All die Wunder mit dir zusammen

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Mitten in einem Randort von London, auf einer zu so später Zeit längst verlassenen Straße, waren die einzigen Lichter, die noch brannten, die der Straßenlaternen und der Lumos eines jungen Platin blonden Zauberers. Ein Blick auf die Uhr sagte eben jenem gerade, dass es schon weit nach Mitternacht war. Er ließ seine Arbeit am Schreibtisch zurück und schloss die helle Holztür seines Arbeitszimmers hinter sich. Das Licht der Straßenlaternen vor dem großen Fenster im Flur durchflutete diesen und er erblickte auf der Kommode sein Hochzeitsbild. 

Er griff danach und fuhr mit dem Daumen über das fröhliche Gesicht seiner Frau. Das Glück in ihren Augen stand ihr. Dadurch strahlten sie wie braune Monde. Lange Zeit hatte er es für verloren geglaubt. Doch in letzter Zeit sah er es wieder häufiger, sie schien sich langsam von dem Albtraum, zu welchem sich ihr gemeinsames Leben entwickelt hatte, zu erholen, auch wenn sie sich noch immer Nacht für Nacht ohne Schlaf in seinen Armen herumwarf. Mit einem letzten, tröstenden Gedanken an ihren Hochzeitstag stellte er das Foto, diese glückliche Erinnerung zurück. Als er den dunklen Flur hinunterlief, wirbelte ein, durch das offenstehende Fenster verursachter Windstoß einen Papierstapel auf und trug ihm ein weiteres Bild herbei. 

Es war ein Gewirr aus Schwarz und Weiß. Ein ihm zu gut bekanntes Bild. Das Ultraschallbild vom 21. September 2004. Von dem Tag, an dem sein wundervolles Leben einfach so zusammengebrochen war. Von dem Tag, an dem sie ihn mit zu dem Muggelarzt geschleppt hatte, da sie es nicht erwarten konnte, endlich dieses Bild aufnehmen zu lassen. Von dem Tag, an dem sie den eindeutigen Beweis erhielten, dass ihre Tochter mit einem deformierten Herz auf die Welt kommen würde. Er erinnerte sich wie sie freudestrahlend und nichtsahnend ihren grünen Mantel über ihrem gerundeten Bauch zugeknöpft hatte und ihn überredet mitzukommen. 

„Ach komm schon" hatte sie gesagt. „Es ist äußerst unschicklich, wenn der Vater beim Ultraschall nicht anwesend ist, obwohl er hätte dabei sein können." Er hatte darauf beharrt, dass er zu keinem Arzt ginge, welcher nicht der Magie kundig war. „Dass du immer noch solch einer Meinung bist, ist wirklich unfassbar.", hatte sie geschnaubt und ihn ohne eine weitere Erwiderung zuzulassen mit zu dem Arzt geschleppt. Eine dauerlächelnde Frau im weißen Kittel hatte sie auf eine Liege platziert, ihr irgendein Glibberzeug auf den Unterleib geschmiert und durch ein äußerst merkwürdiges Gerät das innere ihrer Gebärmutter auf einen Bildschirm projektiert. 

Das war der Moment, in welchem er verstanden hatte, weshalb sie ihn mit zu dem Arzt gezerrt hatte. Denn den kleinen Menschen in ihr zu sehen, hatte ihn unendlich glücklich gestimmt. Doch dann hatte die Sprechstundenhilfe das Gerät beiseite gelegt und mit Unheil schwangerer Stimme gesagt: „Da sollte der Arzt einmal drüber schauen. Einen Moment bitte." Nach zwei Minuten, die sich wie Stunden angefühlt hatten, betrat ein junger Mann den Raum und stellte sich als Doktor Austin Palmer vor. Er hatte das Bild, welches sie zuvor noch auf dem Bildschirm gesehen hatten, in Händen gehalten und nachdem er tief Luft geholt hatte, gesagt: „Es tut mir leid ihnen das mitteilen zu müssen doch ihre Tochter hat einen Ventrikelseptumdefekt." 

Ihre Augen waren verwirrt zwischen ihm und dem Arzt hin und her gesprungen. „Was bedeutet das?", hatte sie ratlos gefragt. „Es bedeutet, dass sie ein Loch im Herzen hat. Besser gesagt zwischen der rechten und linken Herzklappe, dadurch kann das Herz nicht richtig arbeiten." Fassungslos hatten sie beide den Arzt angestarrt. Er konnte im Nachhinein nicht mehr sagen was ihm durch den Kopf geschossen war, doch er wusste noch wie er seine Frau in die Arme geschlossen hatte, nachdem sie in Tränen ausgebrochen war. 

Es hatte sich herausgestellt, dass die Sprechstundenhilfe das unregelmäßige Schlagen des winzigen Herzens gehört hatte, welches von einem ungefähr einem Zentimeter großen Loch herrührte. Doktor Palmer hatte ihnen erklärt, dass eine Operation am offenen Herzen äußerst große Risiken mit sich barg und ihre Tochter dennoch mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht überleben würde. Da für eine Abtreibung die Schwangerschaft schon zu weit fortgeschritten sei, wäre die einzige Möglichkeit eine Fehlgeburt herzuleiten. 

Er hatte dem Doktor nicht glauben wollen und sie schien ebenfalls der festen Überzeugung zu sein es hätte sich um einen schlechten Scherz gehandelt, doch nachdem ihnen die Verformung von dem Doktor vor Augen geführt worden war, gab es keinen Zweifel mehr; sie hatten ihre Tochter verloren, ohne sie jemals in den Armen gehalten zu haben. 

„Gehen sie nach Hause. Versuchen sie die Situation so gut wie möglich zu verarbeiten und rufen sie so bald wie möglich an um sich einen Termin geben zu lassen." An diesen Satz konnte er sich noch ganz genau erinnern, denn jedes einzelne Wort hatte sich für immer in sein Gedächtnis gebrannt. Es waren die Worte gewesen mit welchen der Doktor sie verabschiedet hatte. Er wusste nicht mehr wie lange es bis zu jenem Termin gedauert hatte, denn diese Zeit durchlebte er wie in Trance. In dieser Zeit konnte er die Stunden nicht voneinander trennen, waren Tag und Nacht nahtlos ineinander über gegangen. 

Natürlich hatten sie auch das Sankt Mungos Hospital aufgesucht und jeden Arzt, egal ob magischer oder nicht magischer Natur, nach dessen Hilfe und Rat gefragt. Sie alle waren zu ähnlichen Entschlüsseln gekommen: Eine Operation am offenen Herzen ist viel zu riskant und zu unerforscht als dass es glücken würde; das Kind würde nicht überleben; kein Trank oder Zauberspruch könne dabei von Nutzen sein. 

Einige Zeit verging und dann im Frühjahr noch eine Fehlgeburt gefolgt von zwei weiteren. Mit jedem Mal waren sie ein wenig mehr zerbrochen. Mit jedem Mal stürzten sie tiefer in ein schwarzes Loch, welchem er gehofft hatte nach dem Fall des dunklen Lords für immer entronnen gewesen zu sein. Sie hatten angefangen sich gegenseitig die Schuld zuzuweisen. Ein Vierteljahr war, gespickt von Streitigkeiten, Versöhnungen, Hass- und Liebesbekundungen an ihnen vorbeigezogen. 

Dann endlich hatten sie beschlossen es ein letztes Mal zu versuchen und wenn es wieder missglücken würde, käme nur noch eine Adoption für sie infrage, denn der Kinderwunsch war immerhin noch präsent. Und jetzt, im März 2007, war sie im achten Monat schwanger, so weit wie noch nie zuvor. Mit jedem Tag der verstrich und der Geburtstermin näher rückte, kehrte das Glück in ihre Augen zurück und auch er konnte immer häufiger lachen. 

Jetzt würde er gleich das Schlafzimmer betreten und sie sich im Bett herumwälzend vorfinden. Sich zu ihr legen, sie in seine Arme schließen damit sie den Schlaf finden konnte und ihrem beschleunigten Herzschlag lauschen, welcher ihm Trost spenden würde. 

Doch er erblickte den schmalen Lichtstrahl unter der Tür zum Badezimmer. Verwundert betrat er den Raum und fand seine wunderschöne, intelligente Frau schlafend in der Badewanne vor. Das Buch, welches sie gelesen hatte, schwebte vergessen vor ihr. Sie war umgeben von weißem Schaum, Dichter, weicher, weißer Schaum, welcher nicht in sich zusammenfallen zu schien, und Kerzen, welche auf dem Wannenrand verteilt um sie herum standen. Ihr Zauberstab lag achtlos neben ihnen. 

Er löste ihren auf dem Buch liegenden Schwebezauber mit einem gemurmelten: „Finite" und fing es geschickt auf. Er verfiel in die Betrachtung seiner Frau. Ihre braunen, wilden Locken waren halb getrocknet und standen jetzt kreuz und quer von ihrem Kopf ab. So mochte er es am liebsten: natürlich und ungezähmt. Er öffnete den Stöpsel der Badewanne. Das Wasser verschwand langsam und hinterließ den Schaum auf ihrem Körper. Er bedeckte sie, nur ihr gerundeter Bauch ragte wie ein Berg aus ihm hervor. 

Mit einem Schwenker seines Zauberstabs ließ er den Schaum verschwinden. Vorsichtig hob er sie aus der Wanne, versucht sie nicht aufzuwecken. Er löschte die Kerzen und schloss die Tür mit seiner Schulter. Sie blinzelte und lächelte ihn verschlafen an. Zitternd schlang sie die Arme um ihn und verschränkte ihre Finger in seinem Nacken. 

„Schh", sagte er sanft. „Schlaf weiter. Ich trage dich nur ins Bett." „Ich hab geschlafen" ,nuschelte sie verwundert an seiner Brust. „Ja" Liebe schwang in seiner Stimme mit. Sie schloss ihre Augen und ließ ihren Kopf auf seine Brust sinken. Ihre Locken kitzelte ihn an seinem Kinn als sie ihr Gesicht in seiner Halsbeuge vergrub. 

Mit wenigen langen Schritten erreichte er das Schlafzimmer. Ohne das Licht anzuschalten, betrat er es. Er bettete sie in die Kissen und breitete die dunkelrot golden gestreifte Kuscheldecke über ihr aus. Liebevoll legte er sich neben sie und zog sie in seine Arme. Ihr nackter Körper schmiegte sich an ihn und er spürte, als er mit der Hand über ihren Bauch strich, wie sich ein weiterer kleiner Körper an ihn schmiegte. 

„Ich liebe dich so sehr!", flüsterte sie und drückte sich noch näher an ihn. Sogleich schloss sie ihre Augen und war eingeschlafen. Er hörte ihren Herzschlag in der schläfrigen Stille. Ruhig und stetig. Endlich wieder. Und seine Worte füllten die Stille, bevor er ebenfalls in den Schlaf rutschte. 

„Ich liebe dich mein Schatz."


All die Wunder mit dir zusammenWhere stories live. Discover now