2. Kapitel

92 15 1
                                    

"Ash Young?" Isla's Stimme klingt verzerrt und das Bild der Videoübertragung stockt, so dass ich lediglich ihren überraschten Gesichtsausdruck als Standbild sehe. "Bist du dir sicher, dass er damit auf den Zettel anspielen wollte?" 

"Sicher bin ich nicht." Ich sitze im Schneidersitz auf meinem Bett, das iPad vor mir aufgestellt, und versuche so leise wie möglich zu sprechen, dass niemand sonst im Haus mich hören kann. "Aber wenn du den Zettel nicht geschrieben hast und Lucas auch nicht, wer war es dann?" 

"Naja, zugegebenermaßen ist Ash Young so ziemlich der Letzte, der mir da in den Sinn gekommen wäre." 

Ich denke darüber nach, dass Ash nicht nur ein Außenseiter ist, er ist sogar fast unsichtbar. Niemand hatte ihn auf dem Radar, obwohl jeder schon einmal eines der Gerüchte über ihn gehört oder sogar selbst verbreitet hat. Trotzdem verschwendete niemand mehr als nur einen flüchtigen Gedanken an ihn. Denn alles, was um ihn herum passiert, scheint einfach von ihm abzuprallen. Die Vorstellung, dass er jemanden wie mich überhaupt wahrnahm, war denkbar unrealistisch. 

"Wahrscheinlich war das alles nur ein Zufall", murmle ich und greife nach dem grauen Nagellackfläschen. 

"Was meinst du?" Das Bild auf dem iPad hat sich wieder verändert. Isla hält ein Buch über ihr Gesicht und überfliegt unaufmerksam die Seiten. Manchmal telefonieren wir stundenlang so miteinander, während wir uns nebenher mit allen möglichen anderen Dingen beschäftigen.

"Die Aktion in der Cafeteria, dann der Zettel und zum Schluss die Heimfahrt." Der Nagellack ist so verklumpt und eingetrocknet, dass ich ihn wieder zuschraube und mir eine neue Farbe aussuche. Ich schwanke zwischen Altrosa und Burgund,  als mir auffällt, dass ich Isla nichts von dem Vorfall beim Mittagessen erzählt habe. 

Sie lässt das Buch sinken, rollt sich zur Seite und sieht mich durch die Kamera neugierig an, "Ich fühl mich ein bisschen hintergangen. Was war denn in der Cafeteria?" 

"Ash hat mir angeboten, mich zu ihm zu setzen", gebe ich so gleichgültig wie möglich zurück. 

Isla wird hellhörig, "Wieso denn das?" 

"Alle anderen Tische waren schon besetzt." 

"Und was war noch?" Sie kennt mich zu gut. 

"Nichts", ich schaffe es nicht sie dabei anzusehen und konzentriere mich stattdessen auf das Lackieren meiner Fingernägel, "wir haben nicht einmal geredet oder so. Ich glaube, er wollte einfach nur freundlich sein." 

"Einfach so?" 

Ich nicke. 

"Okay, also Ash Youngs verborgene Ritterlichkeit in allen Ehren, aber zweimal am Tag, ohne jeglichen Anlass, ist dieser Kerl zu niemandem freundlich." Isla hat einen siebten Sinn. Vielleicht weil ihre Eltern sie bereits als Kind in die Welt der Psychologie entführt haben. Jedenfalls entgeht ihr nichts, egal wie sehr man versucht es vor ihr zu verstecken. "Wenn du mir nicht sagst was los war, dann frage ich eben Joseph Durrant. Er wird mir liebend gern alles erzählen." 

Ich verdrehe die Augen, "Schämst du dich nicht, Joseph derart auszunutzen? Er ist in dich verliebt, du weißt genau, dass er machtlos ist." 

Isla gluckst, "Du hast es in der Hand." 

"Lucas hat sich vor allen aufgespielt, als er gesehen hat, dass ich alleine in der Cafeteria bin", sage ich, mit einem hörbaren Seufzen, "bist du jetzt zufrieden?" 

"Was hat er gesagt?" 

"Ist doch egal." Die Fingernägel meiner linken Hand sind vollständig bepinselt und ich betrachte sie. Es ist leichter Isla nicht anzusehen, wenn sie alles genau wissen will. Die Gefahr, dass sie die Wahrheit in meinen Augen erkennt, ist viel zu groß. 

Love NotesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt