Eigentlich wollte ich heute so elegant und glücklich aussehen, wie nie zuvor. Einfach nur, um meiner Mutter zu beweisen, dass ich es trotz Kindes zu etwas gebracht hatte. Doch nachdem ich mich die ganze Nacht schlaflos herumgewälzt hatte, unsere Dusche heute morgen plötzlich nur noch kochend heißes Wasser ausspuckte und es draußen in Strömen regnete, hatte sich dieses Vorhaben in Luft aufgelöst. Meine Haare klebten an meinem Körper, ebenso wie meine Klamotten. Dafür sah man wenigstens nicht, dass ich nicht hatte duschen können. Meine Mutter hingegen sah aus wie immer. Perfekt. Es war als wäre sie in einer Blase her geschwebt, sodass sie keinen einzigen Tropfen abbekommen hatte. Die Blase konnte sie dennoch nicht vor diesem unangenehmen Schweigen retten, welches nach unserer noch unangenehmeren Begrüßung - eine Mischung aus einem Handschlag, einer Umarmung und einem Winken - herrschte. Keiner von uns beiden wusste wie er das Gespräch starten sollte. Es tat mir im Herzen weh, früher konnten meine Mutter und ich gar nicht aufhören über irgendetwas zu reden. Wir waren uns so nahe.
"Möchten Sie etwas trinken?"
fragte die Bedienung. Dieses Mal war es leider nicht Chloe, ihre positive Art hätte ich jetzt gut gebrauchen können. Ich war nicht einer der Personen, die alles positiv sahen und in jedem noch so schlechtem Moment auch weiterhin hoffnungsvoll bleiben konnten. Ich ließ mich leicht von Dingen herunterziehen und konnte schlechten Situationen auch nichts gutes abgewinnen. Für mich war das Glas nun mal halb leer.
"Zwei Cappuccino mit einem Hauch Karamel bitte."
Verwundert sah ich zu meiner Mutter. Sie wusste also immer noch, was ich bestellt hätte. Vielleicht war die Situation doch nicht so aussichtslos, wie ich dachte. Jedoch hatten wir früher so oft zusammen Kaffee getrunken, dass es mich auch gewundert hätte, wenn sie es nicht mehr wüsste. Ein Rätsel war mir allerdings immer noch, warum mein Vater nicht hier war. Hätte er auch so wenig zu sagen? Oder würde er mir wie früher einfach einen alles sagenden Blick zu werfen? War er überhaupt noch so wie früher? Ich wusste nur, dass ich mich auf jeden Fall sehr verändert hatte. Ich war über Nacht erwachsen geworden, früher als viele andere in meinem Alter. Die Verantwortung für ein Kind zu tragen, veränderte einen, egal wie alt man war. Jamie. Auch er war ein Grund, warum ich mich überhaupt zu diesem Treffen geschleppt hatte. Ich wünschte mir auch für ihn eine vollständige Familie mit Großeltern. Und dies würde nur funktionieren, wenn meine Mutter auch mal etwas sagen würde.
"Wenn du mir nichts zu sagen hast, dann werde ich jetzt wieder gehen."
Natürlich wollte ich nicht gehen. Ich wollte, dass sie sich entschuldigt. Ich wollte, dass sie ihre Fehler einsieht. Ich wollte ihr verzeihen und ich wollte wieder eine Familie sein.
"Natürlich habe ich dir was zu sagen. So viel will ich dir sagen, doch ich weiß nicht wie. Ich weiß nicht, wie ich meine Fehler wieder gut machen soll. Amalia, du glaubst nicht, wie sehr ich es bereue, dich damals auf die Straße gesetzt zu haben. Du musst mir glauben, dass seitdem kein Tag vergangen ist, an dem ich dich nicht vermisst habe. An dem ich mir keine Sorgen gemacht habe. An dem ich nicht an dich gedacht habe. Du bist meine Tochter, meine einzige, und ich finde es schrecklich, was aus unserer Familie geworden ist. Ich meine, sieh uns nur an. Du bist wie eine Fremde für mich und ich sicherlich auch für dich. In sechs Jahren kann so viel passieren. Ich weiß nicht einmal, ob du einen Freund hast. Vielleicht bist du ja sogar verheiratet. Ich weiß nicht, wie dein Kind heißt. Ich kenne ja nicht mal das Geschlecht, noch den Vater. Ich weiß nicht, ob du eventuell noch studiert hast oder was du beruflich machst. Ich kenne dich und dein Leben nicht mehr. Und das zerreißt mich, Gott, Amalia, es zerreißt mich so sehr. Ich wünschte mir, ich hätte dich früher angerufen, dich früher wieder gefunden. Denn es tut mir leid! Alles tut mir so unglaublich leid!"
Ich schluckte. Ich schluckte nochmal. Und nochmal. Ich wusste einfach nicht, was ich denken sollte, wie ich damit umgehen sollte. Es schien alles so surreal. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass meine Mutter wieder den Kontakt zu mir sucht, um so ehrlich ihre Fehler zu zu geben und sich bei mir zu entschuldigen. Ich hatte es mir so lange gewünscht, dass es tatsächlich auch nichts weiter als das sein konnte, ein Traum.
"Kneif mich mal."
Damit entlockte ich meiner Mutter ein Lachen und sie schüttelte belustigt den Kopf.
"Amalia, du träumst nicht. Oder wir träumen beide dasselbe."
Nun musste auch ich grinsen. Die merkwürdige Stimmung von eben war vergessen und nur noch das zählte. Das Lachen meiner Mutter, mein Lächeln und unsere Zukunft.
"Es bedeutet mir wirklich viel, dass du mich kontaktiert hast, Mom. Und auch, wenn ich nicht so schnell vergessen kann, was alles geschehen ist, gebe ich dir die Chance deine Fehler wieder gut zu machen. Ich möchte auch, dass wir wieder eine Familie werden und ich möchte, dass Jamie seine Großeltern kennen lernt."
Plötzlich wurde der Blick meiner Mutter glasig.
"Jamie? Ist das meine Enkelin?"
fragte sie mit zittriger Stimme.
"Nicht ganz, Jamie ist dein Enkel."
verbesserte ich zwar ihre Annahme des Geschlechts, ihre Stimmung allerdings nicht ansatzweise, denn jetzt fing sie an zu weinen. Und ich? Ich war vollkommen überfordert. Ich hatte meine Mutter noch nie weinen gesehen. Und um ehrlich zu sein, auch die letzten sechseinhalb Jahre nicht.
"Mom, warum weinst du denn jetzt?"
"Weil ich nicht nur dein Leben verpasst habe, sondern auch alle ersten Male meines Enkels. Und du... oh Gott, wie hast du das nur alles geschafft so ganz alleine? Wie konnten wir nur so grausam sein?"
Schockiert saß ich einfach nur neben meiner weinenden Mutter und betrachtete sie. Ich hatte das Gefühl, dass ich naiv war, weil ich ihr so schnell verziehen hatte. Weil ich mir trotz allem nichts mehr wünschte, als wieder ein gutes Verhältnis zu meinen Eltern aufzubauen. Doch als ich meine Mutter so aufgelöst vor mir sah, wurde mir klar, dass ich nicht naiv war. Meine Mutter log nicht. Alles, was sie gesagt hatte, entsprach der Wahrheit. Ich war nicht naiv. Ich war sehnsüchtig. Nach meiner Mutter, meinem Vater und einer Familie. Meiner Familie.
"Hör auf zu weinen, Mom."
flüsterte ich bestimmend und rutschte auf der Bank näher an sie heran. Erst streichelte ich vorsichtig ihren Rücken, doch dann schloss ich sie in meine Arme. Und ungelogen, es war das beste Gefühl aller Zeiten. Man merkte gar nicht, wie wichtig und schön die Umarmungen der eigenen Mutter sind, bis man sie nicht mehr hatte. Bis es zu spät war.
"Ich hab dich lieb, Amalia."
"Ich dich auch, Mom."
Und das hatte ich. Ich hatte meine Mutter lieb, für immer.
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my first love
RomanceSeine erste wahre Liebe vergisst man wohl nie, egal wie lange man sich nicht mehr gesehen haben mag, diese blöden Gefühle wollen einfach nicht in Vergessenheit geraten. Genauso ergeht es auch Amalia, als sie unerwartet ihrem Exfreund aus Highschoolz...