K A P I T E L 6

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Harry war sehr dankbar über Louis' Bitte, ihm noch Gesellschaft zu leisten, da er insgeheim Angst gehabt hatte, alleine zu Hause zu sein. Dort wären seine Gedanken ihm nur wieder entflohen und er hätte sich im Bett verkrochen, um vor der restlichen Welt zu fliehen. 

So aber saßen die beiden Männer noch lange bei einer Tasse Tee beisammen und genossen die Gesellschaft des jeweils anderen, ohne viele Worte verlieren zu müssen. 

Irgendwann klingelte es überraschenderweise an der Tür und Louis' beste Freundin Eleanor stand im Flur, eine Flasche Pfefferminzschnaps in der Hand, mit der sie aufmunternd winkte. 

"Sich betrinken ist bestimmt keine gute Idee", wollte Louis zwar noch einlenken, doch Harry erinnerte sich prompt an den Geschmack von Lennarts Lippen, wenn er nach einer durchzechten Nacht heimgekommen war und sich an den Jüngeren gekuschelt hatte, ihn dabei über über mit Küssen überdeckend.

Lennart hatte viel zu viel getrunken und zu Lebzeiten hatte sich Harry immer furchtbare Sorgen gemacht, wohingegen nun der Pfefferminzschnaps nur eine Sache bedeutete: er würde Lennart nah sein, wenn auch auf eine makabere Weise. 

Also gab sich auch Louis geschlagen, sodass sie kurz darauf auf der Couch hockten, jeder ein Shotglas voller grüner Flüssigkeit vor sich. "Worauf trinken wir?", fragte Eleanor, bevor sie den Alkohol zu ihrem Mund führte. 

"Auf Lennart", murmelte dessen Bruder mit belegter Stimme und hob traurig die Mundwinkel. 

"Auf Lennart!" Sie prosteten einander zu und sobald das bekannte Brennen sich in Harrys Mund ausbreitete, überkam ein wohliger Schauer ihn und er blickte kurz zur Zimmerdecke - vielleicht konnte sein Freund ihn dennoch beobachten. 

Nach einem weiteren Glas spürte Harry, wie ihm schwindelig wurde und beim dritten begann seine Zunge schwer zu werden und er musste den Kopf gegen die Couchlehne fallen lassen, weil er sonst viel zu schwer gewesen wäre. 

Eleanor erzählte gerade irgendetwas von ihrer Geburtstagsparty, während Louis ihr möglichst aufmerksam zuhörte - was gar nicht so leicht war, denn ihm drohten immer wieder die Augen zuzufallen. 

Diesen Moment nutzte Harry jedoch, damit er Louis abermals betrachten konnte. 

Er fand ihn unglaublich schön und die Ähnlichkeit mit Lennart war überwältigend. Seine braunen Haare fielen ihm teilweise ins Gesicht und umrahmten seine hohen Wangenknochen und den markanten Kiefer perfekt. Der Alkohol hatte seine Augen getrübt und trotzdem waren sie unfassbar blau und schienen bei den Erinnerungen an seinen Bruder voller Liebe zu leuchten. 

Nach einer ganzen Weile, in der Harry bloß geschwiegen hatte, räusperte Eleanor sich schließlich und stand auf - bemüht, nicht über ihre eigenen Füße zu stolpern. "Ich werde jetzt nach Hause gehen", sagte sie schleppend und obwohl Louis ihr vorschlug, über Nacht zu bleiben, wollte sie lieber in ihrer eigenen Wohnung schlafen. 

"Aber ich lass euch die Flasche da." Mit einem Zwinkern beugte sie sich für einen Abschiedskuss zu Louis hinunter, danach war sie verschwunden. 

Einige Sekunden herrschte Stille, bis Louis sich einmal schüttelte und den restlichen Schnaps auf ihre beiden Gläser verteilte. "Auf uns." Er drückte Harry sein Shotglas in die Hand und stieß seines daran, ehe er es leerte. 

Harry wollte zuerst nur vorsichtig nippen, doch dann kippte er den Alkohol beherzt in sich und merkte, wie dessen benebelnde Wirkung sich sofort verstärkte und wie ein sanftes Vibrieren in seinem Körper ausbreitete. Allmählich wurden seine Glieder müde und er verstand, was Lennart so faszinierend daran gefunden hatte, sich zu betrinken: die Welt kam einem nicht mehr so schwer vor, sondern ungewöhnlich leicht. 

"Er hat viel zu viel getrunken", stieß der Lockenkopf plötzlich hervor und seufzte traurig. "Ja." Louis seufzte ebenfalls. "Und geraucht hat er auch zu viel." Er war noch viel besser darin, seine Gedanken und Worte zu sortieren, weshalb er hinzufügte: "Aber wir haben alle etwas, was uns kaputt macht." 

Gerne hätte Harry nachgehakt, was dieses Etwas für Louis war, befürchtete allerdings, den Rahmen zu sprengen, weswegen er lediglich ein undefinierbares Brummen von sich gab. 

"Danke, dass du da bist", flüsterte Louis nach ein paar Minuten, und Harry drehte seinen Kopf, um Louis betrachten zu können. "Ich bin gern hier", erwiderte er.    

Ihre Blicke kreuzten sich und in diesem Augenblick bildete sich Louis ein, dass da ein unsichtbares Band war, was sie beide miteinander verband, wobei er sich jedoch nicht sicher war, ob ihn lediglich der Alkohol fantasieren ließ. Immerhin kannten sie sich gerade mal wenige Tage - und außerdem war Harry Lennarts Freund. 

Aber nichtsdestotrotz verlor er sich ein Stückchen in dem Grün seiner Augen und in den Grübchen, die ihm bereits bei ihrer ersten Begegnung aufgefallen waren. Harry schien das zu bemerken, denn irgendwann gluckste er und boxte Louis leicht gegen den Oberarm - eine Geste, die er nüchtern niemals zustande gebracht hätte. 

"Ich mag dich", nuschelte Louis daraufhin, wodurch Harry nur noch mehr kichern musste. "Ich mag dich auch." 

Louis' Finger umschlossen zaghaft Harrys Hand und sie spürten die angetrunkene Wärme des jeweils anderen, die sie noch schläfriger werden ließ - zum Glück, weil so die dunklen Gedanken allmählich ebenso leise wurden und sich zurückzogen. 

Schließlich rappelten sie sich auf und Louis suchte im Badezimmerschrank nach einer neuen Zahnbürste, die der Lockenkopf benutzen konnte. Nachdem sie sich die Zähne geputzt hatten, klappte Louis das Sofa im Wohnzimmer aus, worauf Harry sich ohne Umschweife fallen ließ - mittlerweile war er bereits in seiner eigenen Traumwelt gefangen und merkte nur noch wie durch einen Schleier, wie der Ältere ihn mit einer Decke zudeckte und ihm sanft ein Kissen unter den Kopf schob. 

Doch anstatt anschließend selbst auch ins Bett zu gehen, erlaubte Louis sich, an Harrys Seite sitzen zu bleiben und ihn zu beobachten - so war wenigstens niemand allein. Zumindest redete Louis sich das ein, denn der Alkohol ließ nach und in seinem Herzen machte sich wieder diese unbändige Leere breit, die drohte, ihn  zu verschlucken. 

Er schloss die Augen und schluckte ein paar Mal in der Hoffnung, die Trauer so unterdrücken zu können - erfolglos. Stattdessen verließen heiße Tränen seinen Körper und rannten still über seine Wangen, während der Grünäugige sich bloß mit einem Schmatzen auf die Seite drehte. 

Ein plötzliches Schnarchen seinerseits nahm Louis zum Anlass, nun endlich auch den Schlaf zu suchen, aber bevor er aufstehen konnte, hatte Harrys Hand zu ihm gefunden, sich zaghaft auf seinem Knie platzierend. 

"Du bist nicht allein." 

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               

zuhause - larry stylinsonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt