Kapitel 6. [Maisie]

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Warten. Ja das können wir gut.
Eine geschlagene viertel Stunde schon warten wir auf das Erscheinen unseres Mathelehrers Mr. Kusnezow. Kein besonders netter Russe, aber Mathe kann er wenigstens. Obwohl viele Erklärungen von ihm, einfach nur schwierig zu verstehen sind.
Also ich kann schon nachvollziehen, dass Connor nicht immer alles versteht oder im Unterricht hinterherkommt.

Mein Blick fällt auf Connor der allein an seinem Tisch sitzt und konzentriert vor sich her malt.
Es würde mich ja schon interessieren was er dort genau macht, aber wieso sollte er es mir zeigen? Er kennt mich ja nicht wirklich. Aber auch wenn wir uns nicht wirklich kennen, mag ich ihn dennoch irgendwie.

Seufzend drehe ich mich zurück. Irgendwas werde ich ja machen müssen, damit Connor nicht der Außenseiter bleibt.
Es tut mir leid, dass er immer allein ist. Das will ich irgendwie ändern. Auch wenn ich weiß, dass ich es eigentlich nicht müsste. Er verdient es einfach.
So wie ich ihn gestern kennen gelernt habe, ist er ein super lieber Kerl, der einfach von allen bevormundet und direkt verurteilt wird, ohne dass man ihn überhaupt kennt gelernt hat.

"Was glotzt du Morris immer so an?", brummt Brad neben mir und ich seufze nur genervt, als er mit einer Hand mein Bein hinunterfährt und einen Arm um mich legt. "Nerv mich nicht Brad", keife ich ihn an und ernte nur einen überraschten Blick, dennoch lässt er nicht locker. „Lass sie doch einfach in Ruhe", knurrt Connor hinter uns und ich ziehe überrascht die Augenbrauen hoch, genauso wie Brad.
Damit hätte er wohl nicht gerechnet, ebenso wenig wie ich. Connor hat sich noch nie eingemischt. Vor allem nicht in Sachen die Brad und mich betreffen. Wieso also jetzt?
Ich finde es fies von Brad, dass er überall herum erzählt ich wäre mit ihm zusammen. Ich hoffe er erzählt nicht noch schlimmere Lügen über mich beziehungsweise, über uns herum.
Aber wenn ich das Gegenteil behaupte, wenn ich darauf angesprochen werde, glaubt mir keiner.

Ehe Brad etwas erwidern kann kommt unser Lehrer herein. Im Schlepptau hat er einen blonden Jungen, der sich neugierig in der Klasse umsieht.
"Ruhe jetzt", herrscht Mr. Kusnezow uns an, damit er den neuen Schüler vorstellen kann. Als es allmählich immer leiser wird und die Schüler ihre Aufmerksamkeit ihm und den neuen Schüler schenken, beginnt er auch schon zu reden. "Das hier ist Sean, euer neuer Mitschüler. Er kommt aus Nebraska hier her", erklärt er uns und sieht Sean seufzend an. "Am besten setzt du dich neben, Morris" Er zeigt mit dem Finger auf Connor, der erschrocken aufsieht und Sean dämlich ansieht.
Sean geht langsam zu Connor nach hinten und setzt sich neben ihn.
Ich weiß wie man sich fühlt, wenn man die Schule wechselt und dann einfach alles Neu für einen selbst ist.
Anschluss zu finden ist nicht so leicht. Vor allem nicht, wenn man was mit den Sportlern zu tun hat und das hat man leider, wenn man zusammen in einer Klasse mit ihnen ist.

"Aw Morris hat endlich eine Freundin", sagt Brad spöttisch und ich verdrehe die Augen sofort, aber natürlich fangen alle an zu Lachen. Witzig ist es dennoch nicht.
"Wir sind nicht schwul, also ich bin es nicht... bist du schwul?", plappert Sean auf Connor ein und ich muss mir ein leichtes Grinsen verkneifen, als ich Connors überrumpelten Blick sehe.
"Nein bin ich nicht", sagt er schnell und sieht zu mir herüber.
Ich schmunzle leicht.
"Ihr beide seid Schwuletten", brummt Brad.
Also ich finde es reicht langsam, noch nicht mal unseren Lehrer juckt es sonderlich.
"Du weißt was man über Menschen sagt, die sich über homosexuelle lustig machen? Das sie es meistens selbst sind Brad" und sehe Brad fragend an. Die ganze Klasse wird augenblicklich still und sieht zu uns. Aber recht habe ich. Mich würde es bei seinem Verhalten nicht wundern, wenn er sich eines Tages noch outen würde. Und vermutlich sich und allen anderen eingestehen würde, dass er einfach auf Connor stand und es nicht nur wegen dessen Bruder gemacht hat.
Ich kann richtig sehen, wie sein Kopf vor Wut immer mehr die Farbe wechselt. Interessant.

Ich spüre die Blicke der ganzen Klasse auf mir. "Dann wäre das ja geklärt", finde ich ohne eine Antwort abzuwarten und widme mich dem Unterricht, in dem Connor heute noch in Mathe abgefragt wird.
Er wird das schon schaffen, da bin ich mir sicher.

Als es endlich zur Mittagspause klingelt, nehme ich direkt meine Sachen und will aus dem Raum verschwinden, doch Brad legt mir einen Arm um die Hüfte und zieht mich zu sich heran. Ich kann sein komisches Parfüm riechen.
Eklig. So schmierig.
„Denk dran das du heute zu mir kommst, nach der Schule", sagt er extra etwas lauter und mit einem rauen Unterton, der mir einen Schauer über den Rücken fahren lässt.
„Nur wenn du Sean und Connor in Ruhe lässt", antworte ich nüchtern und gehe dann von ihm weg, ohne ihn auch nur anzusehen.
Niemanden sehe ich an. Besser ist es. Es ist schon peinlich und unangenehm genug.
Ich werde sowieso abgestempelt als eine von Brads Schlampen, aber vielleicht kann man das ja ausnutzen. Vielleicht bekomme ich ja wenigstens noch Brad dazu, Connor in Ruhe zu lassen.

Langsam gehe ich zur Cafeteria rüber und lasse mir was zu essen geben.
Ein Tisch ist noch frei. An allen anderen wird gelacht und geredet und einfach nur Blödsinn gemacht.
Niemand interessiert sich für mich. Gut.
Auch Brad ist mit Chad und irgendwelchen Mädchen beschäftigt. Noch besser.

Ich setze mich an den freien Tisch und beginne langsam zu essen, ehe sich jemand neben mich setzt und eine weitere Person setzt sich mir gegenüber.
"Du gehst also wirklich nach der Schule zu Brad?", hakt Connor nach und sieht mich ernst an. "Damit er uns in Ruhe lässt?", brummt er nicht begeistert.
Seufzend sehe ich auf. Ich wüsste ehrlich nicht was es ihn stört oder angeht. Ist doch meine Sache was ich nach der Schule mache. Ich habe ihm einen Nachmittag mal für zwei, drei Stunden Nachhilfe gegeben, was denkt er denn jetzt von mir?
Erst redet er gar nicht mit mir und jetzt sogar sehr viel.
"Ja. Was daran ist denn so schlimm?"
Ich ernte nur zwei unverständliche Gesichtsausdrücke.
"Seid ihr zusammen?", fragt Sean dann plump.
Weiß er überhaupt meinen Namen?
Sofort runzle ich die Stirn. "Ich bin doch nicht mit Brad zusammen", sage ich verständnislos. Also, dass die Idioten der Schule das denken ist schon verständlich. Schließlich kriechen sie Brad förmlich in den Arsch. Aber spätestens, wenn man genauer hinsehen würde, würde man doch sehen, das ich nicht mit Brad zusammen bin.
Es herrscht keinerlei Intimität zwischen uns, geschweige denn, irgendeine Art von Chemie oder Harmonie.
Die Unverständnis weicht jetzt der Überraschung.
Ich sehe hoch in Connors blaue Augen. Er sitzt direkt neben mir. Sein Aftershave riecht gut.
"Du dachtest echt, ich wäre mit dem Arsch zusammen?" - "Er erzählt es zumindest überall herum", sagt er nickend.
Wunderbar.
"Ich bin aber nicht mit Brad zusammen. Ich mag ihn nicht", seufzte ich leicht verzweifelt.
"Also gehst du zu ihm, damit er uns in Ruhe lässt? Das ist Blödsinn. Er wird trotzdem weiter machen, also bitte geh nicht", sagt er leiser.
Etwas überrumpelt sehe ich ihn an. „Du bist mir zu wichtig um eine von Brads Schlampen zu werden", gibt er zu.
Okay, das kommt überraschend.
"Du kennst mich nicht mal, Connor. Jeder hier auf der Schule denkt doch schon das ich irgendeine weitere Schlampe von Brad bin. Also ist es doch jetzt auch egal. Dann kann ich ja wenigstens etwas machen, wenn sich schon kein Lehrer für das Mobbing hier an der Schule interessiert", versuche ich ihm zu verdeutlichen, doch wirklich überzeugen kann ich ihn nicht.
Tiefe Falten legen sich auf seine Stirn.
Ich sehe ihn einfach nur leicht überfordert an und beschließe das Thema jetzt einfach sein zu lassen. Sein letzter Satz hat mich schon etwas aus der Bahn geworfen.
Wenn ich ihm doch so wichtig bin, wieso redet er dann jetzt erst mit mir und versucht mich vor Brad zu verteidigen? Schon komisch.

Stattdessen sehe ich zu Sean. "Ich bin übrigens Maisie", lächle ich ihn an und er nickt. "Ja ich weiß, Connor hat mir von dir erzählt. Bin echt beeindruckt das wenigstens zwei Personen mit mir sprechen", findet er staunend. "Ja, das passiert, wenn du neben mich gesetzt wirst", erklärt ihm Connor seufzend.
Ein leichtes Grinsen stiehlt sich auf meine Lippen. "Na ja, willkommen am Loser Tisch", lache ich dann leicht. "Gehst du nächstes Jahr auch auf den Abschlussball, Sean?"
Hoffentlich lockert es die Stimmung an unserem Tisch ein wenig auf, denn das hier ist echt deprimierend.
Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.

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