❦ Morgan ❦
Schlürfend trinkt Rina ihren Cappuccino.
Meine Ohren zucken leicht, bei diesem unangenehmen Geräusch und ich muss mich beherrschen, nicht mit der Hand auf die Platte des Cafeteriatischs zu schlagen.
Man könnte meinen, sie, als Cheerleaderin, würde Tischmanieren besitzen.
Aber falsch gedacht.
Die von ihr erzeugten Geräusche beim Trinken sind mir sogar tausend mal lieber als jene, die sie beim Essen produziert.
„Warum schaust du so genervt?"
Ich drehe meinen Kopf und betrachte die kleine Blondine zu meiner Rechten.
Fleur Ramirez ist das liebste Geschöpf auf Erden. Zusammen mit ihrer Erscheinung und dem blumigen Vornamen, der Inbegriff dessen, was man sich unter einer Elfe vorstellen könnte.
„Die Schule hat wieder begonnen. Wir haben heute offiziell unser letztes Schuljahr gestartet. Schluss mit Lachen und Fröhlichkeit. Zurück zum Ernst des Lebens, Fleur."
Ich runzle meine Stirn, presse die Lippen aufeinander, geschockt darüber wie nah das Gesprochene an meiner tatsächlichen Überzeugung liegt.
Fleurs Gesicht verzieht sich zu einer gequälten Grimasse, bevor sie mich mit ihrer Schulter stößt.
„Siehs positiv, du Pessimist. Noch ein Jahr, dann sind wir hier weg. Dann kannst du Winke-Winke mit dem Ort machen, den du die letzten Jahre als Höllenhaus bezeichnet hast."
Ein schelmisches Grinsen schleicht sich bei ihren Worten auf mein Gesicht.
„Winke-Winke? Das Höllenhaus verdient nicht annähernd fünf meiner wertvollen Finger samt Handfläche. Ich hab nur zwei für sie." ich unterstreiche meine Aussage indem ich ihr beide Mittelfinger ins Gesicht strecke.
Fleur schnaubt empört und schlägt meine Hände weg.
„Lass das bloß nicht die Lehrer sehen."
„Ist ja schon gut." Beschwichtigend spitze ich die Lippen, stoße die Luft in einem leisen „Pst"-Laut aus.
Die Blondine verdreht nur ihre engelsblauen Augen und gibt mir zu verstehen, dass unser Gespräch beendet ist, indem sie mir den Rücken zuwendet, um mit Angie Porter, einem anderen Cheerleader, zu reden.
Spaßverderber.
Unschlüssig was ich ohne Gesprächspartner tun soll, mustere ich der Reihe nach die anderen Mädchen am Tisch, die sich ihren Tablets mit Salat und Proteinriegeln nicht einmal zuwenden, während ich jedes Mal sehnsüchtig die Pommes Frites an der Essensausgabe betrachte, bevor ich sie dort zurücklassen muss.
Wieder einmal wird mir bewusst, wie sehr ich mich von ihnen unterscheide. Selbst in den kleinsten Dingen.
Meine Gedanken schweifen in die Vergangenheit, wie so oft in letzter Zeit, führen
mir vor Augen, wie ich hier gelandet bin, als würden sie mir damit irgendetwas sagen wollen.Ich erinnere mich an eine Achtjährige, mit dem
rabenschwarzen Haar in einem Tänzerinnen-Knoten, die jeden Tag nach der Schule länger blieb, um ihre Turntechniken zu verbessern, bis sie von ihrer Mutter abgeholt wurde, die sie zum Ballettunterricht fuhr.
Ihr Traum war Olympia. Professionelle Turnerin. Ein Platz ganz oben auf dem Siegertreppchen. Und dafür würde sie alles geben.
Doch mit Beginn der Highschool begann dieses Ziel dann immer mehr in den Hintergrund zu rücken. Dort war Turnen plötzlich out. Am Nachmittag wurden Leichtathletik, Ringen und Tennis angeboten. Turner jedoch wurden lediglich auf das Cheerleading-Team verwiesen.
Die inzwischen 15-jährige ärgerte sich anfangs über die Gleichstellung von ihrem geliebten Sport und herumhüpfenden Mädchen in knappen Kleidchen, waren es doch zwei unterschiedliche Welten. Sie wurde sich nach kurzer Zeit jedoch ihrer wachsenden Popularität bewusst, die mit ihrem Beitreten einherging. Eine Weile trainierte sie weiter an den Geräten, nutzte die freien Nachmittage in der Sporthalle, bevor sie sich irgendwann lediglich auf das Cheerleading konzentrierte.
Denn mit fünfzehn war Beliebtheit nunmal die tollste Errungenschaft und Olympia geriet immer mehr in Vergessenheit.
Anfangs schrien ihre Muskeln nach ein Paar Übungen am Barren oder Reck, die sie ihnen verwehrte, kamen mit dem geradezu halbierten Training nur langsam zurecht.
Der Traum des kleinen Mädchens wurde von
Freitagabenden voller nervenaufreibender Spiele, tosendem Jubel und alkohollastigen Partys in die hinterste Ecke ihres Herzens gedrängt, wo er darauf wartete, dass sie ihm wieder Platz schaffte.
Zwei Jahre später blieb davon lediglich ein Stechen in ihrer Brust zurück, mehr eine Art Gewissensbiss als körperliches Leid, das sie jedes Mal überkommt, wenn sie einen Handstandüberschlag oder eine doppelte Rolle rückwärts ausführt.Mit einem Kopfschütteln erwache ich aus meinem Tagtraum, nehme mein Handy aus dem Seitenfach meiner weinroten Sporttasche und verschaffe mir damit die Möglichkeit jeglichen weiteren Konversationen über meine nun regelrecht spürbar schlechte Laune aus dem Weg zu gehen.
Auf dem Display leuchten mir 11 neue Benachrichtigungen entgegen.
Neben acht Mitteilungen, dass irgendeine, wahrscheinlich entfernte Bekannte die Kommentare unter ihrem neusten Post, auf dem neben mir um die 70 weitere Personen markiert sind, beantwortet hatte, sowie zwei weiteren, dass neue Videos auf YouTube gepostet wurden, ist eine Nachricht eingegangen.
Meine Stimmung bessert sich sofort, als ich den Absender lese.
Schnell öffne ich den Chat mit meiner besten Freundin und grinse in mich hinein, als ich den für Maya typischen langen Text sehe.Heyo Momo, du wirst mir nicht glauben was ich dir gleich erzähle. ABER es ist wahr. Wirklich! Versprochen! Wie sagt man noch...? Ah, Indianerehrenwort!
Alsoooo...Ich sehe ihr Gesicht förmlich vor mir, wie sie ihre vollen Lippen zu einem O formt, während sie den Buchstaben mehrmals antippt, um die Nachricht so klingen zu lassen, wie sie es aussprechen würde.
Du erinnerst dich bestimmt noch an Jeffrey Gilbert. Der Typ mit den blonden Surfer-Locken und Rabenschnabel aus der Junior High. Dir wahrscheinlich besser bekannt als Jeffy der Zweite. Er ist in meinem Geschichtskurs.
Tatsächlich muss ich einen Moment überlegen, bis ich ein ungefähres Bild von besagtem Jungen vor Augen habe. Er tat mir immer Leid für seine Nase. Niemand sollte dafür gehänselt werden, wie er aussieht.
Ich lehne mich in meinem Stuhl zurück, mache es mir angesichts der folgenden ausführlichen Schilderung, soweit wie auf Plastik eben möglich, gemütlich.Inzwischen sieht er übrigens aus wie eine griechische Gottheit und seine Haare sind kurz - das ist wichtig für das was ich dir zu berichten habe.
Es war ein wunderschöner Montag morgen (genau genommen vor vier Stunden) als ich fröhlich lächelnd (ich sah wahrscheinlich aus wie eine Vogelscheuche, weil ich viel zu wenig geschlafen habe) das Schulhaus betrat, das Volk an Freunden begrüßte, das an meinem Spind auf mein Ankommen wartete (immerhin vergleichbar mit der Umarmung von unserer lieben Freundin Vinny) und dann die lehrreichen Bücher aus dem Schließfach nahm (*würg*).
Plötzlich stand ein hinreißender Mann in scheinender Rüstung (Löcherne Hose und verwaschenes Hollister-Shirt) vor mir und schenkte mir ein bezauberndes Lächeln (mit den hellsten Zähnen der Menschheitsgeschichte).
Er verbeugte sich würdigend vor mir (ehrlich gesagt war es nicht sehr Gentleman-Like, wie er sich mit seinem Arm über meinen Kopf an den Spind gelehnt hat) und überraschte mich mit den Worten: "Würden Sie mich am Freitagabend nach dem Sportprogramm zum Dinner begleiten, my Lady?" ("Ähm...hey, Maya. Ich... hättest du vielleicht Lust am Freitag nach dem Footballspiel mit mir auszugehen? Was Essen oder so?")
Natürlich behielt ich Fassung (ich bin sooo rot geworden!), setzte mein hinreißendstes Gesicht auf (ich hab so fürchterlich gegrinst, die Grinsekatze aus Alice im Wunderland wäre keine Konkurrenz gewesen) und antwortete: „Sehr gerne, Sir. Lassen Sie mir doch bitte Genaueres per Brieftaube zukommen." (ich wünschte, ich hätte das gesagt. Stattdessen hab ich einfach nur blöd genickt und ihm meine Nummer gegeben)
Tja. Und das ist die Geschichte wie ich zu meinem ersten Date kam! Und ich erinnere dich nochmals, Momo, griechischer Gott und kein Charakter aus „Könige der Wellen". Griechischer Gott!
-MayVerwundert blicken mich fast 20 Augenpaare an, als ich in lautes Gelächter ausbreche. Mayas Schilderung war die perfekte Vorlage für das komischste Kopfkino, welches ich je hatte.
Sofort habe ich das Bild meiner sonst sehr modischen besten Freundin in einem edlen Samtkleid aus dem Mittelalter und ihrer aufwendig gestylten braunen Lockenpracht unter einer französischen Haube vor Augen, vor ihr ein Ritter in goldenem Licht, dargestellt wie ein Gott aus einem Fantasy-Streifen.
Während die Cheerleader um mich herum sich langsam und sichtlich irritiert wieder von mir abwenden, beginne ich eine Antwort zu tippen, die mit ihrer Kreativität jedoch nicht mithalten kann.
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The Wall
RomanceEinfach mal reinlesen _____ ~❦~ Ich weiß noch nicht genau wo mich die Geschichte hinführen wird Aber ich weiß, dass sie tief aus meinem Herzen spricht Wer wünscht sich nicht diese eine Person, die für imme...