Als Lucy um zwei Uhr morgens den letzten, leicht wankenden Gast zur Tür brachte und das Schild auf geschlossen umdrehte, schneite es so stark, dass man kaum noch die Geschäfte auf der gegenüberliegenden Straßenseite erkannte.
„Geschafft." Sie versteckte ihr Gähnen hinter vorgehaltener Hand und ging zum Tresen, hinter dem Mia gerade die gewaschenen Gläser einsortierte.
„Endlich sind wir alleine!", stieß Mia aus und klatschte in die Hände. Wie ein aufgeregter Teenager zappelte sie herum. „Ich warte schon den ganzen Abend darauf, es dir zu erzählen. Halt dich fest: John hat mir gestern die Frage aller Fragen gestellt, und ich konnte nicht anders, als Ja zu sagen." Sie streckte ihr die langgliedrigen Finger entgegen.
Als Lucy den goldfarbenen Ring mit einem Diamanten erblickte, spürte sie ein Stechen in ihrem Brustkorb. Sie schluckte und konnte nicht verhindern, sich einen Moment lang zu wünschen, selbst an Mias Stelle zu stehen. Ein Teil von ihr hätte gerne genauso viel Glück wie sie. Doch dann dachte sie an ihre Eltern, deren Ehe alles andere als glücklich war. Liebe, geschweige denn ein Ehegelübde, waren kein Garant für ein glückliches Leben. Sie verdrängte die Erinnerungen an ihre Eltern, zwang ihre Mundwinkel zu einem Lächeln und versuchte, sich wirklich für ihre Freundin zu freuen. Schließlich hatte sie es verdient, und die beiden waren ein süßes Paar. „Oh mein Gott, das ist ja toll! Glückwunsch, das freut mich für dich!" Sie drückte Mia fest an sich.
„Danke. Ich hatte zwar nicht damit gerechnet, dass er mich überhaupt noch fragen würde, nachdem wir schon drei Jahre zusammen sind, aber wie heißt es so schön: Besser spät als nie! Meine Mutter ist noch aufgeregter als ich gewesen, nachdem ich ihr gestern alles am Telefon erzählt habe."
„Wie viele Jahre sie dafür wohl schon gebetet hat? Wer weiß, was sie John womöglich dafür geboten hat, dass er doch noch um deine Hand anhält", spekulierte Lucy schmunzelnd.
„Na, ich hoffe doch, er hat zumindest eine prächtige Aussteuer mit Haus, Garten, Swimmingpool und am besten noch eine hauseigene Sauna herausschlagen können. Den Rest kriegen sowieso meine ach so vorbildlichen Brüder." Mia schnaufte und zuckte mit den Schultern. „In ihren Augen habe ich es jetzt bestimmt wieder ausgeglichen, dass ich so unanständig war, mit meinem Chef zu schlafen."
„Ach, kümmere dich doch nicht um die. Du hast den Richtigen für dich gefunden, das ist so viel mehr wert", warf Lucy ein und tätschelte ihre Schulter.
„Stimmt auch wieder. Ein Hoch auf das Guinness, das ich ihm bei unserem ersten Treffen über das Shirt gekippt habe. Ich sag ja immer, Alkohol verbindet." Sie stupste Lucy in die Seite. „Du solltest dir ernsthaft überlegen, ob du nicht mal das ein oder andere Glas trinkst. Wer weiß, was du dann für tolle Typen kennenlernst."
Lucy schüttelte den Kopf. „Danke für den Tipp, aber nein danke."
Ihre Freundin schnalzte mit der Zunge. „Du weißt ja nicht, was dir entgeht. Aber irgendwie werden wir für deinen nüchternen Topf auch noch einen Deckel finden. Ich meine, wir leben in London, wenn nicht hier, wo dann? Was hältst du davon, dich mal bei einer Dating-App anzumelden?"
Lucy stöhnte und warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu: „Auf keinen Fall, die wollen doch alle nur das eine!"
„Jetzt scher mal nicht alle über einen Kamm. Die Wahrscheinlichkeit, dadurch einen für dich zu finden, ist höher, als dass dir dein Traumprinz aus einem deiner Bücher entgegenspringt", hielt sie dagegen und stemmte die Hände in die Hüften.
Einen Augenblick lang schloss Lucy die Augen und atmete tief durch. Sie hatte wirklich keine Lust, um diese Uhrzeit ihr nicht vorhandenes Liebesleben zu diskutieren. „Weißt du was, wie wäre es, wenn ich heute das Aufräumen übernehme? Dann gehst du früher nach Hause und bestellst John liebe Grüße von mir."
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Ungestillter Durst - Die Macht des Blutes
Vampire„Halt dich fern von Vampiren, sie bringen dich nur in Gefahr!" London 2025: Obwohl Vampire und Menschen nach Beendigung eines Krieges seit Jahren in Frieden leben, hält sich Lucy Rider immer noch an den Rat ihres Vaters. Doch als ein Vampir ihre Fre...