Regen und eine Straße

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Ich weiß noch wie wir uns kennengelernt haben. Mitten auf der Straße.
Es hat geregnet, du warst durchnässt, ich war durchnässt.
Es war schon weit nach acht, ich war spät dran, du warst spät dran.
Ich bin ausgerutscht auf der Straße und habe dich aus Versehen mitgerissen.
Ich bin auf dem Beton gelandet, du auf mir.
Dann haben wir uns angelächelt, sind aufgestanden und weiter gelaufen.

Ich weiß noch wie unser erstes Date war.
In einem Café, am Tag unserer ersten Begegnung.
Mitten auf der Straße.
Es hat immer noch geregnet.
Es war schon weit nach Feierabend, ich war müde, du warst müde.
Du hast mich entdeckt und bist auf mich zugelaufen.
Wir haben wegen heute morgen gelacht und sind dann in das Café gegenüber von der Straße gegangen.
Du hast mich eingeladen und ich habe dich von Anfang an gemocht.
Später hast du mich nach Hause begleitet, natürlich nicht ohne mir noch deine Nummer zu geben.

Ich weiß noch wie du mich gebeten hast deine Freundin zu werden.
Es war bei starken Regen.
Ich war zwar schon klitschnass, aber du hast mir trotzdem deine Jacke gegeben.
Wir sind zusammen über die Straße gelaufen, dort wo das Café steht.
Hand in Hand haben wir gewartet, bis es grün wird, als du plötzlich meintest:
»Ich glaube, ich mag dich mehr als mögen. Ich glaube, ich habe mich in dich verliebt. Und ich glaube, ich möchte mit dir zusammen sein. Die Frage ist nur, ob du es auch glaubst.«
Ich habe genickt und dich im Regen geküsst.

Ich weiß noch wie ich sagte, dass wir in neun Monaten drei werden würden.
Wir waren in dem Café, an der Straße.
Wir haben dort Unterschlupf gesucht, weil es angefangen hatte zu regnen.
Ich bin auf Toilette gegangen und kam mit einem positiven Ergebnis raus.
Du hast geschrien vor Freude, hast tausendmal meinen Bauch und dann tausendmal meine Lippen geküsst.
Dann bist du mit mir im Regen über die Straße gegangen und meintest:
»Wir sollten zusammen ziehen.«
Und ich habe genickt und deine Hand gedrückt.

Ich weiß auch noch, wie du um meine Hand angehalten hast.
Wir sind über die Straße durch den Regen gerannt, ins Café, ich mit meinem runden Bauch.
Du hast mir deine Jacke gegeben, meintest ich solle das Portmonee heraus holen.
Doch stattdessen war da nur ein funkelnder Ring aus Diamanten und du bist auf die Knie gegangen, hast mich nervös angelächelt und ich...ich habe ja gesagt.

Ich weiß noch von der Geburt unseres Kindes.
Ich war grade auf dem Weg zur Arbeit mit dir.
Mir war kalt, es hatte geregnet.
Ich kam grade auf der Straße an, als plötzlich etwas platzte und es ganz warm in meinem Schoß wurde.
Zum Glück war an der Straße, wo das Café stand, ein Krankenhaus.
Dort habe ich dann unseren Engel auf die Welt gebracht.

Ich weiß jedes kleinste Detail von unserer Hochzeit.
Die Rosen und Gäste.
Unser Kind mit den Blumen.
Von dem Regen, von dem Café, gegenüber vom Krankenhaus, an der Straße und dem Wein und...
okay, vielleicht weiß ich doch nicht mehr alles ganz genau.

Ich weiß, wie wir alt geworden sind.
Unser Kind wurde erwachsen und ist ausgezogen, um die weite Welt zu erkunden und zu studieren.
Wir haben irgendwann nicht mehr gearbeitet, sondern sind nur noch spazieren gegangen und haben uns geliebt.
Irgendwann, viele Jahre später, rief mal wieder unser Kind an. Es hatte auch schon geheiratet und bald würde es auch Kinder bekommen, wie es es und mitteilte.
Ich erinnere mich an das Weinachten, wo wir nicht nur Eltern, sondern auch Großeltern waren.
Später, bei Schnee, denn es war zu kalt für Regen, sind wir über die Straße gelaufen.

Und ich weiß noch, wie du gestorben bist.
Du warst schon länger in dem Krankenhaus an der Straße.
Ich habe deine Hand gedrückt, deine Lippen geküsst, dein Gesicht mit Falten gestreichelt, als dein Herz plötzlich aufgehört hat zu schlagen.
Und genau in dem Moment hat es angefangen zu regnen.

Das alles ist schon wieder Jahre her, doch ich habe nie unsere gemeinsame Zeit vergessen.
Und jetzt sitze ich hier im Café, wo wir unser erstes Date hatten.
Wo wir uns verlobt haben.
Wo ich dir sagte, ich sei schwanger.
Und gegenüber vom Krankenhaus, wo unser Engel geboren wurde und du gestorben bist.
Ich schaue hinaus auf die Straße, wo grade zwei Menschen bei starken Regen ausrutschen und aufeinander fallen.
Und dann schließe ich die Augen.

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