Konsequenzen

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„Zieh das an!", fuhr der Soldat sie an und schubste sie grob in die kleine Kammer hinein. Dann verschloss er die Tür. Ein eiserner Schlüssel drehte sich im Schloss.
„Und wasch dich!", rief er ihr noch hinterher.
Natürlich sperrte er sie hier ein. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Tür aufstoßen und sie dem nächstbesten Soldaten gegen den Kopf knallen würde, war nicht mal gering.
Grimmig sah sie sich in dem kleinen, dunklen Raum um. Er war geradezu winzig, fensterlos und besaß grob gemauerte Wände aus dunklem Stein. Lediglich eine Fackel mit Holo-Feuer – der neusten Erfindung ihrer Zeit – spendete Licht. Flackernde Schatten tanzten an der Wand und verliehen der Kammer eine gruselige Atmosphäre. Auf dem Boden stand ein einfacher Eimer aus Holz, das Wasser in ihm wirkte abgestanden und der Schwamm, der inmitten der Brühe trieb, wirkte leicht schimmelig. Widerwillig ging sie auf ihn zu und schaute sich verstohlen nach einer Überwachungskamera um. Dann legte sie das Kleidungsstück, welches sie von dem Soldaten bekommen hatte, auf den Boden und entledigte sich von dem Großteil ihrer Kleidung. Mit zusammengebissenen Zähnen wusch sie sich mit dem ranzigen Wasser, ignorierte dabei den leicht beißenden Gestank, der davon ausging. Sie hatte keine Ahnung wie es sein konnte, aber nach dem Waschen stank sie nicht so, als ob sie längere Zeit keine Seife mehr in den Händen gehalten hätte. Eher im Gegenteil, sie war sogar ziemlich sauber geworden.

Die Kleidung, die sie anziehen sollte, war tatsächlich einer dieser grellorangenen Overalls, ein unglaublich hässliches Teil. Ärmel hatte es nicht, nur lange Hosenbeine und einen runden Ausschnitt. Als sie sich im Spiegel – der an der Wand hing und den sie aufgrund des verschmierten Glases erst beim zweiten Hingucken entdeckt hatte – betrachtete, versuchte sie sich einzureden, dass sie darin wenigstens gut aussah, so wie in fast allen Klamotten. Mit ausdruckslosem Gesicht und einem dicken Kloß im Hals schaute sie ihrem Spiegelbild in die Augen. Ihr heller, rosafarbene Ton wirkte unschuldig, genauso wie ihre makellosen Gesichtszüge. Niemand in ihrer alten Heimat hätte je vermutet, dass sie alles andere als ein Unschuldslamm war. Allerdings wusste ihre Familie nicht, wo sie gerade war und was sie schon alles getan hatte. Wie lange war sie schon ,verschwunden'? Zwei Jahre? Vielleicht auch mehr. Seit sie dieser Mensch geworden war, hatte sie nie wirklich auf die Zeit geachtet. Tage und Wochen waren verstrichen und selten hatte sie die Feste mitfeiern können. Nur hin und wieder bekam sie bei ihren Aufträgen ein Datum - eine Deadline. Mit dem Unterschied zu normalen Deadlines übrigens wörtlich gemeint.

Mit ihren zierlichen Fingern begann sie nun, ihre orangeroten Haare zu ordnen, die sie zu einem langen Flechtzopf trug. Links und rechts setzte er an ihrer Kopfhaut an und ging dann in einen einzigen Zopf über. Ihre Haare waren unglaublich lang, der Zopf reichte bis weit unter ihre Hüfte, doch niemals hätte sie daran gedacht sie abzuschneiden. Sie wüsste nicht, wie sie ohne diesen Zopf zurechtkommen würde, obwohl er wohl von den Dingen, die sie täglich machen musste, wohl am längsten dauerte.
Manchmal sogar länger als meine Aufträge selbst, dachte sie und musste lächeln. Sie war trotz allem sehr zufrieden mit ihrem Leben. Es war aufregend, spannend und hatte diesen gewissen Reiz, der ihr in ihrem alten Leben in ihrem Dorf im Dschungel immer gefehlt hatte.
Bis jetzt. Jetzt war sie sich sicher, dass es für immer ändern würde. Warum hatte sie es nur vermasselt? Bisher ist doch immer alles glatt gelaufen! Während sie sich die Haare glattstrich,  erinnerte sie sich ständig an ihren misslungenen letzten Auftrag.
Warum hast du es nur vermasselt Elena?, fuhr sie sich selbst in Gedanken an.
Wieso hast du sie nur verfehlt? Hättest du die Grafentochter nur getroffen, dann wären alle Soldaten abgelenkt gewesen und du hättest unbemerkt fliehen können! Sonst funktioniert das doch immer!
Doch so war es nun mal nicht gewesen. Elena vergrub das Gesicht in ihren Händen und atmete tief durch.
„Mach schneller, wir haben nicht ewig Zeit!", polterte es von draußen und jemand schlug laut gegen der Tür. Elena rief der Wache ein „Komme gleich!" zu und schaute nach, ob ihr die Wachen auch ein paar Schuhe gegeben hatte.
Leider nicht. Also schlüpfte sie wohl oder übel in ihre eigenen Schuhe zurück und nahm ihre anderen Sachen. Nachdem sie leicht an der Tür geklopft hatte, öffnete ein Soldat die Tür. Es waren mittlerweile drei Stück von ihnen. Einer von ihnen riss ihr ihre Kleidung aus den Händen, ein anderer tastete sie ab, wohl um nach irgendetwas Gefährlichem - einer Waffe oder gar Bombe - zu suchen, das sie irgendwie mit unter den Overall geschmuggelt hatte. Dabei blieben seine Hände etwas länger auf einem gewissen Teil ihres Oberkörpers liegen, wofür sie ihm am liebsten eine verpasst hätte. Allerdings hielt die schwere Rüstung der Männer sie davon ab, außerdem hielt der dritte Soldat einen Speer in den Händen, der sie mühelos durchbohren könnte. Darüber hinaus war sie auch keine besonders gute Nahkämpferin, sie hielt sich lieber im Hintergrund.
„Was soll das?", herrschte sie der Soldat mit dem Speer an und deutete auf ihre Schuhe.
„Ausziehen, sofort!"
Elena schluckte, tat dann aber wie ihr geheißen. Sollte sie etwa keine Schuhe mehr tragen? Wie lächerlich war das denn?
Der Soldat, der ihre Klamotten in eine Tüte gestopft hatte, packte sie unsanft am Arm und zog sie näher zu sich heran, sodass er ihr Handschellen anlegen konnte. Widerwillig starrte Elena auf ihre Handgelenke. Zwei der Soldaten packten sie nun an den Armen, sodass Elena sich in ihrer Mitte befand. Dann zerrten sie sie einen langen Gang herunter. Der Mann mit dem Speer lief hinter ihr, damit sie nicht fliehen konnte.
Sie durchquerten einen langen Gang und passierten mehrere schwere Sicherheitstüren, die alle von bewaffneten Soldaten in Rüstungen bewacht wurden. Schließlich kamen sie an eine große, gepanzerte Tür, bei der links und rechts ebenfalls Wachen standen.
Elena staunte, als sie die große Halle betraten. Sie war gigantisch, sie schätzte, dass sie etwa fünfzig Meter lang, dreißig Meter breit und mindestens sechzig Meter hoch war. Links von ihnen wurde eine Wendeltreppe von zwei Soldaten bewacht, sie führte hoch zu den bestimmt zwanzig Stockwerken, in denen sich eine Zelle an die nächste reihte. Finster dreinschauende Mädchen und Frauen von ungefähr sechzehn bis fünfzig Jahren blickten ihr feindselig entgegen. Elena fühlte sich unangenehm beobachtet. Sie versuchte, um von ihrer Unsicherheit abzulenken, jede einzelne von ihnen mindestens genauso grimmig anzuschauen. Es waren unheimlich viele, alle mit den unterschiedlichsten Haut- und Haarfarben. Unzählige von ihnen sahen nicht mal so aus, als ob sie etwas Schlimmes verbrochen hätten. Aber das tat sie ja auch nicht.
Die zwei Wachen neben der Wendeltreppe traten zur Seite.
„Zelle 3 65 ist noch frei", informierte sie der eine Mann.
Der Soldat hinter Elena schubste sie in Richtung der Treppe. Die anderen beiden Soldaten hielten sie so fest an den Armen, dass es wehtat, doch unter den Blicken von hundert anderen Gefängnisinsassen wollte Elena sich nichts anmerken lassen. Auf der Treppe war reichlich Platz, sodass drei Personen ohne Probleme nebeneinander gehen konnten. Doch Elena dachte gar nicht daran, einen Fluchtversuch zu starten, es wäre sowieso aussichtslos gewesen. Überall standen Wachen ... Nur Verrückte versuchten, von hier zu fliehen.
In der dritten Etage verließen sie die Treppe und gingen den rechten Gang entlang. Wo sie vorbeigingen, kamen die Mädchen an die Gitterstäbe und rüttelten daran. Viele von ihnen grinsten und durchbohrten sie mit psychopathischen Killerblicken. Einige von ihnen steckten ihren Kopf so weit es ging durch die Gitterstäbe. Sofort stimmten auch die anderen aus den anderen Etagen ein und schon wurde die Halle von lautem Scheppern erfüllt, das an den hohen Wänden echote.
Hört auf!", schallte es plötzlich durch das große Gefängnis. Ihr fiel auf, dass an der Decke – wie ein Schwalbennest – eine Art Station hing, mit spiegelnden Fensterscheiben und Lautsprechern an den Seiten. Von dort aus konnte man alles – und jeden – beobachten. Als die Mädchen nicht aufhörten, surrte plötzlich etwas und an der Zelle, an der sie gerade vorbeiging, sah Elena, dass die Gitterstäbe unter Strom gesetzt worden waren. Schnell wurden die Hände zurückgezogen, diejenigen die es nicht rechtzeitig schafften, sanken bewusstlos zu Boden. Keiner kümmerte sich um sie.
Elena schluckte. Dieses Gefängnis war hart. Die Zeit hier würde garantiert nicht leicht werden.

Ihre Zelle sah sie schon, bevor sie dort ankam. Seltsamerweise standen neben der Zelle links von ihrer zwei Wachen, das war bei sonst keiner anderen so.
In der rechts von ihrer lehnte ein asiatisch wirkendes Mädchen von vielleicht neunzehn Jahren. Sie hatte wellige rauchschwarze Haare, die ihr bis zur Brust reichten. Ihre Augen waren smaragdgrün und funkelten sie interessiert, aber auch ein wenig feindselig an. Genauso wie alle anderen trug sie diesen hässlichen, grellorangenen Overall. Die Asiatin verzog ihre schmalen Lippen zu einem Grinsen, das allerdings nicht freundlich gemeint war.
Der eine Soldat zeigte nun auf sie.
„Du da! 64! In der Pause zeigst du 65 alles!"
„Gut", willigte das Mädchen mit kratziger Stimme ein, obwohl das eher ein Befehl als eine Bitte gewesen war.
Bevor die Soldaten Elena in ihre Zelle verfrachteten, konnte sie noch einen Blick in die Zelle nebenan werfen. Dort stand ein hellhäutiges Mädchen, wahrscheinlich etwas jünger als sie selbst, an der Wand und zeichnete gelangweilt mit dem Finger unsichtbare Linien an die glatte Steinmauer. Sie hatte ihre langen goldenen Haare gerade zu zwei tiefen Zöpfen gebunden. Als hätte das Mädchen Elenas Blick gespürt, drehte es sich um und blickte sie aus bernsteinfarbenen Augen an. Das Gesicht des Mädchens wirkte absolut nett und freundlich, niemand hätte eine brutale Verbrecherin in ihr vermutet. Elena versuchte zu raten, was es wohl verbrochen hatte, dass man dieses Mädchen extra bewache ließ. Vielleicht war es eine Serienmörderin, die ihre Opfer auf besonders brutale Weise kaltmachte. Oder auch eine ungehaltene Psychopathin.
Dann fiel Elena noch auf, dass es an Hand- und Fußgelenken schmale Eisenringe trug, die von seltsamen leuchtenden Äderchen durchzogen wurden. Aber da hatten die Soldaten Elena schon ihre Zellennummer auf den Rücken und die Brust geschrieben, ihre Handschellen abgenommen und sie in ihre Zelle befördert und bevor sie es sich versah, war das Gitter aus dem Boden gefahren. Von jetzt an war sie eine Gefangene.

Als erstes schaute sich Elena in dem kleinen Raum an, doch damit war sie schnell fertig. Viel gab es nämlich nicht zu sehen: Ein Bett mit einer dünnen Matratze, das die hintere Wand der schmalen Zelle komplett ausfüllte, links war ein Waschbecken, rechts stand ein Stuhl an der Wand. Fenster gab es in dem kleinen Raum keine.
Erschöpft lehnte sich Elena an die Wand. Dieser Tag war ziemlich anstrengend gewesen.
„Wie heißt du?", kam es plötzlich von der anderen Seite der Wand. Die Asiatin musste mit ihr gesprochen haben, Elena erkannte ihre kratzige Stimme wieder.
„Elena", antwortete sie. „Und du?", fügte sie noch hinzu.
„Rebecca", kam es von drüben. „Willkommen in der Ewigkeit." Sie seufzte. „Hier fühlt sich ein Tag wie drei an."
Na das konnte ja heiter werden! Elena erwiderte ihr Seufzen. Sie wollte eigentlich noch etwas hinzufügen, da fuhr sie der Soldat neben der Zelle 66 an:
„Seid leise 64 und 65! Wenn ihr quatschen wollt, dann wartet gefälligst noch zwei Stunden bis zur Mittagspause!"
Elena verstummte. Sie wollte sich an ihrem ersten Tag nicht gleich unbeliebt machen! Also wartete sie. Die ganzen zwei Stunden.
Rebecca hatte Recht, sie dauerten eine Ewigkeit.

Eine Sammlung kleiner TexteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt