Kapitel 2

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My whole life waiting for the right time
To tell you how I feel.
Now I try to tell you that I need you
Here I am without you.
I feel so lost but what can I do?
'Cause I know this love seems real
But I don't know how to feel.

(„Mein ganzes Leben schon warte ich auf den richtigen Augenblick
Um dir zu sagen, was ich fühle.
Nun versuche ich dir klarzumachen, dass ich dich brauche
Und was ich ohne dich bin.
Ich fühle mich so verloren, doch was kann ich tun?
Denn ich weiß, diese Liebe scheint echt zu sein
Aber ich weiß nicht, wie ich darüber fühlen soll.")

Hurts – Stay

Langsam richtete ich mich wieder auf und machte mich auf den Weg ins Wohnzimmer, wo ich eine Schublade nach der Nächsten durchforstete, bis ich schließlich das gefunden habe, wonach ich gesucht hatte: Ein hellblaues Fotoalbum, in dem ich alle Bilder von uns beiden aufbewahrte. Mit einer Flasche Hochprozentigem, die ich mir im Vorbeigehen von einem Regal gefischt hatte, ließ ich mich auf's Sofa sinken und öffnete das Album. Direkt das erste Bild, das hierbei zum Vorschein kam, versetzte mir einen gewaltigen Stich ins Herz, den ich sofort mit einem großen Schluck hinunterspülte. Es handelte sich um eins der ersten Bilder, das es überhaupt von uns gab. Ich erinnerte mich noch ganz genau daran, wie wir uns kennengelernt haben – so, als wäre es gerade erst gestern gewesen: Ich war gerade erst seit ein paar Monaten bei Leverkusen unter Vertrag, als mir bei den Trainings immer wieder ein Junge aus der Vereinsjugend auffiel, welcher schätzungsweise zwei oder drei Jahre jünger als ich war, der uns zusah und seine Eindrücke mit Argusaugen förmlich zu verschlingen schien. Es wirkte teilweise geradezu so, als würde er in Gedanken die Spielweise von jedem Einzelnen von uns komplett auseinandernehmen, nur um sie für sich wieder vollkommen neu zusammenzusetzen.

Eines Tages – das Training war gerade zu Ende gegangen und ich war auf dem Weg in Richtung Kabine – sprach er mich plötzlich an: „Du bist echt richtig gut. Wenn ich mal älter bin, möchte ich mindestens genauso gut Fußball spielen können." Überrascht hob ich meinen Blick und konnte mir ob seiner lobenden Worte ein leichtes Grinsen nicht verkneifen.
„Danke, das freut mich zu hören.", entgegnete ich und ließ mich neben ihm auf die Bank sinken. „Bist du eigentlich jeden Tag hier? Ich habe dich nämlich schon häufiger während unseres Trainings gesehen." Er schüttelte den Kopf und richtete seinen Blick gen Himmel, wo sich die Sonne von ihrer prächtigsten Seite zeigte.
„Nein, nur wenn unsere Mannschaft selber Training hat. Allerdings sind wir meistens schon so früh fertig, dass ich noch eine ganze Weile Zeit habe, bis meine Eltern kommen können, um mich abzuholen. Im Gegensatz zum Großteil der anderen Jungs wohne ich nämlich nicht hier in Leverkusen, sondern pendle immer von Aachen hierher.", erklärte er und fügte hinzu: „Aber nicht mehr lange – in ein paar Wochen ziehe ich nämlich hierher zu einer Gastfamilie. Meine Mutter ist zwar ganz und gar nicht glücklich damit, dass ich mit 15 schon von zu Hause ausziehe, aber da hat sie eindeutig die Rechnung ohne meinen Dickkopf gemacht." Ein Grinsen umspielte dabei seine Lippen, welches mich sofort ansteckte. Ich musste in diesem Moment daran denken, wie ich selbst ein paar Jahre zuvor in so einer ähnlichen Situation war, als mein Wechsel ins Nachwuchszentrum nach Wolfsburg unmittelbar bevorstand: Meine Mutter war damals ebenfalls nicht unbedingt begeistert davon gewesen, dass ich in meinem recht jungen Alter schon von zu Hause wegwollte, hatte der ganzen Sache jedoch letzten Endes zugestimmt, da sie schlichtweg wusste, dass es mein allergrößter Traum war, eines Tages zu den ganz Großen im Fußballgeschäft zu gehören. Somit ließ sie mich einerseits mit einem lachenden, aber andererseits auch mit einem großen weinenden Auge ziehen.
„Kai? Bist du fertig?", hörte ich jemanden rufen. Wie auf Kommando drehten wir uns beide um und sahen geradewegs in das Gesicht einer älteren und weiblichen Version von ihm.
„Du bist schon hier, Mama?", fragte Kai und schaute zunächst sichtlich verwirrt aus der Wäsche, ehe ihm beim Blick auf die Uhr neben der Anzeigentafel dämmerte, dass bereits einiges an Zeit vergangen war. Schnell sprang er auf die Beine und warf mir ein knappes „Also dann – man sieht sich!" zu, ehe er seiner Mutter hinterherjoggte.

Von diesem Tag an trafen wir uns immer häufiger nach dem Training, quatschten über Gott und die Welt, trainierten manchmal ein bisschen zusammen und wurden nach und nach richtig gute Freunde. Umso größer war daher die Freude bei uns beiden, als es hieß, dass Kai Teil vom Mannschaftskader werden würde, woran mich das Bild auf der nächsten Seite schmerzlich erinnerte: Das Mannschaftsfoto aus Kais erster Saison in der Profimannschaft. Direkt auf der Seite daneben befand sich eins meiner Lieblingsfotos: Es ist im Trainingslager in Zell am See entstanden und zeigte mich und Kai, den ich huckepack trug, auf dem Steg, der unmittelbar zum See führte. Wir strahlten regelrecht mit dem jeweils anderen um die Wette. Kurz nachdem dieses Bild aufgenommen wurde, hatte ich Kai in voller Montur ins Wasser geworfen, war dabei jedoch so sehr ins Straucheln gekommen, dass ich ihm prompt hinterherplumpste. Beim Gedanken daran stahl sich tatsächlich so etwas wie ein Lächeln auf mein Gesicht, das allerdings genauso schnell erstarb, wie es aufgetaucht war. Wie mechanisch strichen meine Fingerspitzen über das Foto und abermals stiegen mir Tränen in die Augen, von denen mir einige über die Wangen kullerten und schließlich in meinem Pullover versickerten.

Damals waren wir noch richtig gut miteinander und konnten ausgelassen und fröhlich sein. Wir waren quasi das Dreamteam schlechthin. Manche unserer Teamkollegen witzelten von Zeit zu Zeit sogar darüber, dass Kai und ich uns zwar nicht unbedingt gesucht, aber dafür umso mehr gefunden hatten. Heutzutage funktionierte das Dreamteam allenfalls noch auf rein professioneller Ebene wirklich gut. Abseits des Fußballplatzes wankte dieses Bild seit der letzten Zeit gehörig: Wir stritten allgemein deutlich mehr als vorher und bekamen uns oftmals wegen absoluten Nichtigkeiten in die Wolle, was nicht gerade selten dazu führte, dass wir für den Rest des Tages kein Wort mehr miteinander wechselten. Ich litt wahnsinnig darunter, dass die Situation zwischen Kai und mir so derart angespannt war, wusste aber auch ganz genau, dass die Schuld daran einzig und allein bei mir selbst lag. Kein einziger Tag verging, an dem ich keinen Gedanken daran verschwendete, wie ich meine innere Mauer noch höher halten konnte, damit Kai und auch sonst niemand dahinterkam, dass meine Gefühle ihm gegenüber mittlerweile weit über das normale Freundschaftliche hinausgingen. Wenn Kai auch nur im Entferntesten spitzkriegen würde, welches Gefühlschaos in mir tobte, würde er sich mit ganz großer Wahrscheinlichkeit von mir abwenden und ihn zu verlieren war mit Abstand das Letzte, was ich wollte. Somit zog ich es vor, jede noch so kleine Nachfrage seinerseits, ob bei mir auch wirklich alles in Ordnung sei, mal mehr und mal weniger lautstark abzuschmettern und riskierte dabei, dass die Kluft zwischen uns beiden immer größer wurde. Egal, wie ich es drehte und wendete: Wie ich es machte, machte ich es eigentlich falsch. Daher war mein Entschluss, zur kommenden Saison den Verein zu verlassen, in der Hinsicht nicht ganz verkehrt – vielleicht würde mir der Abstand dabei helfen, meine Gefühle geordnet zu kriegen, damit zwischen Kai und mir irgendwann wieder alles so sein kann, wie es einmal war.

Seufzend nahm ich einen weiteren Schluck aus der Flasche, die sich in der Zwischenzeit bereits um die Hälfte ihres eigentlichen Inhalts geleert hatte. Meine Glieder fühlten sich schwer an und um mich herum drehte sich alles. Morgen war wieder Mannschaftstraining und Peter würde sicherlich alles andere als begeistert sein, wenn ich ihm halb betrunken inklusive eines mördermäßigen Katers vor die Füße fiel. Das war mir allerdings in diesem Moment vollkommen egal – schließlich war auch ich nur ein Mensch und zur Not mussten dann eben die Jungs morgen auf mich verzichten. Mit diesem Gedanken und dem geöffneten Fotoalbum auf meinem Schoß fiel ich in einen längst überfällig gewordenen Schlaf.

Hey ihr Lieben,

ich begrüße euch hiermit ganz herzlich zum zweiten Kapitel dieser Story, das so ein bisschen den Anfang von Julians und Kais Freundschaft erzählt und gleichermaßen zum Ausdruck bringt, was für einen wichtigen Platz Kai beim guten Julian innehat.

Was würdet ihr ihm raten? Was sollte er am besten tun bzw. versuchen, um das Verhältnis zwischen Kai und ihm zumindest für's Erste wieder zum etwas Positiveren zu verändern? Ist es aus eurer Sicht die richtige Lösung, den Verein zu verlassen und damit mehr oder weniger dem Problem wiederum aus dem Weg zu gehen? Schreibt eure Meinungen und Vorschläge gerne in die Kommentare.

Ansonsten hoffe ich, dass das Kapitel euch gefallen hat und freue mich, wenn ihr auch im nächsten Kapitel wieder mit von der Partie seid :)

Alles Liebe

eure Ina

You were my favourite hello... and my hardest goodbyeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt