„John?", der einzige Consulting Detective der Welt knallte die Tür seines Schlafzimmers hinter sich zu
und lief mit wehendem Morgenmantel in die Küche des Apartments der 221B Baker Street.
Sherlock rief noch einmal lauter und umso ungeduldiger, bevor er zu dem Schluss kam, dass John
anscheinend nicht zu Hause war. Der Detektiv grummelte etwas unverständliches vor sich hin. Seit
seinem ersten Treffen mit Moriarty befand er sich ständig in angespannter Alarmbereitschaft.
Es machte ihn gerade zu wahnsinnig, dass er das kriminelle Superhirn nicht durchschauen, seinen
nächsten Schachzug nicht deduzieren konnte wie sonst alles.
Nun mehr seit Wochen hatte er keinen richtigen Fall mehr angenommen und sich stattdessen mit zunehmend unausstehlicherem Verhalten grübelnd in seiner Wohnung verschanzt.Der Mensch, der unter diesen Umständen am meisten litt, war natürlich John Watson, sein bester
Freund und Mitbewohner. Nicht selten war es in den letzten Wochen zu Auseinandersetzungen zwischen den Beiden gekommen, die schlussendlich damit geendet hatten, dass Sherlock sich beleidigt (innerlich jedoch immer mit einem Anflug von Reue) auf der Couch zusammenrollte und John für einige Stunden aus dem Haus verschwand um Ruhe vor seinem launischen Mitbewohner zu haben.Jetzt jedoch sehnte sich Sherlock seinen Blogger herbei, denn dieser war immerhin der einzige Mensch,
der ihn wenigstens etwas von seinem Frust ablenken konnte.
Missmutig machte Sherlock den Kühlschrank auf, um nach Milch zu suchen, fand aber stattdessen
einen Notizzettel von John, auf dem stand, dass dieser Einkaufen gegangen war und Sherlock
außerdem nochmal drängend daran erinnerte, endlich die Zehen aus dem Eisfach zu nehmen, die dieser dort bereits vor längerer Zeit für ein Experiment kaltgestellt hatte.Tatsächlich überlegte Sherlock John einmal einen Gefallen zu tun, als er schnelle Schritte die Treppe hochkommen hörte, die er eindeutig seinem Bruder Mycroft zuordnete. „Der Morgen wird ja immer besser", murrte er, ließ sich im Wohnzimmer in seinen Ledersessel fallen und griffe nach seiner Geige, den Kopf demonstrativ von seinem soeben eingetretenen Geschwisterkind abgewendet.
„Die Antwort ist Nein, Mycroft", umging Sherlock sofort entnervt die Begrüßung.
„Dir auch einen guten Morgen, Bruderherz", entgegnete Mycroft Holmes sarkastisch und ließ sich in
Johns Sessel ihm gegenüber nieder. Sherlock hasste es, wenn er das tat, denn dieser Platz war seinem
Freund vorbehalten. „Du weißt doch noch gar nicht, was ich dir hier anbiete. Auf deiner Skala deutlich
über 8."Sherlock schnaubte, merkte aber gleichzeitig, wie ein Hauch Interesse in ihm aufkeimte.
„Ach ja? Ich finde es nach wie vor nicht spannend den entlaufenden Hund irgendeines Regierungsbeamten zu suchen." Mycroft tat so, als hätte er dies nicht gehört und legte stattdessen
eine Fallakte auf den Tisch vor ihnen. „In den letzten zwei Wochen sind genau um dieses Haus", er
deutete auf ein beigelegtes Foto, „im East End zwölf Menschen verschwunden, scheinbar ohne jeden Zusammenhang. Darunter auch eine Person, die von grundlegender Wichtigkeit für dieses Land ist."
„Und was soll daran jetzt 8 oder höher sein?", erwiderte Sherlock noch immer bemüht desinteressiert.
„Naja... Dieser Mann hier", Mycroft hielt Sherlock das Bild eines unauffälligen Mannes Mitte 30 mit
braunen Haaren unter die Nase, „Ist unter den Verschwundenen und eine Woche nach seinem Verschwinden fand man das hier."Der ältere Holmes holte ein weiteres Bild heraus, doch diesmal
setzte sich Sherlock auf und nahm es selbst in die Hand. Dieses Foto war gut fünfzig Jahre älter, es war
sogar noch in Schwarz-Weiß abgelichtet worden. Selbst die Ränder waren schon vergilbt und teilweise
zerfleddert, als hätte es schon Jahrzehnte in einem oft angesehenen Familienalbum verbracht. Doch
das was Sherlocks Ablehnung einriss waren nicht diese Feinheiten, sondern die Tatsache, dass sich auf
diesem Bild eindeutig genau die gleiche Person befand, wie auch auf dem modernen Foto. Alles war
identisch, die Frisur, das Alter, jede kleine Falte, es bestand kein Zweifel.„Wie?", fragte Sherlock und sah seinem Bruder zum ersten Mal an diesem Tag richtig in die Augen.
„Das solltest am besten schnellstmöglich rausfinden", meinte Mycroft und man sah wie seine
Mundwinkel selbstgefällig zuckten, weil er Sherlocks Sinneswandel ganz genau mitverfolgt hatte.Sofort setzte Sherlock wieder seine gelangweilte Miene auf: „Vielleicht schau ich's mir mal an."
Mycroft seufzte, machte aber keine Anstalten zu gehen.
Demonstrativ griff der Jüngere nach seinem Bogen und bewegte diesen so energisch über die Seiten
der Geige, sodass furchtbar schrille Töne entstanden - Sherlock Art seinem Bruder zu sagen, dass er
nicht mehr erwünscht war. Abermals seufzte Mycroft und wandte sich mit einem „Bis bald, kleiner Bruder", der Tür zu.Doch genau in diesem Moment betrat John, in jeder Hand eine Einkaufstüte, den Raum und musste offensichtlich ein Lachen unterdrücken, als er die Szene vor sich sah.
„Na, habt ihr euch schon wieder darüber gestritten, wen Mummy mehr liebt hat?", er grinste während
er an Mycroft vorbei in die Küche ging und begann die gekauften Lebensmittel einzurollen.Mycroft ließ sich nur noch zu einem blasierten Schnauben herab und verschwand dann endgültig aus
der Wohnung des Detektivs und des Bloggers. Kaum hörte Sherlock die Tür ins Schloss fallen, sprang
er auf und eilte in sein Zimmer, um sich anzuziehen. Als er Johns irritiertes Gesicht sah, zwinkerte er
nur und verkündete enthusiastisch: „John, wir haben einen neuen Fall!"Nicht mehr als eine halbe Stunde später fanden sich Sherlock und John vor dem Haus, das der Ursprung
der Vermisstenfälle zu sein schien, wieder. Wahrscheinlich hätte kein normaler Passant dem etwas in
die Jahre gekommenem Reihenhaus große Beachtung geschenkt, den auf den ersten Blick unterschied es sich kaum von anderen Häusern dieser Art am Rande Londons.Doch Sherlocks Neugier war geweckt und so nahmen John und er sich zunächst den kleinen überwucherten Garten vor, der sich versteckt hinter dem Haus befand. Man sah direkt, dass hier schon lange kein Mensch mehr wohnte, denn überall rankte Efeu und hier und da fand man noch die zerbrochene Porzellandeko der Vorbesitzer.
Sherlock schaute sich genauer, um fand jedoch nichts außer ein paar alten Gartenzwergen, jede Menge Unkraut, einer alten Engelsstatue und einer verrosteten Laubharke. Er winkte John, damit dieser ihm zur Hintertür des Hauses folgte. Der Detektiv hatte extra seine Dietriche mitgenommen, doch zu seiner Überraschung schwang die Tür sofort, wenn auch mit einem lauten Knarren auf.
Jede Kleinigkeit um sich herum analysierend trat Sherlock ein, dicht
gefolgt von John. „Ich geh schon mal hoch, sieh dich währenddessen mal hier unten um", bestimmte der Größere, ließ seinen Freund in dem Wohnzimmer des Hauses zurück und erklomm schnellen Schrittes die etwas verstaubte alte Treppe.Nun da sie innerhalb des Hauses waren, bestand nicht der geringste Zweifel mehr daran, dass an diesen Ort schon seit Jahrzenten keiner mehr Zuhause nannte.
Überall hingen Spinnenweben und auf welche Oberfläche Sherlock auch mit der Hand strich, immer fand er eine so dicke Staubschicht, die Mrs Hudson der Ohnmacht nahebringen würde.Er wollte sich gerade das alte Schlafzimmer genauer ansehen, als er Johns Stimme von unten hörte:
„Sherlock? Hier stimmt irgendwas nicht! I-Ich könnte schwören - die Engelsstatue war vorhin doch
hinten im Garten neben dem großen Baum, oder?"Doch der Angesprochene hörte schon nicht mehr zu, denn gerade in diesem Moment war sein Blick auf das Parkett des Schlafzimmers gefallen, in das offensichtlich jemand etwas hineingekratzt hatte.
Während Sherlock sich hinkniete, um die unsauberen, hastig geschriebenen Buchstaben entziffern zu können, erklang erneut Johns Rufen von
unten, diesmal jedoch deutlich panischer: „Sherlock komm sofort her! Der Engel, er-"Plötzlich herrschte wieder Stille, so als hätte etwas John daran gehindert seinen Satz zu beenden.
„John?", zwei Stufen auf einmal nehmend rannte Sherlock in das Wohnzimmer, wo er John
zurückgelassen hatte, nahm jeden Raum unter die Lupe, den das Haus hatte, doch nirgendwo war eine
Spur von seinem Mitbewohner.Zum wiederholten Mal rief er dessen Name, doch er bekam nur
erdrückende Stille als Antwort. Der Fall, den er heute Morgen von Mycroft bekommen hatte, war jetzt
zu seinem persönlichen Anliegen geworden. Zitternd atmete Sherlock aus. Ein Bild hatte sich in sein
Gehirn gebrannt. Die zurückgelassene Nachricht, in Panik in den Boden geritzt.They're alive.
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A Study in Time
FanfictionAls Sherlock plötzlich während eines Falls verschwindet, versucht Sherlock alles um ihn zu finden. Währenddessesen begegnet John einem seltsamen Mann, der sich als der Doctor vorstellt, und seinen zwei Begleitern und erfährt von Welten, die er sich...