Die große Jagd - II

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Die Nacht war längst hereingebrochen, als Loki und Thor von den Pferden stiegen. Sie waren die letzten Stunden gut vorangekommen und im Schutz der Dunkelheit waren ihnen weitere Konfrontationen erspart geblieben. Diesmal war Loki wachsamer und sobald er nur die kleinsten Anzeichen von Magie spürte, verbarg er ihre eigene Anwesenheit unter einem Schleier aus Magie.
„Sieht so aus, als wäre hier vor kurzem noch jemand gewesen", stellte Thor halblaut fest, während er in die Hocke ging und die Kohle mit einem Stöckchen anstocherte: die Glut war heiß, doch der Rest des Lagers verlassen. Hier und da lagen ein paar Gegenstände herum, Beutel, Tinkturen und je genauer Loki alles betrachtete, desto eher bekam er das Gefühl, dass man diese Raststätte in Eile verlassen hatte. Da sie sich an der Grenze zu den Sümpfen befanden, war das kein allzu gutes Zeichen.
„Sieht eher so aus, als hätten sie es eilig gehabt", warf Loki ein und betrachtete die Reste von halb gegessenem Kaninchen im Topf. „Fast so, als wären sie vor etwas ..."

Plötzlich ertönte ein ohrenbetäubendes Grölen. Direkt aus den Marschen, erst tief und wütend, dann hoch und aggressiv, ein bisschen wie das Zischen einer übergroßen Schlange. Loki sah zu Thor und dieser nickte stumm. 

Sie ließen ihre Pferde stehen und eilten in die Dunkelheit der Sumpfwälder.
Thor war als erster vor Ort, das Schwert schon in der Hand, als Loki hechelnd neben dem Prinzen zum stehen kam. Der schnelle Lauf durch Matsch und unebenes Gelände hatte ihm einiges abverlangt und stumm beschloss er, zukünftig an seiner körperlichen Verfassung zu arbeiten. Denn was brachte es, zu zaubern, wenn man so sehr außer Puste war, das man es kaum konnte?
Noch ehe er weiter darüber nachdenken konnte, spürte er Thors Hand auf seiner Schulter und Loki hob den Blick auf den Tümpel vor ihnen, wo sich ein grässliches Schauspiel bot:

Eine mindestens drei Meter große Bilgenschlange hatte einen asischen Krieger mit ihrem Schwanz am Fuß gepackt und hielt ihn schwenkend vor sich, wie eine schuppige Katze, die sich die Zeit mit ihrem Spielzeug vertrieb. „Sie wird ihn töten", keuchte Loki atemlos und schnappte krampfhaft nach Luft.
Thor nickte, beide Kiefer fest aufeinander gedrückt. „Wettkampf hin oder her ...  sie schaffen es nicht alleine."
"Nein, tun sie nicht." Loki schielte zu einem weiteren Mann am Rand des Tümpels, den er als Brakin erkannte, einen Magier mittleren Alters. Brakin war absolut in Ordnung und immer nett zu ihm gewesen. Nett und absolut unbekümmert. Doch jetzt stand Todesangst in seinen sonst so warmen braunen Augen. Er war mit der Situation haltlos überfordert und nach eingehender Analyse der Lage, verstand Loki, warum.
Der Panzer der Bilgenschlange war kaum zu durchdringen und das Einzige, was dieses Biest wirklich aufhalten konnte, zumindest kurz, war ein saftiger Zauber gegenteiligen Elements – hier begann und endete das Problem, denn ein Blitzschlag würde auch den Krieger grillen, wenn er nur ein bisschen zu hart geriet, oder nicht richtig traf.
„Ich gehe da jetzt rein!", knurrte Thor und wollte schon in den modrigen, kniehohen Teich springen, als Loki ihn mit einem festen Griff zurück hielt.
„Warte, es ist schlimmer als es aussieht. Vertrau mir."
Verwirrt gehorchte Thor und blieb stehen. Loki hingegen machte ein paar Schritte nach vorne, blieb kurz vor dem Wasser stehen und wedelte mit den Armen, um Brakins Aufmerksamkeit zu erhaschen. „Raus aus dem Wasser!", rief er, doch der andere Seidr zögerte.
„Ich kann nicht, er wird sterben!", rief er ihm schließlich über den kreischenden Lärm zu, ohne sich von der Stelle zu rühren.
Loki biss sich auf die Unterlippe. "Komm schon, du musst ..."
Es war Thor, der ihn unterbrach. Er hob sein Schwert, sah zu Brakin, der seinen Blick erwiderte, dann deutete er an den Rand des Tümpels. „Ich weiß, die Jagd macht alle Männer gleich, doch ich bitte dich, im Namen der Krone, geh aus dem Wasser! Jetzt!"
Es dauerte einen Moment, doch Thors Auftritt zeigte Wirkung. Brakin brach aus seiner ohnmächtigen Haltung, stapfte aus dem Wasser und war in wenigen Augenblicken bei ihnen, die Hände kraftlos auf die Knie gestützt. Der Schrecken stand ihm ins Gesicht geschrieben, ebenso wie die Erschöpfung. Wer wusste schon, wie lange sie mit dem Biest fochten. Loki lief zur Seite, suchte eine gute Position, doch plötzlich packte Brakin ihn so fest am Ärmel, dass Loki alarmiert herum fuhr.
„Loki, ich kann das nicht", sprach er zwischen schweren Atemzügen. „Ich kann das nicht tun. Er ist mein Bruder, Loki! Bitte ... du musst ..."

Loki nickte. Dann sah er zu Thor. "Wenn die Schlange ihn freigibt ...", falls sie das tut! "... musst du ihn sofort aus dem Wasser ziehen. Ich lenke das Biest solange ab."
„Loki ..."
„Geh jetzt!", herrschte er den Prinzen an, dass sogar Brakin zusammen zuckte. Thor musterte ihn stumm, überfordert, doch schließlich nickte er und lief los, um selbst eine gute Position zu finden.

„Danke Loki ..."Brakin ließ sich vollkommen kraftlos neben ihm zu Boden sinken und konnte kaum zum Wasser hinaussehen.
„Danke mir erst, wenn es geschafft ist." Loki arbeitete sich am Wasserrand entlang, beobachtete die Schlange, ihre Bewegungen. Sanft, aber nicht zu sanft, ermahnte er sich selbst, ehe er alles um sich herum ausblendete und sich konzentrierte. Sanft, aber nicht zu sanft. Vorsichtig. Aber nicht zu sehr. In Ordnung. Er war bereit. 

Herz über Kopf #1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt