1. Kapitel

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Geh zurück nach Hause und wasch dir den Dreck aus der Visage, Ginger!

Ich knülle den gelben Zettel in meiner Faust zusammen und werfe ihn gekonnt in den Mülleimer, der ein paar Meter von mir entfernt auf dem Schulflur steht. Nicht, weil ich eine besonders gute Werferin bin, sondern weil dieser Akt mittlerweile zu meiner täglichen Routine gehört.

"Na, was stört ihn heute an dir?" Isla hat den Kopf in ihr Schließfach gesteckt, auf der Suche nach einem Buch und ihren Notizen für den Unterricht. Wäre sie nur halb so ordentlich, wie das sorgsam aufgetragene Make Up in ihrem Gesicht, würde sie viel Zeit sparen.

"Ich soll mein dreckiges Gesicht waschen", gebe ich gelangweilt zurück.

"Also ich mag deine Sommersprossen." Sie bläst sich eine Strähne ihrer kurzen Haare aus der Stirn und klemmt ein Buch unter ihre Achseln. Scheinbar war ihre Suche erfolgreich. "Ehrlich, Sierra, ich versteh sein Problem nicht."

Ich zucke mit den Schultern, ehe ich meinen Rucksack aufsetze und Isla voraus zum Klassenzimmer gehe. "Er will nur sicher gehen, dass ich auch mitbekomme, wie beschissen er mich findet."

"Als ob sich irgendjemand für die Meinung von Lucas Hart interessiert", Isla verdreht die Augen. Das weiß ich, auch ohne sie zu sehen. Sie schwebt mit großen Schritten hinter mir her über den Flur, ohne dabei mit einem anderen Schüler zusammenzustoßen. Wenn ich Islas Erscheinung beschreiben müsste, dann würde ich sie mit einer Elfe vergleichen. Alles an ihr ist anmutig und gleichzeitig so zart. Ich hingegen, bin das genaue Gegenteil von anmutig oder zart. Damit angefangen, dass ich recht groß bin für ein Mädchen, sind meine Schultern zu breit und meine Züge markant. Ein paar Sommersprossen, so als hätte mich die Sonne nur leicht geküsst, das wäre schön. Aber auch hier wurde ich nicht mit der Zurückhaltung der Natur gesegnet. Es sind nicht nur ein paar Pünktchen - mein gesamtes Gesicht ist übersät davon. Die Sonne hatte mich nicht geküsst, sie war in einem Kollateralschaden mit mir zusammengeprallt.

"Ich muss zugeben, ein bisschen beeindruckt bin ich schon. Er findet immer etwas Neues." Ich setzte mich auf meinen Platz am Fenster und rutsche bis zur Stuhlkante vor. Je deutlicher meine Haltung aussagen würde, dass ich überall lieber wäre als hier, desto besser. Lucas Schikanen hatten eine Woche nachdem ich an die Southwest High gekommen war begonnen. Ohne jeglichen Anlass, einfach so. Vielleicht störten ihn meine roten Haare, vielleicht war es die Tatsache, dass ich ihn in der ersten Sportstunde ohne Weiteres zu Boden gerungen hatte, vor den Augen all unserer Mitschüler. Jedenfalls erträgt er mich nicht und das lässt er mich jeden Tag aufs Neue wissen.

"Vielleicht ist er auch einfach nur verliebt in dich", Isla kippt ihren Stuhl nach hinten und spricht mit mir, ohne sich umzudrehen, "das würde zumindest erklären warum er so besessen von dir ist."

Ich gebe ein angewidertes Würgen von mir. "Danke. Das ist der Stoff, aus dem meine Alpträume gemacht sind."

Mr. Shaffer betritt den Klassenraum als letztes und verliert keine Zeit, direkt mit dem Unterricht zu beginnen. An meiner alten Schule war Biologie eines meiner Lieblingsfächer gewesen. Schon als kleines Mädchen wollte ich immer Ärztin werden und war von allem, was mit dem menschlichen Körper zu tun hat überaus fasziniert. Aber Mr. Shaffers Unterricht ist für mich nicht nur deshalb eine Qual, weil er lediglich über Dinge spricht, die ich bereits weiß. Er ist auch unser Vertrauenslehrer. Allerdings trägt er lediglich den Titel, denn seinem Job als solcher kommt er in keinster Weise nach. Ich war dumm genug gewesen, Lucas Schikanen bei ihm anzuschwärzen, in der Hoffnung er könne dem Ganzen ein Ende setzten, bevor sich aus den Bemerkungen ein gemeiner Ruf über mich verfestigen konnte. Für Mr. Shaffer war scheinbar schnell klar, dass ich bloß überregierte und mit den Neckereien, wie er es nannte, nicht umgehen konnte. Tatsächlich hat er mir schamlos empfohlen, dass es wohl das Beste sei, Lucas einfach zu ignorieren, wenn er eine Nummer zu groß für mich war.

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