Das Ufer

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Eine kleine Insel liegt im Meer. Sie besteht aus einigen kleinen Steinen und einigen großen, flachen Felsen. Zwischen den Kieseln ruht der Sand, den das Wasser mit dem Laufe der Zeit von dem Fels gelöst hat. Es fließt immerzu gegen die steinige Küstenlinie und wäscht Partikel des Gesteins herunter. Bei Flut ist der Steinhügel höher, bei Ebbe niedriger. Nicht, dass es viel zur Sache tun würde; dies ist kein Ort, an dem ein Lebewesen lange verweilt. Trotz ihrer geringen Höhe ragen die Felsen bedrohlich auf und machen aus friedlichen Windböen ein pfeifendes und zischendes Geräusch. Die Wellen, die immerzu gegen das Ufer schlagen, haben nicht beruhigendes an sich. Sie klatschen mit einer monotonen Einsamkeit gegen den nackten Stein und trieben jeden Bewohner in den Wahnsinn, hätte es welche gegeben. Es wäre schneller geschehen, als dass jemand verhungert oder verdurstet wäre. Doch das normale Wasser meidet diesen Strand. Es fließt mir surrealer Beharrlichkeit in großem Bogen um die Insel herum und treibt alles, das verrückt genug ist, um auf diese Insel zuzuhalten, davon. Selbst wenn sich das helle Sonnenlicht an diesem dämonischen Ort zeigen könnte, der stets von trist grauen und bedrohlich strahlenden Wolken verhangen war, so würde der tiefschwarze Stein keinen Deut heller wirken. Der Wind umtost die Felsformation und klingt wie das Geschrei und Gestöhne von den Qualen selbst, nicht den Gequälten, die längst verstummen mussten. Trotz des finstren Steins kann man jede Kante jedes Kiesels täuschungsfrei ausmachen. Unabhängig von dem starken und tosenden Wind hält das fast weiße, viel zu klare Wasser seinen monotonen Rhythmus und schläft auf den Fels ein. Drei Rillen auf einem Stein, an ihren Enden miteinander verbunden. Es regnet dort nie. Durch das Wasser kann man bis auf den Boden sehen. Das Wasser ist weiß und klar, aber der Fels auf dem Grund des Ozeans ist vom selben nachtschwarzen Stein wie die Insel. Ein kleiner Bogen ragt aus einem der aufrechteren Felsbrocken. Er sieht nicht unnatürlich abgebrochen aus, eher wie Reste einer Kette, die dort verankert waren. Aber auch dieser unnatürliche Bogen an dieser unnatürlich planen Wand ist aus dem schwarzen Stein, das sich an den Wind reibt und die Qualen beschwert, die durch die ewig monotone Gleichheit zwischen Tag und Nacht hallen, bei der das Licht aus dem weißen Wasser besteht, das zwischen grauer Leere und schwarzem Untergrund lebt. Nie ist es ausgepeitscht, nie ragen die Wellen höher oder niedriger auf als die stets gleiche Höhe. Das Wasser steht höher oder niedriger, aber die Wellen sind immer gleich darauf, die immer gleiche weiße Substanz, die das immer gleiche Wellengeräusch aus Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit heran trägt. Ein kleiner Fluss des weißen Wassers hat sich ins Gestein gegraben, ist wiederholt gegen die eine gleiche Stelle vorgeprescht und kam hindurch. Über diesen Fluss spannt sich eine kleine Brücke; Stein, der nicht gelöst wurde, weder von dem monotonen, glühend weißen und doch durchsichtigen Wasser noch von dem Wind, der die Qualen selbst ist, der wiederholt und wiederholt über die Insel reitet und die Leere heimsucht. Und um das Gebiet der Insel fließt das normale Wasser, abgestoßen von der weißen Leere, die doch auch Wasser ist, der normale Wind, der die Wand aus Bewegung und dem Geräusch von Qualen nicht durchdringen kann. Der Wind, der das Geräusch des Leides mit sich trägt wie eine Haut und das Gefühl des Schmerzes wie eine zweite, er bewegt auch die Wolken. Weht in immer gleichen Schlangenlinien auch dort entlang und die Wolken walzen fortwährend um den Himmel, stets gleich; linksherum ein halber Kreis und rechtsherum ein halber Kreis. Und immer so fort. Und unter den bewegten Wolkenmassen, die wie Walzen den Himmel pflügen, zerschlägt das immer gleiche weiße Wasser seinen Grund und Boden, sein Leben, sein Gegenteil, weht der immer gleiche Wind um Steine finstrer als die Hölle, mit Formen, die dunkle Omen zeigen. Ein Stein wie ein Pilz, er ragt hoch, aber ist klein, er trägt seinen Schirm flach zur Seite und strahlt das weiße Licht des Wassers zurück. Und doch sitzt auf dem Hut noch ein Stiel, wie ein Schwert, das eine Hand durchsticht. Und der Wind trägt den Schmerz der Hand mit sich und das Wasser sucht den Pilz, sucht den Stein, will mit ihm die Zerstörung vernichten und wird so doch selbst die Zerstörung werden. Und es schlägt in monotonem Ton gegen das Schwarz. Hier gelten nur wenige Regeln. Es gibt nur Licht, Schall und Qualen. Lebendig ist nur, was nicht lebendig sein kann, und wer das Tor zur Hölle sucht, der muss es lebendig finden. Es riecht nicht. Und man hört nur das stete Rauschen des gleißenden Meeres und die Schmerzen, die der Wind mit dich trägt. Ganz oben auf dem Hügel stehen die beiden höchsten Felsen, senkrecht gen Himmel gereckt, gegen die grauen Wolken, die nur das Licht absorbieren, das von dem rabenschwarzen Gestein reflektiert wurde, und zwischen ihnen hängt wie eine Leiche ein dünner Grat des finsteren Steins, und dazwischen ist eine Wand aus Leere, in die das weiße Wasser fließt. Und das Plätschern klingt wie ein Zischen von tausenden Zungen, die herausgerissen sind und an einer Wand hängen, wo sie langsam schwarz werden, bis sie Teil der Magie werden. Und vom Ende der länglichen Zungen tropft rückwärts das weiße Wasser, fließt die Zungen hoch und wird Teil des schwarzen Gesteins, das es einst zu zerstören versuchte. Und es bildet neue Steine, doch einiger ersetzten sich nie. Der Stein mit den drei Linien, die Kette an der planen Seite des Felsens. Und immer fort fließt das weiße Wasser gegen den Stein und den Berg hoch, fließt hinab und in die Zungen, fließt gegen den Stein und holt zurück, was einst zu ihm gehörte, und wird, was es bekämpft. Und der Wind trägt das Leid selber durch die Luft und zieht die Wolken ewig herum. Und stets bleibt die Natur fern, denn die Vernunft meidet das Tor zur Hölle, wo die sechs Zeichen die Anwesenheit verkünden.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Sep 19, 2019 ⏰

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