Der Lehnsherr aus der Einsamkeit

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„Yare Yare, was ist denn das hier für ein Lärm?", fluchte Shihai murmelnd als er das Wirtshaus betrat. Bereits von draußen hörte man das überschwängliche Gelächter und die vom Alkohol verzerrten Stimmen. Kaum hatte er die Tür geöffnet, schlug ihm die Wärme und die Stickige Luft entgegen. Es war als würde er in eine Wand aus Menschen und Geräuschen laufen. Er seufzte und richtete sich zu seiner ganzen Größe auf. So war es um einiges leichter, sich einen Weg durch die verschwitzten Männer zu Bahnen, die den Weg zur Theke versperrten. Soweit das Auge reichte konnte er nur Männer im sich herum erkennen und seine Miene Verdunkelte sich. Er war seit Tagen draußen unterwegs gewesen, hätte auf einer dünnen Matte bei seinem Lagerfeuer geschlafen. Alles was er nach diesem lächerlichen Auftrag wollte war ein guter Sake, vielleicht sogar einen Met, ein warmes Bett und eine Frau, die er für ein paar Stunden zu Diensten hatte.
Doch so wie es aussah, konnte er sich zumindest die Gesellschaft an diesem Abend nicht erwarten.
Er drückte sich mit seinen breiten Schultern und seiner verfinsterten Miene zum Tresen durch. Der Wirt schaute ihn verängstigt an und stellte rasch sein Glas, ab das er mit einem dünnen Tuch trocknete.
„Ah Samurai; was kann ich euch anbieten?", fragte er mit einer angedeuteten Verbeugung. Shihai hob die Braue.
„Sake", brummte er und stützte sich mit den Ellenbogen auf die Theke.
„Oi", sprach er den Schankwirt erneut an, „wo sind die Frauen? Hier sind nur Männer. Das ist ja schlimm."
„Oh Frauen brauchen ihr Glück hier gar nicht versuchen", erzählte der nun aufgelockerte Wirt und stellte Shihai sein Glas hin. Dieser schaute ihn als Antwort nur an.
„Wir haben hier in unserer kleinen Stadt eine wunderschöne Geisha. Sie ist so anmutig, grazil und wunderschön anzusehen. Das macht die Männer hier so verrückt, dass Sie darüber hinwegsehen das Sie...", er machte eine dramatische Pause und rückte Shihais Gesicht bis auf wenige Zentimeter nahe. Dann flüsterte er: „...ein Mann ist! Glaubt man das?"
Shihai trank sein Glas in einem Zug leer und schaute weiter ausdruckslos in das vielsagende Gesicht des Wirts. Dieser nahm die entstandene Stille als schlechtes Zeichen auf und begann sich zu rechtfertigen: „Also nicht das mich das was angeht oder stört oder so. Jeder soll ja machen was er will und ihm glücklich macht, wer dafür einem armen Kerl helfen will."
Die Stille ging weiter und Shihais Blick schien sich direkt durch den Tresen zu bohren. Der Wirt hob mittlerweile seine Hände in einer Abwehrhaltung.
„A-Also es ist ja nicht so, als wären mir die Gedanken nicht auch gekommen. Wenn man das jeden Tag sieht wird man eben irgendwann schwach, Sie verstehen was ich meine..."
„Was andere denken und machen ist mir egal", sagte Shihai mit gedämpfter, energischer Stimme und erlöste den Mann von seinem durchbohrenden Blick. Das passte ihm eigentlich auch nicht schlecht. Einem jungen Mann hatte er schon lange nicht mehr seine Aufmerksamkeit geschenkt. Die Haut war mindestens genauso weich, wie die einer schönen Frau und gerade wenn Sie jung sind, lassen Sie sich gerne fallen. Gerade bei ihm, sein Charme war über die Jahre fast schon zu einer Falle geworden. Ein kleines, selbstgerechtes Lächeln zuckre um seinen Wundwinkel. Der Wirt schenkt ihm nach und schaute ihn einen Moment an. Irgendwas an diesem Mann zog ihn an, als wolle er sich den ganzen Abend mit ihm unterhalten. Trotz seiner kalten, harschen Art. Doch ehe er sich weiter darauf einlassen konnte riss er seinen Blick los. Auch sonst schien niemand Interesse daran zu haben mit Shihai ein Gespräch zu beginnen. Er wurde von allen Seiten beäugt. Einen so alten Samurai hatten sie lange nicht mehr gesehen. Mit seinen knappen 34 Jahren war Shihai bei weitem zu alt um allen Pflichten eines Samurai nachzukommen. Einer der vielen Gründe, aus denen er nun mit verdüsterter Miene in seinen Sake stierte.
Er wusste was die Leute denken. Auch wenn er bei weitem nicht der älteste im Raum war, konnte er das Unglauben und Raunen in seinem Rücken förmlich spüren. Sie fragten sich was er hier trieb, ob er in die Dienste eines reichen Mannes getreten ist. Ein abtrünniger vielleicht?
Er schnaubte in Gedanken und schüttelte den Kopf. Sein Leben war eigenwillig, aber nicht schlecht. Nachdem seine Glanzzeiten vergangen waren, setzte er sich notgedrungen ins Abseits. In einem Kampf vor wenigen Jahren war er für einen Moment unaufmerksam. Ein kleiner Moment, der seine großen Ziele beenden sollte. Das Katana seines Gegners traf ihn rücklings am Schulterblatt und durchtrennte Muskeln und Nerven. Die Wunde wurde zwar gut versorgt, doch bereits in dem Moment, wo der Schmerz seinen Körper durchzog sah er vor seinem geistigen Auge wie es enden würde. Er sah sich ein Katana halten, kurz nachdem man ihm den Verband abnahm. Und er würde es nicht halten können. Es würde scheppernd zu Boden fallen. Und so sehr er sich auch weigerte an seine eigene Vision zu glauben, kam es wenige Wochen später genau zu diesem erschütternden Moment. Eine Welt zerbrach, in dem Moment, in dem das lange Schwert auf den Steinernen Boden schepperte.

Jedes Mal, wenn er ein Lokal betrat wurde er durch die fragenden, hinterlistigen Blicke der umstehenden daran erinnert. Es war etwas, womit er leben musste.
Das wusste er.
Das sagte er sich jeden Morgen selbst.
Und dennoch stach es ihn innerlich immer wieder. Wenn die Leute spekulierten.
Nach seinem Unfall hatte er vieles aufgegeben. Seine Frau und die beiden Kinder, die sie zusammen hatten, waren zurückgeblieben. Hin und wieder besuchte er seine Familie. Doch öfter als alle paar Wochen hielt er das nicht aus, das schmerzhafte Lächeln seiner Frau konnte er einfach nicht ertragen.
Ein schönes Leben, die Freiheit, die er braucht, hatte sie ihm zum Abschied gewünscht. Sie hatte ihn verstanden, als er sich in seinem eigenen Leben nicht mehr ausgehalten hat.
Seitdem zieht er durch die Lande, als Lehnsherr kommen seine Erträge für die Familie ja fast von selbst herein. Alles was er selbst zum Überleben braucht, verdient er sich dazu. Und schon war er gedanklich wieder bei seinem letzten Auftrag.
Wer verdammt heuert sich einen ehemaligen Samurai an, um ein Päckchen auszuliefern? Das ist doch nicht nur Geld, sondern auch Lebenszeit Verschwendung. Wofür gibt es denn heute die Dienstboten?
Solche Aufträge kamen leider auch dazwischen, Aufträge wo er für Tagen auf Reisen war. Solche nahm er nur an, wenn es eh in der Richtung lag, in die er wollte. Dennoch ärgerte es ihn, da viele Auftraggeber erst zahlen, wenn sie vom Empfänger gehört haben das die Wäre angekommen ist. Diesmal hatte er Glück gehabt, man hatte ihm neben seinem Päckchen zum Ausliefern gleich seinen Lohn mitgegeben.

Er ärgerte sich für einen Moment über seine unkontrollierten Gedanken. Entscheidungen, die man nicht mehr ändern kann, müssen einen auch nicht quälen, oder?
Nach mehreren unbeweglichen Minuten erhob er sein Glas und leerte es erneut in einem Zug. Mit einer Handbewegung bat er um einen erneuten Nachschank.
Er drehte seinen Kopf und beäugte die Menschen um sich herum.
Noch war keine schöne Geisha in seiner Nähe aufgetaucht. Er beschloss einfach zu warten und zu schauen was passiert.

Wie Feuer auf meiner HautWo Geschichten leben. Entdecke jetzt