Kapitel 4. [Maisie]

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Erst jetzt stelle ich fest, wie nahe ich Connor gerade bin. Er steht unmittelbar vor mir und ich kann sein Parfüm riechen.
Seine blauen Augen mustern mich intensiv und interessiert.
Das was eben im Klassenraum passiert ist, ist nicht Fair ihm gegenüber. Das er so bloß gestellt und gedemütigt wurde.
Etwas schuldbewusst schlucke ich einen dicken Kloß hinunter. Ich hätte mich freiwillig melden sollen, aber getraut habe ich mich trotzdem nicht. Genau aus dem Grund, weil ich wusste das Brad ausflippen und es später an mir oder Connor auslassen wird.  Aber jetzt ist es trotzdem passiert.
Tief atme ich ein und aus und versuche mit meinem nervösen und trockenen Mund einen ordentlichen Satz heraus zu bringen.
Nachhilfe könnte schwer werden.
"Wann...eh...wann hast du denn... Zeit?", stammle ich langsam vor mich hin. Oh Gott, er hält mich vermutlich für die größte Idiotin.
Meine Lippen sind staubtrocken und irgendwie bin ich wirklich so nervös das ich kaum denken kann.
Aber ich glaube für ihn ist es nicht besser. Ich möchte nicht wissen wie er sich gerade fühlt, sich ausgerechnet mit der Neuen rumschlagen zu müssen und das ihm Nachhilfe aufgedrückt wird.
Etwas beschämt sieht er mich an. "Eh...eigentlich habe ich immer Zeit", sagt er leise.
Oh, er hat also keine Freunde und Hobbys. Das ist eigentlich gar nicht so schlimm, aber ich sollte auch nicht urteilen. Ich hab auch eigentlich keine Freunde.
Hobbys habe ich schon. Ich liebe Pferde. Meine Schwestern und ich besitzen auch jeweils einen Hengst. Nero ist mein kleiner Liebling. Er ist noch nicht sehr alt, frech, aber ein wirklich schöner und lieber Kerl, wenn man weiß wie man sich durchsetzen muss. Und ich liebe sein sandfarbenes Fell, welches an den Beinen ins Schwarze über geht.
Aber jede Menge Zeit habe ich trotzdem.
"Eh ja,...ich hab auch Zeit", gebe ich zu. "Wir könnten...eh auch in die Bibliothek gehen und dort direkt anfangen, falls du willst", schlage ich vorsichtig vor.
Er lächelt leicht. "Danke. Wirklich"
Mit leichter Röte im Gesicht nehme ich das zur Kenntnis und gehe mit ihm in die Bibliothek. Niemand ist mehr hier. Wundert mich auch nicht, die Schule ist vorbei und inzwischen sind eigentlich auch fast alle nicht mehr da.
Ich setze mich an einen Tisch  und lege dort auch die Übungsblätter von unserem Lehrer hin.
Connor setzt sich zaghaft zu mir. Irgendwie werden wir nicht warm miteinander.
Was sollen wir denn auch bitte reden? Ich bin auch diese Nähe von ihm nicht gewohnt.
Eigentlich auch nur von Brad und der zwingt sie mir auf. Das Connor jetzt aber so zurückhaltend ist, ist für mich neu.
"Ich glaube, ich bin wirklich ein hoffnungsloser Fall", gibt er zu und unterbricht somit das Schweigen zwischen uns. Ich sehe auf und meine Augen treffen seine. "Ich glaube das eigentlich nicht", sage ich ehrlich.
Ich streiche meine langen Haare auf der einen Seite hinter mein Ohr, um ihn richtig ansehen zu können.
Mit einem leichten Lächeln bereite ich die Unterlagen vor und nehme ihm direkt den Taschenrechner weg, den er vor sich auf den Tisch legt.
Seine Lippen verziehen sich zu einem Schmollmund. Sieht schon irgendwie süß aus.
"Der kann dir auch nicht helfen. Den darfst du benutzen wenn du es so rechnen kannst und du verstanden hast", rechtfertige ich mich sofort.
Irgendwie fange ich gerade an seine Nähe zu genießen. Ich fühle mich nicht mehr unwohl.
Allein diese Gedanken lassen mir die Röte in die Wangen laufen. "Eh...wir sollten anfangen, aber ich habe noch nie jemanden etwas beigebracht"
"Wir müssen es aber versuchen", lächelt er vorsichtig.

Ich nehme mir das Buch heraus und fange an ihm das Thema zu erklären. Langsam und geduldig. Sehe ihn immer wieder an, um zu sehen, ob er es wirklich versteht. Aber die große Verzweiflung ist noch da. Direkt neben dem Fragezeichen in seinem Gesicht.

"Wir schaffen das schon", versuche ich ihn zu beruhigen und erkläre es ihm noch einmal langsamer und gebe ihm die Aufgaben dann. Er gibt sich die größte Mühe es zu verstehen, aber seine Aufmerksamkeit sinkt immer weiter umso länger wir hier sitzen.
Das kann ich auch verstehen. Langsam bekomme ich Kopfschmerzen von den ganzen Zahlen.
Ich bin wirklich nicht dämlich und verstehe das auch, aber irgendwann reicht es auch mal.

Leise sitze ich neben ihm und beobachte ihn dabei wie er die Aufgaben versucht zu lösen und sich immer wieder auf einem Block kleinere Aufgaben raus schreibt und sie versucht zu lösen.
Nicht schlecht. Er teilt es in kleinere Aufgaben auf, wie ich es ihm erklärt habe.
Er hat zu gehört. Ein kleines Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen.

Ein ungewöhnlicher Geruch aus Parfüm und Zigarettenrauch steigt mir in die Nase.
Connor raucht. Augenblicklich rümpfe ich leicht die Nase und entdecke dann auch die Zigarettenschachtel in seiner Hosentasche.
Er ist viel zu jung dafür und versaut sich sein Leben und seine Gesundheit.
Am liebsten würde ich ihm das auch sagen, aber ich kann mir kein Urteil erlauben. Es geht mich schließlich nichts an.

Mit großen Augen sieht er mich an. "Guckst du mal drüber?", wiederholt er dann und reißt mich aus meinen Gedanken. Ich habe gar nicht mitbekommen das er fertig ist.

Sofort nicke ich und beuge mich zu ihm herüber um die Aufgaben besser sehen zu können.
Mit der rechten Hand greife ich nach seinem Stift und korrigiere einige Sachen. "Das ist gar nicht mal so schlecht", gebe ich konzentriert von mir. "Du hast nur einige Flüchtigkeitsfehler drinnen"
"Das soll richtig sein?", fragt er verblüfft. Langsam nicke ich und sehe ihn an. "Man kann es so machen, aber eine elegante Lösung ist es nicht" Mit dem Stift streiche ich eine Aufgabe weg, die er komplett falsch angesetzt hat und somit die Fehler durch die ganze Aufgabe gezogen hat.
"Rechne die noch einmal" - "Wieso machst du das eigentlich?",  fragt er mich prompt. Sein Blick liegt interessiert aber auch skeptisch auf mir. "Ich meine, du weißt doch wer ich bin"
Leicht runzle ich die Stirn. "Ich bin die Neue", erinnere ich ihn. "Ich hab natürlich von dir gehört, aber man sollte ein Buch nicht nur nach den Einband beurteilen oder nach Taten die andere getan haben", erkläre ich. "Deswegen ist es mir egal was über dich gesagt wird. Ich finde dich nett, egal was Brad von sich gibt. Und du hast es nicht verdient, wie du hier behandelt wirst. Diese Schule und diese Schüler sind nicht gut zu dir, das ist traurig und ich will da nicht mitmachen. So ein Mensch bin ich nicht. Ich bin eigentlich sehr nett, aber auch...schüchtern", erkläre ich vorsichtiger.
Ich hoffe er hält mich nicht für bescheuert.

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