Zeitmaschine

698 20 0
                                    

Ein leises Stöhnen verlässt meinen Mund, während ich meine Schläfen massiere. Die Musik ist mir heute zu laut, der Barhocker wie immer zu unbequem und ungewollter Weise habe ich das Cocktailglas vor mir bereits geleert. Unschlüssig, ob ich bleiben oder mich lieber Zuhause unter meiner Bettdecke verkriechen soll, sehe ich mich in der Kneipe um.

Zwar sind die Plätze neben mir nicht belegt, doch tut es mir ganz gut heute Abend in Gesellschaft zu sein. Meine Gedanken würden viel zu sehr kreisen, wenn ich alleine in meiner stillen Wohnung sitzen würde. Natürlich werde ich sie hier auch nicht abschalten können – doch drehen sie sich definitiv etwas langsamer. Die Frage, was ich für eine Idiotin bin, pocht dennoch unaufhörlich in meinem Kopf.

Mein Blick bleibt an dem alten Klavier in der hintersten Ecke hängen. An ihm lehnt eine Akustikgitarre und daneben steht ein Mikrofon. Jeder, der das Bedürfnis verspürt, darf die Musikinstrumente benutzen und den Besuchern etwas darbieten. Aber wirklich häufig passiert das nicht. Eigentlich läuft ununterbrochen eine elend lange Playlist über die Lautsprecher an der Decke.

Auf meiner Unterlippe kauend wende ich mich wieder meinem Cocktailglas zu. Gelangweilt fahre ich mit dem Zeigefinger über den Rand und versuche dem Glas einige Töne zu entlocken. Es klingt genauso schief wie wenn ich mich vor das Mikrofon stellen würde. Lächelnd denke ich daran zurück, wie mich Wincent unbedingt singen hören wollte und sich dann ganz schnell die Ohren zugehalten hat, als er mich endlich überredet bekommen hatte.

Der wohl beste Sänger in Deutschland trifft auf das unmusikalischste Wesen, das es gibt. Meine Freunde wollten mir zuerst nicht glauben, als ich ihnen erzählt habe, dass ich ihm hier in dieser Kneipe über den Weg gelaufen bin. Drei Jahre ist das jetzt schon her. Zwei Jahre ist es her, dass wir zusammengekommen sind. Und eine Woche ist es her, dass sich unsere Wege getrennt haben.

„Brauchst du noch etwas?", holt mich der Barkeeper aus meinen Gedanken. „Eine Zeitmaschine", richte ich meinen Blick auf das kleine Namensschild an seiner Brust. „Joe, ich wünsch mir eine Zeitmaschine", seufze ich, während ich die Bierdeckel, die in meiner Nähe liegen, zu mir heranziehe, „aber vorerst kannst du mir noch einen Golden Dream mixen."

Nachdem sich der blondhaarige Mann mit einem Nicken von mir abgewendet hat, knicke ich einen Bierdeckel nach dem anderen und staple sie übereinander. Eine Angewohnheit, die definitiv verschwenderisch, aber nicht abzulegen ist. „Also wieso brauchst du eine Zeitmaschine?", stellt mir Joe einen neuen Cocktail vor die Nase.

„Ich könnte meine Fehler geradebiegen", überlege ich, bevor ich einen Schluck von dem alkoholischen Getränk nehme. Orangenlikör hat mich irgendwie schon immer begeistert. „Und vielleicht würde ich dann eine zweite Chance bekommen", starre ich in mein Glas – so als würde dort eine ‚Der zweite Versuch ist frei' Karte drin schwimmen. „Scheiße gebaut?", fragt mich der Barkeeper ganz direkt.

„Kann man so sagen", lache ich auf, „ich habe mich von meinem Freund getrennt und jetzt bereue ich es." Mein Hitzkopf hat mich schon oft in einige unangenehme Situationen geführt. Doch, dass ich aus einer Kurzschlussreaktion heraus mit Wincent Schluss mache, ist selbst für mich neu. „Dann sag ihm das doch", schlägt mir Joe vor, während er anfängt Gläser abzutrocknen.

„Nachdem ich ihn angeschrien habe, dass er sich aus meinem Leben verpissen soll?", ziehe ich meine Augenbrauen in die Höhe. Durchaus bin ich in der Lage, meine Fehler zuzugeben. Aber bei dieser Sache wird das ganze Thema etwas heikler. „Das ist hart", stützt sich der Blondhaarige an der Theke ab. So, als hätte ihn mein Geständnis umgehauen.

„Ja", seufze ich, „ich weiß nicht einmal wirklich, wie das alles passieren konnte." Ohne das Glas abzusetzen, kippe ich den ganzen Inhalt in meinen Mund. „Bekomme ich noch einen?", wische ich mit meinem Daumen über meinen Mundwinkel. „Du bist also Typ 3, wenn es zum Trinken kommt. Hoffst, dass dir der Alkohol eine Antwort auf dein Problem zuflüstert", amüsiert sich Joe, bevor er mich für einen Augenblick alleine lässt.

Oneshots WINCENT WEISSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt