Ep.3: Der Wispernde Wald - Teil 1

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Shiru rannte. Sie rannte, wie sie schon lange nicht mehr gerannt war. Sie spürte bereits wie die Luft in ihren Lungen schmerzhaft stach. Ihre Nüstern blähten sich weit auf, während sie kräftig atmete. Ihre Hufe trommelten stetig auf den schlammigen Boden. Und dann sah sie endlich die Taverne. Ohne anzuhalten stieß sie die Türe auf und stürmte ungebremst hinein.
"Enduras!", rief die Stute völlig außer Atem. Verdammt, sie hatte sich seit Jahrzehnten nicht mehr so viel auf einmal bewegt. Und jetzt klang sie wie eine halb verreckte Katze mit Asthma. Als keine Antwort kam, wiederholte sie sich noch energetischer.
"EDNURAS!", schrie sie.
"Was ist denn?!", antwortete Enduras aus einer dunklen Ecke der Taverne, "Hat dich ne tollwütige Biene gestochen, oder was?"
Shiru drehte die Ohren und entdeckte den Grullo, wie er über einem der Tische hing.
"Du siehst echt scheiße aus...", sagte Shiru verwundert und hob eine Augenbraue. Der kleine Drache krallte sich nach dem Sprint verstört an ihr fest, wie als säße er auf einem sinkenden Schiff.
"Danke, du auch... Also bist du nur hier her gekommen und schreist so rum, um mich zu beleidigen?", antwortete er mit einem Augenrollen und legte seinen Kopf wieder auf der Tischplatte ab, auf der schon wieder viel zu viele leere Gläser standen. Wie konnte er in dieser kurzen Zeit nur so viel trinken? Shiru schüttelte den Kopf. Konzentration!
"Aris wurde entführt. Und wir müssen sofort los und sie retten!", stellte Shiru bestimmt klar.
"Schön für sie! Und jetzt l-lass mich in Ruhe.", sagte Enduras müde. An seiner Stimme konnte man bereits hören, dass der Alkohol seine Arbeit tat. Und riechen konnte man es übrigens auch.
"Aber Lord Keras hat sie und du weißt wo er sie hinbringen wird.", sagte Shiru mit Nachdruck. Doch Enduras starrte sie nur gelangweilt an.
"Nein. Keine Ahnung.", antwortete er trocken und musste einmal hicksen.
"Sie ist eine Ritterin, also wird er sie wahrscheinlich nicht umbringen. Das heißt er wirfst sie in den wispernden Wald, du verhexter Idiot! So wie alle Anderen auch, deren Blut er nicht an seinen Händen haben will!", erklärte Shiru aufgebracht.
"Na dann, viel Glück bei der Rettungsmisson. Allein! Ich betrete diesen, diesen bescheuerten Wald auf jeden F-Fall nie, nie wieder.", lallte der Hengst. Ein Kellner brachte Enduras zwei weitere kleine Gläser mit Schnapps. Shiru wollte gerade dazu anzusetzen ihn zurechtzuweisen. Doch man schlug ein Schwein am besten mit seinen eigenen Waffen.
"Noch drei bitte.", sagte sie leise zu dem jungen Hengst und legte kurz ein höfliches lächeln auf. Dann wand sie sich wieder mit wütendem Ausdruck an Enduras, der ohne zu zögern beide Schnäpse hinunter schüttete. Shiru seufzte. Dieser Hengst brachte sie wirklich an den Rand der Verzweiflung! Doch Aris hatte ihr das Leben gerettet, also war es nun ihre Pflicht auch ihr zu helfen. Und alleine hatte sie keine Chance. Daher brauchte sie Enduras Hilfe. Um jeden Preis.
"Du bist es ihr verdammt nochmal schuldig, du verfilzter Zwerg. Lord Keras hat sie immerhin nur entführt weil sie deine bescheuerte Münze zurück geholt hat. Wir müssen ihr helfen!"
"Weil sie sie sie sie... mir gestohlen hat.", beschwerte sich Enduras, "Und sowas wie Leute retten machen wir schon lang nicht mehr, falls es dir in letzter Zeit mal aufgefallen ist." Der Hengst sah die Stute müde an. Er war wirklich kaputt. Genauso wie sie selbst. Sie alle.
"Aber das ist doch das was wir machen sollten, oder? Heldenzeugs und so.", sagte Shiru seufzend.
"Ach ja klar, na dann los! Und lass uns einfach vergessen, dass wir ein ganzes Königreich zerstört haben, uns alle hassen und wir seit über hundert Jahren nichts produktives mehr getan haben.", zischte Enduras und sein Kopf wankte leicht. Nach einem hicksen lies er den Kopf mit einem dumpfen Schlag zurück auf den Tisch fallen und starrte mit leerem Blick an Shiru vorbei. Der Kellner kam erneut und brachte die nächsten drei Gläser Schnaps.
"Hier, trink schon.", sagte Shiru geschlagen und setzte sich ebenfalls an den Tisch. Also Plan B. Sie schob dem Hengst die drei Gläser über den Tisch zu. Und er trank sie natürlich ohne zu zögern.

Nur wenige Minuten später stolperte Shiru ungeschickt aus der Taverne, einen völlig betrunkenen Enduras an ihrer Seite hängend. Der kleine Drache hatte sich vor dem Hengst bereits weiter oben an Shirus Hals in Sicherheit gebracht. Wankend stützte sich der Graue an die Seite der Stute, die ihn unsanft aus der Taverne zog.
"Aber wenn Hummeln wissen würden, dass sie dick sind, würden sie es sich dann nicht gegenseitig sagen?", lallte Enduras.
"Ich weiß nicht.", sagte Shiru und sah sich um, als sie die Stufen zur Straße hinunter rutschen.
"Aber ich schätze Hummeln können schön ganz schön unfreundlich sein.", überlegte der Hengst weiter.
"Was?", fragte Shiru und sah Enduras verwirrt an, "Also wenn, dann sind Wespen unfreundlich zueinander, aber doch keine Hummeln."
"Aber Hummeln sind so groß.", sagte Enduras und sah Shiru mit großen Augen an.
"Groß, aber flauschig.", sagte sie ernst und sah sich weiter um. Enduras sah sie kurz nachdenklich an, dann nickte er zustimmend.
"Hier!", rief Shiru plötzlich, als sie einen leeren Wagen sah und riss den Kopf nach oben. Dadurch verlor Enduras seinen Halt und kippte um wie ein nasser Sack. Shiru sog scharf die Luft ein und verzog das Gesicht.
"Ups... Sorry.", sagte sie kurz, bevor sie dem dem Fahrer des Wagens engegenlief, der daraufhin seine Rinder zum Stehen brachte.
"Drei Münzen, wenn sie uns zum Rand des wispernden Waldes fahren.", sagte sie und hielt dem älteren Hengst das Geld vor. Dieser rümpfte kurz die Nüstern. Dann nickte er jedoch und schnappte sich schnell das Geld.
"Dann rauf mit euch!", sagte er mir rauer Stimme. Shiru nickte dankbar.

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