Kapitel 3

232 13 1
                                    

Kais POV:

„Verdammt, wo zum Teufel steckt dieser Kerl nur?", knurrte ich vor mich hin, nachdem ich zum gefühlt hundertsten Mal seit den vergangenen 15 Minuten einen Blick auf das Display meines Autoradios geworfen hatte, welches mir verriet, dass Julian und ich eigentlich schon längst auf dem Weg zum Training sein sollten. Ich verstand es einfach nicht: Im Grunde genommen war Julian der zuverlässigste und pünktlichste Mensch, den man sich nur vorstellen konnte und es kam für ihn einem kleinen Weltuntergang nahe, auch nur eine Trainingseinheit zu versäumen. In letzter Zeit wirkte er allerdings ziemlich neben der Spur, was mittlerweile nicht nur mir, sondern auch einigen von den anderen Jungs aus der Mannschaft aufgefallen war. Während unsere Teamkollegen diese Tatsache – so schien es mir zumindest – eher stillschweigend zur Kenntnis nahmen, hatte ich bereits aufgehört, die Male mitzuzählen, als ich versucht habe, aus ihm auch nur im Entferntesten herauszubekommen, was ihn so sehr bedrückte. Meistens reagierte Julian in solchen Momenten äußerst gereizt, wurde gerne auch mal etwas lauter und das Einzige, was ich dann als Antwort zu hören bekam, waren solche Dinge wie „Das ist ganz allein meine Angelegenheit – das geht niemanden etwas an!" und „Kümmere dich doch einfach um deine eigene Scheiße, bevor du anfängst, den heiligen Samariter zu spielen und dich um den Kram von anderen Leuten zu scheren!"

Sichtlich genervt wählte ich zum abertausendsten Mal seine Handynummer, nur um festzustellen, dass sich – wie bei all den anderen Versuchen zuvor – lediglich seine Mailbox meldete. Jetzt hatte ich endgültig die Nase voll – der konnte was erleben! Schwungvoll öffnete ich die Fahrertüre meines Wagens und lief schnellen Schrittes auf die andere Straßenseite, bis ich vor Julians Haus stand. Ich klingelte regelrecht Sturm und drückte dabei den Klingelknopf teilweise so feste, dass ich fast das Gefühl bekam, dass er jeden Moment die Wand durchbohren würde. Plötzlich vernahm ich von jenseits der Haustüre ein lautes Poltern, ehe diese sich öffnete und Julian dahinter zum Vorschein kam. Seine Augen waren blutunterlaufen und von tiefen Tränensäcken sowie dunklen Augenrändern untermalt. Außerdem schlug mir eine Alkoholfahne entgegen, die sich wohl noch auf drei Kilometer Entfernung problemlos orten ließe. Er blinzelte mir verschlafen entgegen und brachte ein leises „Hmm?" aus seiner Kehle hervor, als ich auch schon mit meiner Schimpftirade loslegte: „Alter, Jule – hast du überhaupt eine Ahnung, wie spät es ist? Wir müssten eigentlich schon lange auf dem Weg nach Leverkusen sein!"
„Du meinst zum Training? Ich komme heute nicht mit.", murmelte Julian und ließ seinen Blick in Richtung Boden sinken. Entgeistert sah ich ihn an und fragte mich, ob ich gerade richtig gehört hatte. Erst ließ er mich hier ewig vor seiner Haustüre warten und ließ nichts, aber auch schon rein gar nichts von sich hören, nur um mir jetzt allen Ernstes erzählen zu wollen, dass er keinen Bock auf's Training hat? Noch dazu vor diesem wichtigen Spiel, das am Wochenende ins Haus stand? Wutschnaubend zischte ich ihn an: „Sag mal, willst du mich eigentlich komplett verarschen? Diesen Samstag spielen wir gegen Hertha BSC um den Einzug in die verdammte Champions League und du hast jetzt nichts Besseres zu tun als krankzufeiern, nur weil du offenbar gestern ein paar über den Durst getrunken hast? Ich sag dir eins, mein Freund: Wer am Abend saufen kann, der kann auch am Tag drauf zum Training erscheinen und jetzt sieh zu, dass du in die Puschen kommst!"

„Kai Lukas Havertz! Ich bin keine drei Jahre mehr und muss mich von niemandem und schon gar nicht von dir bevormunden lassen, was ich zu tun und zu lassen habe – merk dir das!", fauchte Julian und funkelte mich böse an. „Ich kann machen, was ich will, wann ich es will und wie ich es will! Wenn ich trinken will, dann trinke ich und wenn ich – aus welchen Gründen auch immer – nicht zum Training gehe, dann ist das nun mal so und jetzt verpiss dich!" Entkräftet lehnte er sich an den Türrahmen und atmete schwer, während er am gesamten Körper stark zu zittern begann und sein Gesicht mit einem Schlag eine Farbe annahm, die der weißen Wandfarbe seines Korridors locker Konkurrenz machen konnte. Hier stimmte doch gewaltig was nicht. Vielleicht hatte ich ihm ja doch Unrecht getan und es ging ihm wirklich nicht gut?

You were my favourite hello... and my hardest goodbyeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt