Kapitel 10

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Skeptisch beäugte ich den Sand zwischen meinen Klauen. Meine Freunde hatten mir gleich nach unserer Ankunft berichtet, dass man die winzigen goldgelben Körner, die man auf keinen Fall mit Nahrung verwechseln durfte, so nannte.

Dank den Sandkörnern, die den Boden vollkommen bedeckten, sank ich bei jedem Schritt, den ich tat, leicht in den weichen Untergrund, doch andererseits fühlte sich der Sand unter meinen Füßen auch angenehm warm an, als hätte er die Hitze der Mittagssonne in sich aufgenommen.

Inzwischen stand die Sonne wieder tiefer am Himmel und näherte sich allmählich dem Meer an, der größten Wasserfläche, die ich jemals gesehen hatte. Noch immer hing mein Blick staunend an der blaugrünen Oberfläche, die stetig in Bewegung blieb.

Aus dem Nichts heraus bildeten sich mächtige Wellen, wuchsen weiter und weiter und fielen letztendlich platschend in sich zusammen, während die weiße Gischt, die sich wie eine Krone auf ihr Haupt gesetzt hatte, in alle Richtungen spritzte.

Ich kam gar nicht aus dem Staunen heraus, verharrte völlig im Bann der Könige des Meeres, deren kurze Herrschaft stets im Aufstieg des Nachfolgers endete. Aus dem Meer kamen sie und ins Meer kehrten sie wieder zurück. Es handelte sich um einen einzigartigen, fast schon hypnotisierenden Kreislauf, von dem ich meine entzückten Augen nicht abwenden konnte.

Generell war es das Meer, das mich mehr als alles andere an diesem Ort faszinierte. Da ich zuvor bereits den Bach als groß wahrgenommen hatte, konnte ich die Ausmaße der schier endlosen blaugrünen Fläche zunächst kaum begreifen. Bis zum Horizont erstreckte sich das gewaltige Gewässer, wobei mir meine Freunde sogar noch versicherten, dass es dahinter weiterging.

Ich hätte nie gedacht, dass dermaßen viel Wasser auf der Welt existierte, doch an diesem fremdartigen Ort gab es vieles, das mich überraschte. Angefangen bei dem Sand, der den Boden bedeckte, und der endlosen Wasserfläche des Meeres, bot der Strand wunderbare Entdeckungen, die ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht hätte ausmalen können, doch es wäre wahrlich zu schön gewesen, wenn man es dabei belassen könnte.

Wenn Sand und Meer das einzige wäre, das diesen Ort ausmachte, so müsste ich von einem Paradies sprechen, einem Ort vollkommener Herrlichkeit. So hatte auch schon Dämmerung im Vorfeld dieser Reise behauptet, dass der Strand eigentlich recht schön sein konnte. Nun aber war es dieses „eigentlich", das mich zu diesem früheren Zeitpunkt noch verwirrt hatte, doch inzwischen konnte ich verstehen, wovon Dämmerung gesprochen hatte.

Einen entscheidenden Makel wies dieser beinah paradiesischer Ort auf, etwas, das mir mehr als alles andere ein Dorn im Auge war. Menschen…sogar hier vertreiben sie jegliche Schönheit… Zorn stieg in mir auf, als ich die unzähligen bunten Flecken entdeckte, die überall auf der Fläche zwischen unserem Beobachtungsstandort und dem Meer verteilt waren.

Es handelte sich um eine Art gefärbte Pelze, die selbstverständlich von niemand anderem als den Menschen stammten. Die Menschen selbst waren auch nicht weit, denn sie wuselten wie aufgeschreckte Ameisen über den Strand. Wir hatten uns auf einer erhöhten Position niedergelassen, um einen guten Überblick zu haben und dennoch eine gewisse Distanz zu den Menschen zu bewahren.

Doch selbst von hier oben war mir die Anwesenheit dieser Wesen verhasst. Ich konnte meinen zornigen Blick nicht von ihnen abwenden, wenn sie über die mit Pelzen gepflasterte Sandfläche liefen, im Meer umherschwammen oder sich lediglich auf ihren farbenfrohen Pelzen in der Sonne rekelten.

Die Luft war erfüllt von ihrem Geschrei, das mir schon nach kurzer Zeit unerträglich in den Ohren dröhnte. Dieser Ort war wunderschön und idyllisch. Warum mussten die Menschen ihn mit ihrer Anwesenheit beschmutzen?

„War es das, was du mir zeigen wolltest?“, fragte ich Fels, der uns zum Strand geführt hatte. „Nein, das ist lange noch nicht alles", erwiderte Fels ausdruckslos. Es gibt noch mehr? Ich schenkte Fels einen verwirrten und zugleich drängenden Blick, als könnte ich ihn damit bewegen weiterzureden.

Im Schatten der MenschheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt