Ep.2: Ein Loch im Berg - Teil 2

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Mit verengten Augen sah sich Aris in der Dunkelheit um, als sie nach Sonnenuntergang wieder zurück an den Ort kam, an dem sie Shiru getroffen hatten. In den Schatten der Häuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite blieb ihr Blick dann schließlich hängen. Wenn man nicht darauf achten würde, würde einem die weiße Stute sicherlich entgehen, die an eine Wand gelehnt in der kleinen Gasse zwischen zwei Häusern lauerte. Doch je länger Aris in ihre Richtung schaute, desto stärker stach Shiru aus den schwarzen Schatten heraus. Vor allem ohne den Umhang war ihr helles Fell verräterisch. Ihre eisblauen Augen leuchteten in der Dunkelheit geradezu, während ihr Blick scharf durch die Luft schnitt. Das war also der Nachkomme des Drachen? Aris war unbeschreiblich froh noch einen Nachkommen der Sieben Helden gefunden zu haben. Doch ihr war noch nicht klar, ob Shiru auch wirklich die Kräfte des Drachen geerbt hatte.

"Guten Abend.", begrüste Aris die Stute mit einem höflichen Nicken. Shiru nickte ebenfalls und legte ihren stechenden Blick dann wieder auf das Gebäude vor sich. Es war still. Totenstill. Die gesamte Straße wirkte wie ausgestorben und auch in den Fenstern des Hauses leuchtete kein einziges Licht.
"Seine Sammlung liegt im zweiten Stockwerk.", flüsterte Shiru. Aris nickte. Sie hatte das Haus heute mittag einige Zeit unauffällig beobachtet. Bei einer Hintertür im Erdgeschoss hing die Verriegelung ein wenig, es müsste also relativ leicht sein sie lautlos aufzubrechen. Für einen Moment schweifte Aris Blick zu Shiru ab. Sie hatte ihren Umhang abgelegt und sich einen einfachen schwarzen Gurt mit detaillierten roten Verzierungen umgeschnallt. Was genau die Verzierungen zeigten, konnte Aris in der Dunkelheit jedoch nicht erkennen. Der Gurt hatte zahlreiche Schlaufen, an denen wahrscheinlich einmal weitere Riemen und Taschen befestigt waren. Das Einzige, das nun noch daran hing, war ein leerer Köcher und zwei kleinere Satteltaschen. Als Aris kein Schwert oder überhaupt ihrend eine Waffe entdecken konnte, kam sie ins stutzen.
"Seid ihr denn nicht bewaffnet?", zischte Aris leise.
"Ich hab den hier.", antwortete Shiru mit gedämpfter Stimme und zog einen kleinen Dolch hervor. Die Klinge war so kurz; Aris bezweiflte, dass man damit eine Ratte hätte töten können. Doch ihr war auch klar, dass es nun zu spät war noch eine Waffe für die Stute zu beschaffen. Also nickte Aris nur kurz und wendete ihren Blick dann wieder dem Gebäude zu.

Ihr linkes Ohr zuckte. Langsam wurde sie unruhig. Enduras war noch immer nicht aufgetaucht.
"Keine Sorge, er kommt. Wenns um seine dämliche Münze geht, tut er alles.", flüsterte Shiru nun plötzlich, wie als hätte sie Aris Gedanken lesen können.
"Was ist es, das es mit dieser Münze auf sich hat?", sprach Aris nun die Frage aus, die sich ihr seit dem Beginn ihrer Reise mit Enduras stellte. Ihr war klar, dass diese Frage unhöflich war, da es sie eigentlich nicht zu interessieren hatte. Doch sie hatte das Gefühl, dass noch mehr hinter diesem Stück Metall steckte, als sie bisher vermutet hatte. Aris sah aus dem Augenwinkel wie Shiru kaum merklich seuftze und ihr Blick in die Ferne schweifte. Sie schien in alten Erinnerungen zu stecken, denn es dauerte eine ganze Weile, bis sie schließlich den Kopf schüttelte und wieder zu sich kam.
"Das ist eine so unfassbar lange Geschichte... Er-", setzte sie an, doch wurde unterbrochen, als Enduras plötzlich vor ihnen auftauchte.

"Also, rauben wir den guten Lord jetzt aus oder was?", grummelte er. Seine blauen Augen leuchteten matt im fahlen Licht der Straßenlaterne.
"Da du es ja endlich geschafft hast dein von Flöhen zerfressenes Fell von der Bar weg zu bewegen, ja.", fauchte Shiru und lief zielstrebig am ihm vorbei. Aris folgte ihr, genauso wie Enduras, der Shiru nur mit bösen Blicken wortlos nachäffte.
"Sollten wir nicht erst nach Wachen ausschau halten?", fragte Aris und musterte das Stille Haus.
"Ich hab es einige Zeit beobachtet, bevor ihr gekommen seid und habe niemanden gesehen.", antwortete Shiru kurz, dann setzte die Schimmelstute auch schon leichtfüßig über den Zaun zum Garten des Gebäudes hinweg. Aris tat es ihr ohne Probleme gleich. Und wirklich, auf der anderen Seite waren keine Wachen. Seltsam... Aris beschlich ein ungutes Gefühl. Wenn der Lord wirklich seine Sammlung in diesem Haus aufbewahrte, würde man doch erwarten, dass diese bewacht wird. Ein lauter Schlag riss Aris aus ihren Gedanken und ließ sie zurück blicken. Enduras war den beiden Stuten über den Zaun gefolgt, jedoch weitaus weniger elegant. Nach einem wankenden Anlauf war er am Zaun hängen geblieben und auf der anderen Seite auf den Nüstern gelandet. Er stand wortlos auf, schüttelte sich seine dicke Mähne Mähne aus dem Gesicht und lief weiter, wie als wäre nichts passiert. Shiru versuchte nicht mal, ihr ampsiertes Grinsen zu verbergen.

Heroes - Die UnsterblichenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt