stand ein riesiger Schrank und daneben eine Kommode. Außerdem gab es in meinem Zimmer noch eine gläserne Tür, die zu meinem französischen Balkon führte.Durch die großen Fenster an der Ostseite hatte ich kaum Dunkelheit und im Sommer natürlich kaum Schatten. Ich griff nach dem in Leder eingebundenen Buch, welches auf meinem Bett lag. Es war eins der Bücher aus der Bibliothek meines Vaters. 

"Die Anatomie des Menschen" 

Gedankenversunken begann ich wieder darin zu blättern und mir vorzustellen wie das ganze wohl in echt aussehen würde. 

"Chérie!", durchbrach eine helle Stimme die Ruhe.

Die Tür ging auf und meine aufgebrachte Mutter betrat mein Zimmer. Ich klappte das Buch zu.

"Excusez-moi Maman, aber ich war in Gedanken"

"Du träumst zu viel Chérie! Außerdem gehört es sich nicht für eine Dame das Buch ihres Vaters ohne Erlaubnis zu nehmen und schon gar nicht wenn er es dir verbietet!"

Ich schaute schuldbewusst auf den Boden.

"Excusez-moi Maman"

"Leg es wieder dorthin wo es war und mach dich fertig. Unser Gast wird bald hier sein"

"Ja Maman!"

Bei dem Wort "Gast" kam mir wieder die Galle hoch. Das Wort wurde immer als Synonym für Heiratsanwärter benutzt und bis jetzt verliefen so welche Treffen immer negativ. Nämlich damit, dass ich den Mann so "vergraulte" mit meiner Art, dass er schleunigst die Beine in die Hand nahm und verschwand.

'Das gehört sich für eine Dame nicht!' hatte meine Mutter gesagt und es würde meine Chancen auf einen guten und geeigneten Ehemann stark vermindern.Dabei wusste ich das meine Mutter mich einfach nicht als alte Jungfer sehen wollte und sich seit meinem 18. Lebensjahr das vor ein paar Wochen begann nichts sehnlicher als eine Hochzeit und Enkelkinder wünschte.Ich weiß es klingt grotesk und bizarr, aber meine Mutter heiratete selbst mit 16 und brachte ihr erstes Kind mit 17 zur Welt, deshalb dachte sie, dass meine Zeit nun auch reif war.

Leider wollte ich etwas ganz anderes.

Ich zwängte mich in das rosafarbene Kleid und strich mir noch einmal durch meine blonden lockigen Haare. Mit einem letzten prüfenden Blick in den Spiegel, drehte ich mich um und verließ mein Zimmer. 

Diesem "Gast" würde ich schon zeigen wo der Hammer hängt. 


Madeleine   (früher die Tochter des Chirurgen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt