° T•H•R•E•E Kíķì°

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Langsam gehe ich jeden einzelnen Raum ab, bleibe überall kurz stehen. In meinem Kopf beginne ich die Räume einzurichten. Klar, die Wohnung ist nicht gerade sauber und überall sind kleine Einbuchtungen in der Wand. Der Putz fällt an machen Stellen herunter. Carlos und du kriegen das schon hin, sage ich immer wieder vor mich hin.

Es war die einzige Wohnung gewesen, die wir uns leisten konnten und wo es kaum Mitbewerber gegeben hat und so gehört sie schliesslich uns. Seit  Jahren träume ich davon, endlich auszuziehen, weg von der erdrückenden Stimmung, in den Räumen, die ich noch mein Zuhause nenne.

Alles was ich wollte, war zusammen mit Carlos diese Wohnung auf Vordermann zu bringen und hier zu wohnen.

Langsam rutsche ich mit dem Rücken an der Wand herunter, bis ich auf dem Boden sitze. Diesen Raum haben wir als Wohnzimmer geplant. Die eine Wand besteht fast nur aus Fenstern und einer Balkontür. Von dem aus haben wir einen wunderschönen Blick über Berlin.

Eigentlich ist es unser Glück, das diese Wohnung nicht gut in Schuss ist, sonst hätten wir sie nie bekommen. Sie hat sogar genug Platz für Kinderzimmer. Ich fange an zu Grinsen. Ja, ich wollte Kinder, doch ich musste Carlos davon noch überzeugen.

Im Gegensatz zu mir, die ihn am Liebsten sofort geheiratet hätte, wollte er es langsam an gehen lassen. Wir haben ja auch genug Zeit, unser Leben liegt noch vor uns. Ich habe gerade mal mein Abitur hinter mir gebracht und Carlos versuchte jetzt ohne dies einen Job zu finden. Es war natürlich möglich, wurde aber immer schwieriger.

Ich stehe auf und streiche eine Sträne, die sich aus meinem Zopf gelöst hat hinter mein Ohr. Dann setzte ich meinen Rundgang fort. An der Balkontür angekommen, öffne ich diese und trete auf den Balkon. Nach zwei Schritten habe ich das Geländer erreicht, lehne mich daran und schließe die Augen.

Der Wind weht sanft um meinem Körper. Das Grinsen aus meinem Gesicht will nicht mehr verschwinden  und ich versuche auch nicht es zu verbergen. Vor wem denn auch?

Einige Zeit später öffne ich meine Augen wieder und gehe wieder hinein. Dort fange ich an, die Sachen aufzuräumen, die ich bei meiner Übernachtung mitgebracht und ausgebreitet habe, wieder einzusammeln.

Ich weiß, ich muss zurück zu Zoe und meiner Mutter. Ihr geht es wieder schlechter und ich kann meine Schwester nicht im Stich lassen.

Seufzend mache ich mich auf den Rückweg. Immer wieder sage ich mir, dass diese Zeit bald hinter mir ist. Und dann kriecht das schlechte Gewissen wieder in mir hoch. Ich kann Zoe nicht mit ihr alleine lassen, dabei sollte sie doch eigentlich die sein, die uns beschützt. Doch das kann sie nicht. Eine Lösung haben wir immer noch nicht gefunden.

Auf meinem Weg komme ich an einem Blumenladen vorbei und beschliesse, einen Strauß mitzunehmen. Damit kann ich meine Mutter vielleicht eine kurze Zeit bei einer guten Laune halten.

Mit den Blumen in der Hand, öffne ich unsere Haustür und trete ein. "Mama? Zoe? Ich bin wieder zuhause.", rufe ich in den Raum hinein. Keine Antwort. Das wundert mich, denn eigentlich habe ich beide hier erwartet. Achselzuckend gehe ich in die Küche um eine Vase aus dem Schrank zu holen. Ich befülle sie mit Wasser und stelle die Blumen hinein. Danach schaue ich mich im Raum um. Die Unordnung, die hier durchgängig herrscht scheint sich verstärkt zu haben. Nachdem ich die Blumen auf der Fensterbank platziert habe, beginne ich, die Küche aufzuräumen.

Als ich an der Spüle angekommen bin und gerade heiße Wasser einlaufen lasse, höre ich, wie sich die Tür öffnet. "Kiki?", höre ich die Stimme meine Schwester. "In der Küche.", antworte ich und tue einen Klecks Spülmittel in das Wasser.

Kurz darauf steht Zoe neben mir und nimmt sich ein Handtuch. Ich lächele sie an und sie lächelt zurück. Eine Weile arbeiten wir schweigsam nebeneinander. Wir sind ein eingespieltes Team. "Wo ist eigentlich Mama?",unterbreche ich die Stille.

"Bei Oma, sie wollte irgendwas mit ihr besprechen."
Ich schaube nur und saubere die Spüle. "Als ob sie in der Lage wäre irgendwas vernünftiges zu klären. Wie ist sie dort hingekommen?"
"Ich bin mit ihr zusammen mit den Bus gefahren." Als Antwort nicke ich einmal und verlasse die Küche.

In meinem Zimmer angekommen lege ich mich auf mein Bett und schaue an die Decke. Früher habe ich meine Mutter verehrt, doch irgendwann war da nur noch Wut auf sie, die ich spürte. Ich kann verstehen, wie schwer es ist, von seinem Mann verlassen, zwei Kinder großzuziehen. Aber sie hat es nicht gemacht. Sie hat sich nicht um uns gekümmert. Ist in ihrer Trauer versunken, hat sich nur um sich gekümmert, uns vergessen.

So habe ich schnell lernen müssen, mich um meine Schwester zu kümmern.

Mein Klingelton holt mich aus meinen Gedanken. Carlos hat mir geschrieben. Automatisch fange ich an zu Lächeln und lese: "Hey Schatz, ich hab Farben und Pinsel gekauft, dann können wir morgen streichen." Schnell antworte ich ihm und lege mein Handy dann wieder neben mich auf das Bett.

Dann richte ich mich auf und will gerade anfangen, mein Zimmer aufzuräumen, als ich unten die Haustür höre. Da ich vermute, das meine Mutter zurück ist, gehe ich die Treppe herunter. Meine Vermutung bestätigt sich. Ich folge meiner Mutter in die Küche. Dort erst nimmt sie mich wahr. "Kiki, Hey, wie schön.",sagt sie und geht auf mich zu.

Sie benimmt sich beinah so, als wäre ich ewig nicht da gewesen. "Ja äh hi Mama...ähm ich habe Blumen gekauft, gefallen sie dir?"
Mit einem Blick auf die Blumen antwortet sie: "Oh ja, sie sind wunderschön." Dann setzt sie sich auf einen der Küchenstühle und zeigt auf dem neben ihrem.

Zögernd setzte ich mich. "Und wie ist es in der Wohnung? Hast du gut dort geschlafen?" Überrascht sehe ich sie an und nicke langsam. "Ja, es muss noch viel gemacht werden, aber Carlos und ich schaffen das schon."

"Ach ja Carlos, dein Freund. Bring ihn doch mal wieder mit, ich finde ihn so nett." Ich staare sie weiterhin verblüfft an und nicke wieder. Auf einmal spüre ich einen Drang dazu, ihr etwas zu erzählen, Dinge aus meinem Leben, die sie nicht mitbekommen hat. Doch dann hat sie ihren Blick dem Fenster zugewandt und ich weiß, das ich jetzt nicht mehr versuchen darf, dass sie mir zuhört.

Enttäuscht stehe ich auf. Eigentlich hätte ich es wissen müssen. Wie naiv von mir zu denken, sie würde sich einmal länger als 5 Minuten für mich interessieren.

^druck oneshots^Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt