Wieder flog ich an der Seite meiner Freunde durch die Stadt, wobei das Taubenweibchen Blatt unsere kleine Gruppe anführte. Inzwischen erschienen mir die hohen Steinbauten nicht mehr ganz so einschüchternd und beängstigend, wie es zuvor noch der Fall gewesen war.
Allerdings hieß das noch lange nicht, dass ich mir einen längeren Aufenthalt, geschweige denn ein Leben in der Stadt vorstellen konnte. Das stand glücklicherweise aber sowieso nicht zur Debatte.
Momentan waren wir zu einem Gebäude namens Tierhandlung unterwegs, in dem ich meine Artgenossen zu finden hoffte. Nach einem überraschend langen Flugweg, hatten wir unser Ziel dann auch erreicht.
Ich war wirklich verblüfft, wie weit sich dieses menschengemachte Gebirge, das sich Stadt nannte, erstreckte. Die Strecke, die wir zu bewältigen hatten, war ähnlich weit wie die Entfernung zwischen dem Dorf und der Stadt, weshalb der Flug auch deutlich an meiner Ausdauer zehrte.
Doch zum Glück fiel mir das Fliegen bei jeder Gelegenheit leichter, sodass wir keine einzige Pause einlegen mussten, bis dann endlich der große Moment der Ankunft gekommen war. „Wir sind da! Das ist die Tierhandlung, von der wir gesprochen haben", verkündete Blatt und zeigte uns einen sicheren Platz zum Landen.
Diese Hilfestellung hatten wir auch bitter nötig, wie Blatt uns auf dem Weg erklärt hatte, denn selbst so etwas Triviales wie das Landen war in der Stadt durchaus gefährlich. Während des Fluges hatte ich die Gelegenheit bekommen, die spitzen Stacheln zu erblicken, die von einigen Menschen auf ihren Fensterbrettern angebracht worden waren.
Aus irgendeinem Grund wollten manche Menschen nicht, dass Vögel auf ihren Fensterbrettern landeten, weshalb sie diese mit Nägeln gespickt hatten, um sie fernzuhalten. Blatt hatte zwar gesagt, dass das mit der unerwünschten Verschmutzung durch Taubenexkremente zusammenhing, doch, um ehrlich zu sein, interessierte mich der Grund, den die Menschen für dieses gemeingefährliche Handeln hatten, nicht unbedingt.
Ich fand diese Fallen einfach nur fies, aber man konnte sie umgehen, wenn man nur genau auf seine Umgebung achtete. So hatte auch Blatt überprüft, ob das Fensterbrett vor der Tierhandlung frei von Nägeln war, bevor wir uns darauf niederließen.
Noch nie hatte ich so eine große Scheibe gesehen wie die, die vor uns in die Höhe ragte. Blatt erklärte, das diene dazu, um schon von außen in die Tierhandlung blicken zu können, und ich verstand sofort, warum. Der Raum, der sich hinter der Scheibe erstreckte, bot allerlei unterschiedlicher Sinneseindrücke, sodass ich einen Augenblick brauchte, um mich zurechtzufinden.
Auf der linken Seite stand ein einzelner Mensch hinter einem länglichen quaderförmigen Gegenstand aus Holz. Er schien einfach dort zu stehen und zu warten, wobei ich nicht wusste, worauf. Allerdings war der Mensch nicht einmal annähernd interessant genug, um meine Aufmerksamkeit längere Zeit zu fesseln.
Mein Blick schweifte weiter durch den Raum und blieb schließlich an der rechten Wand hängen, wo sich eigenartige Behälter aus dem durchsichtigen harten Material auftürmten. Das sonderbare an der Szenerie war, dass die Behälter allesamt mit Wasser gefüllt waren, wobei ich sogar kleine bunte Tiere darin schwimmen sah.
„Fische", erklärte Blatt knapp. „Die Menschen halten sie ebenfalls als Haustiere." Fasziniert betrachtete ich die farbenfrohen Wesen, die in unterschiedlichen Größen und Formen in ihren Wassergefängnissen umherschwammen. Doch meine Artgenossen hatte ich bisher noch nicht entdeckt.
„Und wo sind die Vögel?", fragte ich daher neugierig. „Ganz hinten. Du müsstest sie gerade so erkennen können", antwortete das Taubenweibchen sofort. Unverzüglich richtete ich meinen Blick auf den hinteren Teil der Tierhandlung, wobei mehrere Holzgebilde, auf denen alle möglichen, fremdartigen Gegenstände lagen, meine Sicht erheblich einschränkten.
DU LIEST GERADE
Im Schatten der Menschheit
AdventureDer kleine Wellensittich Sparky wünscht sich nichts sehnlicher als die Welt zu erkunden, die sich hinter der Fensterscheibe erstreckt. Doch zu seinem tiefen Bedauern kann er den eisernen Käfig nicht verlassen, in dem er sein gesamtes bisheriges Lebe...