Neue Bekanntschaften

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Aaro blickte schwer seufzend auf die Uhr in der großen Aula. Es war noch ein wenig Zeit bis zum Beginn der ersten Stunde, also nutzte er die verbliebenen Minuten, um auf die Toilette zu gehen.

Sein Blick fiel auf die vielen Schilder der getrennten Bäder. Sechs Stück, getrennt nach Kaste und Geschlecht. Er betrat die Toilette für Alpha-Männchen und wusch sich erstmal mit kaltem Wasser das Gesicht, um sich von der Begegnung mit Keigo zu reinigen und um den Duft zu neutralisieren, der ihm noch immer in der Nase hing. Dieses kleine Stinktier...

Seufzend ging er zum Pissoir und hielt inne, als er einen weiteren Alpha sah, der sich an der Wand abstützte, aber keineswegs mit Pinkeln beschäftigt war. Aaro rümpfte die Nase, während sich der Kerl stöhnend einen runterholte.

»Sorry«, grunzte der Kerl. »Die Kabinen sind alle besetzt. Sind bestimmt auch alle mit Wichsen beschäftigt. Kein Wunder, bei diesen verfickten Omegas, die ihre verdammten Hormone nicht im Griff haben!«

Er drehte sein Gesicht weg und spritzte mit einem wütenden, grollenden Geräusch in sein Taschentuch ab.

Aaro öffnete seinen Reißverschluss und stellte sich gelassen ans Pissoir. »Was ist los mit euch? Noch nie einen Omega gerochen?«

»Doch, natürlich«, murrte der fremde Alpha und verschloss seine Hose. »Aber ein paar von diesen Hündinnen haben ihre Medikamente nicht geschluckt, wie es scheint. Sie sollten per Gesetz dazu verpflichtet werden. Oder sie sollten ihre Gelüste gleich zugeben. Wenn's nach mir ginge...« Seine dunklen, beinahe schwarzen Augen glühten auf. »Diese läufigen Schlampen sollten sich artig in den Ruheräumen auf den Bauch legen und sich begatten lassen. Wäre das beste für alle. Wie soll man diesen süßlichen, geilen Geruch sonst ertragen?«

»Übertreib nicht«, seufzte Aaro und dachte an Jin. Der Gedanke daran, dass sein Liebster von anderen Alphas genommen wurde, machte ihn rasend vor Zorn. »Ein Omega sollte nur einen Alpha haben. Und umgekehrt.«

Der Alpha lachte hämisch auf. »Unsinn! Brutschlampen sind das, sonst gar nichts.«

Irgendwie hatte Aaro das Bedürfnis, diesem Kerl ins Gesicht zu schlagen. Er schüttelte ab, schloss seine Hose und musterte den fremden Alpha eindringlich.

Er hatte eine machtvolle, angespannte Aura um sich und er verströmte einen würzigen, herben Geruch, das Testosteron drang ihm aus jeder Pore. Aaro schluckte schwer und seine Augen fixierten die definierten Muskeln des Alphas.

Beide gingen zum Waschbecken, der Alpha entsorgte sein Taschentuch und sie wuschen sich die Hände. Danach reichte der Alpha Aaro unvermittelt die Hand.

»Ich bin Marek«, sagte der Alpha mit seiner dunklen Stimme. Aaro entdeckte eine tiefe Narbe auf seiner Wange und eine kleine Kerbe in seiner rechten Augenbraue. Dieser Kerl hatte sich bestimmt schon oft um einen läufigen Omega geprügelt. Man konnte Blut und Kampflust an ihm riechen.

»Aaro«, antwortete er zögerlich. Wollte er mit diesem Kerl wirklich etwas zu tun haben? Andererseits musste er sich in die sozialen Geflechte der Schule einfügen und ein Rudel finden, zu dem er dazugehören konnte.

»Welche Klasse?«, wollte Marek wissen.

»B1.«

»Ich auch.« Marek grinste. »Machen wir uns auf den Weg.«





»Das war ja so verdammt klar«, keuchte Aaro, als sie den Klassenraum betraten. Da saß er streberisch in der ersten Reihe, dieser verfluchte Keigo.

»Kann man die Klasse wechseln?«, brummte er, an seinen Artgenossen gerichtet.

»Wegen dieser kleinen Fotze da?«, zischte Marek und hielt sich die Nase zu. »Dieser Läufigkeitsgestank...!«

Selbstbewusst stampfte er vor Keigos Platz auf und schlug die Hände vor ihm gegen die Tischplatte. »Du bist das, nicht wahr? Dein Gestank verpestet hier die Luft. Nimm gefälligst deine Pillen, du verblödete Fotze!«

Keigo hob lässig sein kleines Köpfchen und sah Marek verständnislos an. Dann ballte er die Hand zur Faust und schlug Marek ordentlich in den Schritt, der Alpha jaulte auf und seine Knie wurden sichtlich weich, fast stürzte er zu Boden.

»Ich habe heute keinen guten Tag. Lass mich in Ruhe, du aggressiver Rüde!«

»Halt dich von diesem Kerl lieber fern, der hat sie nicht mehr alle«, zischte Aaro seinem Artgenossen zu, half Marek auf und zerrte ihn von Keigo weg.

»Das ... Das wirst du mir büßen! Ich krieg dich, ich werde dich wund ficken, du kleine –«

»Sei still!« Aaro schleifte Marek in die hinterste Reihe, presste ihn auf einen der letzten freien Plätze und setzte sich neben ihn.

Keigo drehte sich mit einem Grinsen zu ihnen um und fixierte Aaro mit belustigt leuchtenden Augen. »Da hast du dir ja beste Gesellschaft gesucht, Aaro. Ihr gebt ein perfektes Duo ab.«

Aaro nagte an seiner Unterlippe und fragte sich, wie dieser freche Kerl so gelassen mit der ganzen Situation umgehen konnte. Allein in diesem Klassenzimmer gab es sicher ein halbes Dutzend Alphas, die ihn vögeln wollten. Hatte er denn keine Angst, einfach gepackt und genommen zu werden? Aber da war keine Angst in seinen Augen, in seiner Körperhaltung. War das nun bewundernswerter Mut oder war es einfach nur naive Dummheit?

Plötzlich stand Keigo auf und kam in die letzte Reihe, um Aaro mit grimmigem Gesicht einen Zettel zuzuschieben.

»Was ist das?«, murmelte Aaro. »Ein Liebesbriefchen?«

»Unsinn!«, keifte Keigo und stiefelte wieder davon.

Mit gerümpfter Nase öffnete Aaro den Zettel. In mädchenhaft hübscher Handschrift forderte Keigo eine »Revanche« am nächsten Tag nach Schulschluss hinter der Turnhalle.

Aaro verdrehte die Augen. Dieser Verrückte hielt sich wirklich für einen kämpferischen Alpha. Lächerlich. Er knüllte den Zettel zusammen und warf ihn vom Tisch.

Vorne in der ersten Reihe lehnte sich ein zierliches Omega-Mädchen zu Keigo herüber.

»Stimmt es, dass du die Medikamente nicht nimmst?«, fragte sie und schnupperte neugierig. Anscheinend konnten sogar Omegas seinen speziellen Duft wahrnehmen. Aaro wurde immer noch nicht ganz schlau aus Keigos Duftsignatur. Es lagen süße, verführerische Omega-Elemente in seinem Geruch, aber auch dominante, einschüchternde Alpha-Duftnoten.

»Ein starker, stolzer Omega braucht sowas nicht!«, murrte Keigo desinteressiert, ohne das Mädchen anzusehen. Er war anscheinend nicht gerade darauf aus, Freundschaften zu schließen. Dabei waren Omegas als höchst soziale Wesen bekannt und zwischenmenschliche Bindungen bedeuteten ihnen alles. Aaro dachte an Jin und seine reinblütige Omega-Familie. Sie hatten es immer genossen, Gartenfeste mit ihren Nachbarn zu veranstalten. Einfühlsam und zärtlich hatten sie sich nach dem Befinden ihrer Gäste erkundigt, hatten immer ein offenes Ohr gehabt. Jins Eltern waren warme, liebevolle Wesen und ihr Sohn hatte all die positiven, bemerkenswerten Omega-Eigenschaften bereits mit der Muttermilch aufgesaugt. Einst hatte Aaro gedacht, alle Omegas wären so hingebungsvoll und lieb, aber da hatte er sich wohl gehörig getäuscht. Dieser Keigo war eine abartige Laune der Natur...

»Wow, echt cool«, schwärmte das Mädchen. »Ich vertrage die Pillen nicht, mir wird oft schwindlig davon. Vielleicht probiere ich das auch mal aus und setze sie ab.«

»Jaja.« Keigo drehte demonstrativ das Gesicht weg und baute konzentriert einen Turm aus seinen Stiften.

Endlich kam der Lehrer herein und er führte eine erdrückende Aura mit sich, die Aaro fast die Luft zum Atmen nahm. Ein mächtiger, erwachsener Alpha.

»Guten Morgen.« Er rückte seine Brille zurecht und schrieb seinen Namen an die Tafel. »Ich bin Herr Kasmar, euer Klassenlehrer. Ich unterrichte euch in den Basisfächern, Mathematik, Geschichte und Hierarchiekunde. Sport habt ihr bei Herr Webber mit der Parallelklasse A1. Tragt euch bitte bis Ende der Woche online für eure Wahlpflichtfächer ein. Ihr müsst ein kulturelles Fach wählen und die Kurse eurer jeweiligen Kaste besuchen. Die Alphas lernen Selbstbeherrschung, Aggressionsbewältigung und haben zusätzliche Sportkurse. Die Betas bekommen Schulungen zum besseren Verständnis von Alphas und Omegas und besuchen je nach Neigung weitere natur- oder wirtschaftswissenschaftliche Fächer. Die Omegas werden in Hauswirtschaft und Erziehung unterrichtet.«

»Was?«, krakeelte Keigo in der ersten Reihe. »Hauswirtschaftslehre und Kindererziehung, ist das Ihr Ernst?!«

»Wie lautet dein Name?«, murrte der Lehrer.

»Ich bin Keigo«, rief der Omega furchtlos. »Aber sagen Sie, sind Sie noch bei Trost? Ich habe mich an dieser Schule angemeldet, weil sie gemischt ist und Omegas, Alphas und Betas angeblich gleich behandelt.«

»Anscheinend hast du nicht zugehört, Keigo«, brummte Herr Kasmar genervt. »Die Basiskurse, die für alle Kasten relevant sind, werden gemeinsam besucht. Doch in den spezielleren Fächern werden die Kasten getrennt, damit individuelle Eigenschaften der Kasten besser gefördert werden können.«

»Das werde ich nicht dulden«, zischte Keigo. »Ich werde doch nicht kochen und putzen und Babys verpflegen lernen wie ein Dienstmädchen, während die anderen sich mit wichtigen Dingen beschäftigen.«

»Hauswirtschaft und Erziehung sind essenzielle Fähigkeiten für einen Omega. Omegas müssen ihre künftigen Partner gewissenhaft umsorgen und sich um ihre Kinder kümmern, damit diese zu wertvollen und anpassungsfähigen Mitgliedern der Gesellschaft heranwachsen. Ich werde nicht dulden, dass du diese wichtigen Kurse herabwürdigst. Noch ein Wort von dir und ich erteile dir einen Verweis!«

Stocksauer sank Keigo in seinem Stuhl zusammen und Aaro konnte ein Kichern nicht unterdrücken.

»Bald geht's brav ab an den Herd, du aufmüpfiges Biest«, wisperte er vergnügt.

»Heute besprechen wir ein paar organisatorische Dinge, mit dem Stoff geht es erst morgen los. Euer erster Schultag geht nur bis 11 Uhr, nutzt bitte den Nachmittag dazu, etwas mit euren Klassenkameraden zu unternehmen. Bisher habt ihr euer Leben isoliert verbracht, ihr wurdet von euren Eltern unterrichtet und die meisten von euch haben nur wenig Kontakt zu anderen Kasten gehabt. Gewöhnt euch aneinander, bildet Rudel, fügt euch in das soziale Raster ein. Auch das gehört zu euren Pflichten an dieser Schule und Sozialkompetenz ist eine wichtige Eigenschaft für euer zukünftiges Berufs- und Alltagsleben.«

Abgesehen von Keigo hingen alle an Herr Kasmars Lippen. Er war ein einnehmender Alpha, beherrscht und ruhig, aber auch mit einer starken Ausstrahlung gesegnet. Er war in perfekter Balance. Selbst als Keigo so respektlos widersprochen hatte, war er ruhig geblieben, keinerlei Aggression war von ihm ausgegangen. Aaro wünschte sich, eines Tages genau wie dieser Alpha zu sein. Er wollte hart an sich arbeiten und in allen Kursen sein bestes geben, um ein würdiger Alpha für Jin zu werden.





»Komm, wir holen uns was zu Essen«, schlug Marek vor.

Aaro wollte eigentlich am liebsten nach der Schule zurück zu Jin, bestimmt hatte auch er am ersten Tag nur wenige Unterrichtsstunden, vielleicht war er sogar bereits zuhause und wartete. Aber er erinnerte sich an Herr Kasmars inspirierende Worte über den Platz in der Gesellschaft, den jeder einnehmen musste und er nickte.

»Ein Kumpel von mir ist in der C1, ich hole ihn kurz.«

Aaro wartete im Flur und lehnte sich an den Spind, während Marek zu einem der anderen Klassenzimmer sprintete.

Keigo spazierte vorbei und blieb vor Aaro stehen.

»Und, was sagst du?«, flötete er.

»Wozu?«, murrte Aaro.

»Zu meiner Herausforderung, du Dummkopf!«, zischte Keigo.

»Ach so, dein Liebesbriefchen«, ächzte der Alpha. »Hör mal – ich möchte dir ungern wehtun. Also lassen wir das einfach, ja?«

Keigo verschränkte die Arme vor der Brust. »Du hast mich vorhin auf dem Schulhof aus dem Konzept gebracht mit deiner plötzlichen Einmischung. Aber in einem fairen Kampf hättest du keine Chance gegen mich.«

»Ich prügle mich nicht mit Omegas«, wiederholte Aaro.

»Du fürchtest also, zu schwach zu sein, um dich gegen einen Omega durchzusetzen?«, reizte Keigo ihn.

»Lass mich in Ruhe«, raunte Aaro, doch Keigos Worte zeigten Wirkung und sein Blut brodelte wieder, ähnlich wie bei ihrer Konfrontation auf dem Schulhof. Er konnte das nicht auf sich sitzen lassen.

»Ich sehe das Feuer in deinen Augen«, neckte Keigo ihn. »Kein Alpha kann einer Kampfeinladung widerstehen – ganz egal, welche Kaste sie ausspricht.«

Ehe Aaro darauf antworten konnte, wandte der Omega sich ab und lief mit keckem Hüftschwung davon.

Ein paar Augenblicke später kehrte Marek mit einem Kerl im Schlepptau zurück. »Das ist Jona.«

Aaro musterte den Kerl und begann zu schnuppern. Er war auch ein Alpha, doch sein Geruch war ein wenig süßlich, fast wie bei einem Omega. Er roch nach scharfem Zimt.

»Aaro, richtig?« Jona und Aaro gaben sich die Hand und musterten einander intensiv. Jona war zweifellos ein Alpha, aber er war schmächtig und hatte irgendwie einen unterwürfigen Blick drauf.

»Es gibt einen netten Burgerladen um die Ecke. Kommt!«, trieb Marek sein neues Rudel an.





»Wie ich höre, habt ihr Bekanntschaft mit meinem Bastardbruder gemacht«, säuselte Jona und biss in seinen kleinen Cheeseburger, während Marek und Aaro mit dreistöckigen Monstertürmen aus saftigen Pattys und Speckstreifen kämpften.

»Sprichst du von Keigo?« Aaro verschluckte sich fast an seinem Essen. Tatsächlich, jetzt wo Jona es sagte, erkannte er eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den beiden. Die zierliche Statur, das dunkelblonde Haar, der hämische Ausdruck in den Augen.

»Ja, der. Er ist nur mein Halbbruder.« Jona verdrehte die Augen. »Tut mir leid, dass ihr euch mit ihm herumschlagen müsst. Er ist ziemlich gestört. Er kapiert nicht, dass er ein Omega und kein Alpha ist.«

»Dieses aufmüpfige Ding sollte man mal zurechtficken«, regte Marek sich auf. »Er hat mir einfach in die Eier geschlagen!«

»Bei ihm muss man vorsichtig sein. Er kann Alphas kontrollieren. Ich weiß nicht, wie er es macht, aber ich habe es am eigenen Leib erfahren müssen«, warnte Aaro und erzählte den Jungs von seiner Konfrontation mit Keigo auf dem Schulhof. Seine Augen richteten sich fragend auf Jona. »Wieso hat dein Bruder solche Fähigkeiten?«

»Halbbruder«, betonte Jona angewidert. »Ich weiß nichts über ihn, wir sind nicht zusammen aufgewachsen. Mein Vater lässt seine Beta- und Omega-Kinder aus früheren Affären nicht bei uns leben.«

Aaro verzog das Gesicht. Keigo war zwar ein Ekel, aber sein Bruder war auch nicht gerade besser mit seiner unverdienten Selbstgefälligkeit. Er war ein Alpha, aber er strahlte keinerlei Kraft aus. Sein Halbbruder mochte aus der untersten Kaste stammen, aber er besaß deutlich beeindruckendere Fähigkeiten und eine machtvollere Aura als dieser verwöhnte Alphabursche.

Wütend stopfte er sich mit Essen voll, bis ihn das schwere Gefühl im Magen zu Ruhe und Gemächlichkeit zwang, während Jona und Marek über Keigo lästerten wie zwei alte Waschweiber.

»Sag mal, macht es dich nicht verrückt, dass er seine Pillen nicht nimmt?« Marek stieß ihm von der Seite einen Ellenbogen in die Rippen. »Ich konnte mich vorhin kaum auf Herr Kasmars Worte konzentrieren bei diesem Läufigkeitsaroma.«

Marek packte unsanft Aaros linke Hand. »Oder kann es etwa sein, dass du andere Omegas nicht mehr riechen kannst? Hast du dich etwa bereits auf jemanden geprägt?«

»Nein«, knurrte Aaro und riss seine Hand fort. »Aber ich habe einen Freund. Wir warten mit der Prägung noch fünf Jahre bis zum Schulabschluss, so wie es sich gehört.«

»Ach, so ist das also! Deswegen bist du auf der Schule ganz entspannt und seelenruhig. Du hast bereits ein williges Omega-Mäuschen zuhause, bei dem du deine angestauten Säfte loswerden kannst.«, scherzte Marek.

Aaro schwieg verbissen.

»Mh, das muss großartig sein, so viel Sex wie man will«, schwärmte Jona. »Ich glaube, ich kann seinen Duft ein bisschen an dir wahrnehmen. Ist er hübsch, dein Omega?«

»Unser Aaro hat sich sicher ein heißes Schnittchen geangelt«, murrte Marek lüstern. »Hast du Fotos? Vielleicht sogar sexy Videos?«

Aaro warf ein paar Scheine auf den Tresen und erhob sich. »Wenn ihr noch einmal so von meinem Omega sprecht, reiße ich euch in Stücke! Er ist mein Partner, er ist nicht dazu da, euch für eure kranken, schmutzigen Fantasien zu dienen.«

Marek und Jona brachen in Gelächter aus. »Hab dich nicht so!«

Aber Aaro hatte für den ersten Tag genug von diesen Leuten. Erzürnt stürmte er aus dem Diner und wünschte sich nur noch, nach diesen anstrengenden Stunden in Jins Arme zu sinken.





Als Aaro zuhause ankam, musste er sofort enttäuscht anhand der schwachen Duftnote feststellen, dass Jin noch nicht zurück war. Hatte er etwa doch einen längeren Schultag? Nervös schickte er seinem Freund eine Nachricht. Prompt erhielt er einen Anruf und ging mit klopfendem Herzen ran.

»Alles okay, Jin?«, fragte er unsicher.

»Hi Aaro. Was ist? Du klingst ganz aufgebracht.«

Aaro atmete tief durch und versuchte sich zu beherrschen. »Alles in Ordnung. Und bei dir? Bist du noch in der Schule?«

»Nein, ich bin gerade mit ein paar Klassenkameraden in der Stadt unterwegs, wir gehen was essen. Wir hatten schon um 12 Uhr Schluss, der Lehrer meinte, wir sollten die Zeit nutzen, um uns alle besser kennenzulernen. Es war echt ein toller erster Tag! Und wie lief es bei dir?«

»Unser Lehrer hat uns den gleichen Rat gegeben. Ich war mit ein paar Jungs was essen, bin jetzt wieder daheim...«

Er wollte seinem Freund sagen, wie sehr er ihn vermisste und wie dringend er ihn an seiner Seite haben wollte, aber Jin klang so freudig erregt und vergnügt, Aaro wollte ihn nicht von seinen neuen Freunden losreißen. Anscheinend hatte er sofort spielend leicht Anschluss gefunden. Kein Wunder, schließlich war er der geborene Omega. Er entsprach dem Idealbild eines fürsorglichen, liebevollen, harmoniebedürftigen Wesens.

»Soll ich zu dir kommen?«, fragte Jin einfühlsam.

»Nein, nein, amüsier' dich nur mit deinen Klassenkameraden. Ich bin sowieso ein bisschen müde. Werde ein kleines Mittagsschläfchen halten«, versicherte Aaro mit sanfter Stimme, um seinen Omega nicht zu beunruhigen.

»Okay, dann sehen wir uns heute Abend.«

Aaro legte auf und warf sich mit einem mulmigen Gefühl ins Bett. Wenigstens waren die Laken noch mit Jins vertrautem Duft getränkt, sodass er ein wenig Trost darin finden konnte.

Er schloss die Augen und wünschte sich, auch er könnte derart mühelos in seine Rolle schlüpfen wie Jin. Aber es würde schwierig mit den Alphas werden, mit seinen Artgenossen. Dieses bissige, angespannte Miteinander, Jonas und Mareks schmutzige Bemerkungen über die Omegas... Dieser Tag hatte ihm auf unangenehme, harsche Weise gezeigt, wie gefährlich diese Welt doch war.

Plötzlich konnte er nicht mehr aufhören, sich Jin vorzustellen, wie er von gierigen Alphas überfallen wurde, die all die Dinge mit ihm taten, von denen Marek auf so grausame, herzlose Weise gesprochen hatte.

All das konnte Aaro mit einem einfachen Nackenbiss beheben. Er konnte Jin ganz und gar zu seinem Eigentum machen, er konnte ihn mit seinem eigenen Duft markieren, ihn zu seinem lebenslangen Partner machen. Jin würde sich nie mehr vor fremden Alphas fürchten müssen.

Aber Aaro wusste, dass die Zeit noch nicht reif war – er selbst war noch nicht reif genug dafür. Er musste lernen, was es wirklich bedeutete, ein Alpha zu sein. Er wollte seinem Omega beistehen können, wollte ihn beschützen und umsorgen. Er musste seine Rolle verinnerlichen. Aber dafür war die Schule schließlich da.

Kurz bevor er einschlief, glühten plötzlich Keigos graue Augen vor ihm in der Dunkelheit auf. Er dachte an die geschwungene Handschrift, an die Botschaft auf dem Zettelchen. Er wollte mit diesem Omega nichts zu tun haben, aber er musste unbedingt Keigos einzigartige Fähigkeiten ergründen, er konnte der Herausforderung nicht widerstehen. Er musste herausfinden, warum es einem fremden Omega gelungen war, ihn in die Knie zu zwingen. Er wollte die Schwäche, die er in diesem unheimlichen Augenblick empfunden hatte, unbedingt ausmerzen.

Die Welt war anders, als er sie sich vorgestellt hatte. Offenbar musste er nicht nur mit Alphas kämpfen, sondern sich auch mit wildgewordenen Omegas auseinandersetzen.

LESEPROBE: KämpferseelenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt