Ich rannte förmlich zu Kerim, als ich ihn in der hintersten Ecke des Schulhofs erblickte, wo er mit seinen Kumpels am Rauchen war. Ich hatte meine Meinung über das Geheimhalten der Briefe doch geändert und mich dafür entschieden, ihm von den Briefen zu erzählen. Vielleicht konnte er mir ja dabei helfen, den Autor zu finden.Ich begrüßte Kerim und seine Freunde und wartete geduldig darauf, dass er seine Kippe aufgeraucht hatte, bis ich ihn fragte: „Hast du vielleicht mal kurz einen Moment Zeit?"
Die drei anderen Jungs warfen ihm dafür vielsagende Blicke zu, doch Kerim ließ sich davon nicht beeindrucken. „Klar, lass uns doch sonst schonmal zum Raum gehen."
Ich nickte und folgte meinem besten Freund, der nun langsam über den Schulhof stiefelte. „Also was wolltest du mir sagen?", fragte er mich dabei und sah mich aus seinen großen braunen Augen an. Ich mochte seine Augen, sie strahlten so viel Wärme aus, dass ich mich in seiner Gegenwart immer geborgen fühlte.
„Okay, aber du musst versprechen, dass du das für dich behältst", forderte ich Kerim auf.
Ein verwirrter Gesichtsausdruck machte sich auf seinem Gesicht breit, aber trotzdem nickte er. „Versprochen."
Ich atmete noch einmal tief durch, um mich etwas zu sammeln, dann begann ich zu sprechen. „Am Anfang habe ich überlegt, ob ich das überhaupt irgendjemanden erzähle, aber ich platze glaube ich, wenn ich mit niemandem darüber spreche. Ich habe gestern und heute jeweils ein Liebesgedicht gefunden, einmal in meinem Schließfach und einmal in meinem Block und ich wollte dich fragen, ob du mir vielleicht bei der Suche nach dem Schreiber helfen kannst? Bitte Kem, ich muss einfach unbedingt wissen, von wem diese wunderbaren Worte stammen."
Ich setzte meinen besten Bettelblick auf, mit dem bekam ich Kerim immer rum. Er sah mich überrascht an, aber nicht ganz so überrascht, wie ich es erwartet hatte. Man konnte förmlich sehen, wie es in seinem Gehirn ratterte, dann sagte er: „Na klar, zeig mal her."
Erleichtert atmete ich auf und kramte die Zettel aus meinem Rucksack, um sie Kerim entgegenzustrecken. Er nahm sie in die Hand und las sie aufmerksam durch.
„Eines muss man der Person lassen, mit Worten umgehen kann sie! Aber ob sie da wirklich dich beschreibt? Ich weiß ja nicht", neckte mein bester Freund mich, wofür ich ihm nur die Zunge herausstreckte.
„Heißt das, du hilfst mir?", fragte ich nochmal und trat aufgeregt von einem Bein auf das andere. Ich fühlte mich wirklich wie in einem Film, wo die Protagonistin sich auf die Suche nach ihrem geheimen Verehrer machen musste.
„Ich kann mich mal vorsichtig umhören, wer von den Jungs dich mehr mögen könnte und noch dazu in der Lage ist, solche Texte zu verfassen", meinte er dann.
Freudig umarmte ich ihn. Im ersten Moment wirkte Kerim etwas überrumpelt, aber da er meine plötzlichen Gefühlsausbrüche gewohnt war, schloss er schnell ebenfalls seine Arme um mich.
„Du bist der Beste, Kem", murmelte ich gegen seine Brust und atmete dabei seinen vertrauten Geruch ein.
Die nächsten beiden Tage verstrichen, ohne dass sich etwas Besonderes ereignete. Ich kontrollierte in jeder großen Pause akribisch mein Schließfach, aber ich konnte keinen neuen Zettel entdecken. Auch in meinen anderen Schulsachen war nichts mehr versteckt gewesen. Vielleicht hatte der geheime Liebesbrief-Autor mitgekriegt, dass ich nach ihm suchte und ging nun vorsichtiger vor, um nicht entdeckt zu werden. Das hoffte ich zumindest, denn ich wollte mir nicht vorstellen, dass es nach diesen beiden wunderschönen Gedichten bereits zu Ende sein sollte.
Mittlerweile kannte ich die beiden Texte bereits auswendig, so oft hatte ich sie gelesen. Das Gefühl geliebt und bewundert zu werden, das ich dabei bekam, löste noch so viel mehr in mir aus und obwohl ich noch nicht mal genau wusste, wer der Schreiber war, fühlte ich mich ihm so unglaublich verbunden.
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Blumen im Beton
RomanceFlo ist eine hoffnungslose Romantikerin. Sie versinkt am liebsten den lieben langen Tag in kitschigen Romanen und Filmen, um ihrem monotonen Leben, dem es an jeglicher Romantik mangelt, zu entfliehen. Doch plötzlich beginnt sie, kleine Gedichte und...