Mamas Lehre

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Ich schaue mich im Spiegel an. Meine bemalten Lippen und Augen. Die rosigen Wangen, das spitze Kinn.

Ich schaue mich an und denke an die Worte meiner Mutter, die mir stets zu sagen pflegte: „Schatz, du musst dran denken, immer gut auszusehen, du musst schließlich den Männer gefallen,
sonst wirst du dein ganzes Leben lang einsam sein, verstanden?"
Ich war elf.

Ich wurde grad vierzehn als der erste Junge mir zeigte, was es war, ein heranwachsendes Mädchen zu sein. Er schaute mich aus dunklen Augen an, schien ihm zu gefallen mich auf dem Bett zu sehen. Hatte mein noch kindliches Wesen an einen Kuss gedacht,
als er neben mir Platz nahm,
doch kam ein so unschuldiger Kuss nie zustande, stattdessen ein verruchter Körperkontakt.
Er legte seine Hand auf meine wachsende Brust, sie fühlte sich kühl und hart an,
doch schluckte ich den Kloß herunter
und erinnerte mich an die Worte meiner Mutter:
„Schatz, du musst dran denken immer brav zu sein, du musst schließlich den Männern gefallen,
sonst wirst du dein ganzes Leben einsam sein, verstanden?"

Ich war fünfzehn, als der zweite Junge mir sagte, mich für meine Weiblichkeit zu schämen, komisch ich sah ich da unten aus, er wollte mich dort nicht küssen, lieber sollte ich seiner Männlichkeit imponieren,
ein wenig von ihm probieren.
Ist wusste nicht was mit meinem Körper falsch war,
doch wurde mir von meiner Mutter gesagt:
„Lass deinen Frauenkram bei Frauen aus, man redet nicht über seine Weiblichkeit bei Männern, die mögen das nicht, schließlich musst du den Männern gefallen,
verstanden?"

Ich war sechzehn, als der dritte Junge mir beibrachte, dass meine Bedürfnisse nicht der Wichtigkeit entsprachen.
Nach süßen Küssen und lieben Worten schienen seine Nerven nicht zu reichen noch länger zu warten,
denn immer wieder fragte er mich, fragte er mich ob er mir seine Anziehung zu mir zeigen könnte
und nach vielen Neins, sagte ich dann doch ja, schloss die Augen und ließ es über mich ergehen, ich zitterte,
während ich mich an die Worte meiner Mutter erinnerte:
„Schatz, musst du dran denken, keine Widerworte zu geben, die sind ungern gehört und du willst doch den Männern gefallen,
sonst wirst du dein Leben lang einsam sein, verstanden?"

Ich war siebzehn, als ein weiterer Kerl mir zeigte,
dass mein Körper das war, was wichtig war.
Wusste ich doch mittlerweile
wie alles funktionierte,
wie man die Männer befriedigte
und so war ich da, wenn sie mich brauchten, riefen sie mich doch nur, weil sie meinen Körper wollten,
und kam ich doch jedes Mal zu ihnen,
denn waren die Worte meiner Mutter in meinem Kopf: „Schatz, du musst dran denken, immer für deinen Mann da zu sein, du musst ihm schließlich gefallen,
sonst wird er sich jemand anderen suchen, verstanden?"

Ich wurde achtzehn, als ein Mann mir zeigte, dass meine Mutter gelogen hatte.
Denn sah ich immer gut aus, war immer brav, belastete ihn nie mit meinem Kram,
hatte noch nie ein Widerwort gegeben
und war ich doch immer für ihn da gewesen,
doch hatte ich ihm letzten Endes nicht gefallen, sonst wäre er nicht zu einer andere gegangen.

Ich schaue mich ihm Spiegel an, die bemalten Augen und Lippen. Die rosigen Augen, das spitze Kinn.
Ich schaue mich im Spiegel an und denke an meine Worte,
die ich immer und immer wieder wiederhole: „Ich muss niemandem außer mir gefallen, verstanden!", ich bin erwachsen.

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