Kapitel 4

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»L-lass mich los!«, quengelt Nora mit leicht zittriger Stimme und sieht Ao böse, jedoch mit einer Spur Angst in ihrem Blick.
»Nö.«
»A-aber...«
»Kein aber.« Ao reicht es. Er ist echt genervt, von allem. Nicht nur, dass seine Schwester mal wieder abgehauen ist und er stocksauer auf sie ist, jetzt muss er sich auch noch um ein fremdes Mädchen kümmern. Und dann stellt sich die auch noch quer, was ihn langsam aber sicher echt aufregt.
Er geht los, sie immer noch am Nacken festhaltend, und Michiru folgt ihm schweigend. Sie kennt ihren Bruder gut genug, um zu wissen, dass er nun nicht mehr von seiner Entscheidung abzubringen ist.
Verzweifelt versucht Nora nach dem Älteren zu schlagen und zu treten. Ihr ist es egal, was er sagt, sie will auf keinen Fall nach Hause.
»Damit würde ich an deiner Stelle aufhören.«, knurrt Ao und hält sie ein Stück von sich weg, dass sie ihn nicht treffen kann. Drohend hebt er seinen Zeigefinger und lässt direkt darüber einen winzigen Wasserball entstehen. »Wenn nicht, setze ich meine Fähigkeit ein.«
»Das würdest du nicht wagen...«
»Willst du es darauf ankommen lassen?«
»Lass mich einfach in Ruhe!«, brüllt sie und tritt erneut nach ihm, wobei sie ihn leicht am Bauch erwischt.
Er knurrt lauter. »Du wolltest es nicht anders.« Nach einem kurzen Fingerschnippen sammelt sich die Feuchtigkeit in der Luft wieder zu Wassertropfen und eine Wasserkugel entsteht um sie, dass nur noch ihr Kopf an der Luft ist. Ao lässt sie los und die Kugel neben sich schweben. »Das hast du jetzt davon.«
Panik steigt in Nora auf. »Lass mich in Ruhe!«, schreit sie laut, während sie ihre Augen zusammenpresst, die sich nur einen Moment später komplett schwarz färben. Plötzlich strömt eine riesige Menge an Energie aus ihr heraus. Augenblicklich zerspringt Aos Wasserkugel, doch sie fällt nicht zu Boden. Stattdessen kommen große, schwarze, brennende Flügel aus ihrem Rücken, die sie in der Luft schweben lassen. Eine starke Kraft geht von ihr aus, die auch jedem Idioten klar macht, dass er jetzt aufpassen muss.
Allerdings zeigt Ao keine Spur Angst. Im Gegenteil, er beginnt zu grinsen und schiebt seine Schwester hinter sich. »Das kann lustig werden.«, murmelt er vor sich hin und wendet seinen Blick nicht von seinem Gegenüber ab. Obwohl er wegen der Situation etwas angespannt ist, steht er ganz locker da, die Hände in den Hosentaschen und mit allgemein ruhiger Ausstrahlung. »Los. Versuch doch mich anzugreifen.«
Das lässt sich Nora nicht zweimal sagen. Innerhalb weniger Sekunden hat sie ihn mit ihren Schatten gefesselt, sodass er sich trotz seiner großen Kraft nicht bewegen kann. Obwohl die Situation nicht gerade gut für ihn aussieht, bleibt er komplett ruhig, zumindest bis sie weiterspricht: »Stirb!«
Verdammt, denkt er und versucht sich zu befreien, allerdings zwecklos. »Tut mir leid, aber den Gefallen kann ich dir nicht tun.« Er grinst weiterhin selbstsicher vor sich hin, spürt jedoch auch die große Unsicherheit und Angst seiner Schwester, die noch immer hinter ihm steht und sich leicht in sein Oberteil krallt. »Alles gut.«, flüstert er schnell, um sie ein wenig zu beruhigen.
In diesen Moment schleudert Nora den Sperr auf ihn und trifft Ao in der Schulter. Der zischt auf und drückt seine Hand auf die Wunde, wo der Sperr sich inzwischen bereits wieder aufgelöst hat. Sofort hält Nora einen weiteren Sperr in der Hand, der nur Sekunden später seinen rechten Oberschenkel durchdringt. Ein Schrei entweicht seiner Kehle und er sinkt auf die Knie.
»Hör auf!«, schreit seine Schwester und will sich schützend vor ihn stellen, jedoch zieht er sie mit einem kräftigen Ruck wieder hinter sich. Wie oft soll er ihr eigentlich noch sagen, dass sie sich gefälligst mehr zurückhalten soll! Nur leicht wackelig auf den Beinen steht er wieder auf, aus den beiden Wunden fließt inzwischen kein Tropen Blut mehr.
Die Bewegungssperre ist bereits aufgehoben, weshalb er sich wieder bewegen kann. Langsam sinkt Nora zu Boden. »Ist es etwa schon vorbei?«, lacht Ao, ist jedoch sichtlich erleichtert.
»Willst du doch sterben?«, meint sie und lässt einen weiteren Sperr in ihrer Hand erscheinen.
Schützend hebt er seine Hände. »So leicht sterbe ich nicht, aber wir probieren es trotzdem nicht aus.«
Die Waffe verschwindet und sie sieht zu Boden. »W-warum wehrst d-du dich nicht?«
»Wieso sollte ich denn? Ich war doch in keinster Weise in Gefahr.«
Sie sieht ihn kurz an, bevor sie ihren Blick wieder senkt, wobei sie verzweifelt versucht, ihre Kräfte unter Kontrolle zu behalten. Aber es ihr zwecklos: Ihre Schatten breiten sich auf dem Boden aus. Ich muss hier weg!, schießt ihr durch den Kopf.
»Immer noch keine Kontrolle, was?«, lacht Ao und geht langsam auf sie zu, bis er letztendlich direkt vor ihr steht. »Muss ich immer noch Angst vor dir haben?«
Zitternd versucht Nora aufzustehen, doch ihre Beine geben sofort nach. Sofort hält Ao sie wieder am Nacken fest, woraufhin sie ihn vor Angst und Überanstrengung zitternd unsicher ansieht. »Alles gut. Einfach ruhig bleiben, okay?«, meint er. »Ich bringe dich jetzt nach Hause oder hast du immer noch was dagegen?«
»I-Ich will nicht Heim...«
»Warum?«
»Ich will einfach nicht.«
»Wohin willst du dann?«
»Lass mich einfach hier.«
»Das kommt nicht infrage.«, sagt er ernst. »Am Ende stirbt heute noch jemand, denn falls du es noch nicht kapiert hast: Nicht jeder kann sich so gegen dich verteidigen wie wir.«
Nora sieht zu Boden. Das ist mir auch klar..., denkt sie sich. »Lass mich doch einfach in Ruhe. Dir kann es doch egal sein, was ich mache.«
»Wenn du hier bleibst, dann bleiben wir auch hier.«, stellt Michiru klar, die immer noch Sicherheitsabstand hält.
»Ihr werdet gehen.«
»Du hast mir nichts zu sagen, schließlich war ich eher hier als du!«, ruft sie empört. »Ich habe mehr Recht hier zu sein!« Sie will noch weitersprechen, aber eine kurze, warnende Handbewegung ihres Bruders lässt sie verstummen. Sie senkt ihren Kopf und sieht zu Boden. Eigentlich hat sie gar nicht so laut werden wollen. Ihre Hände beginnen leicht zu zittern. Sie muss bleiben, hier am See, egal was passiert.
Mit einer Handbewegung öffnet Nora ein Schatten Portal. Dann tritt sie Ao so fest wie kann in den Bauch, sodass er sie loslässt. Sie nimmt ihre komplette Kraft zusammen und geht mit zittrigen Beinen zu ihrem Portal.
Traurig sieht Michiru ihr nach. »Willst du jetzt wirklich abhauen?«
»Ja. Du hast doch selbst gesagt, dass du eher hier warst, also gehe ich.«
»So war das doch nicht gemeint. Du kannst gerne hier bei uns bleiben.«
»Nein. Außerdem mag ich euch nicht.«
Erneut senkt Michiru ihren Kopf. »Ich wollte doch die ganze Zeit nur nett zu dir sein...«, flüstert sie und Nora verschwindet durch ihr Portal.
Keine Sekunde später taucht sie auf der Wiese direkt auf der anderen Seite des Sees auf. Nachdem sie den Boden berührt, dauert es keine Sekunde, bis das Gras um sie herum in Form eines Kreises komplett schwarz wird, als wäre sämtliches Leben aus den Pflanzen verschwunden. Von einem Moment auf den anderen bleibt ihr die Luft weg. Es fühlt sich so an, als würde ihre Lunge jeden Moment kollabieren und dieser unerträgliche Schmerz lässt sie augenblicklich auf die Knie sinken. Sie will schreien, aber als sie ihren Mund öffnet, kommt kein einiger Ton heraus. Riesige Panik kommt in ihr auf und sie versucht verzweifelt, Sauerstoff in ihre Lungenflügel zu saugen.
Um sie herum bildet sich ein Käfig in Form einer schwarzen Kugel. Meine Vision wird wahr!, schießt ihr sofort in den Kopf. Genau wie sie es gesehen hat, breitet sich die Kugel immer weiter wie eine Druckwelle aus. In einem Umkreis von hundert Metern ist alles in schwarz getaucht. Es dauert ein paar Sekunden, bis die Schwärze wieder verschwindet.
Schwankend steht Nora wieder auf, wobei sie endlich wieder atmen kann, obwohl atmen das falsche Wort ist. Sie muss die ganze Zeit über husten, was sich so anfühlt, als bliebe ihr die Luft wieder jeden Moment weg. Es ist ein Wunder, dass sie überhaupt noch bei Bewusstsein ist, so schwer wie sie atmet.
Währenddessen hat Ao seine Schwester zum Schutz hinter sich geschoben und hält sich bereit, im Notfall seine Kräfte einzusetzen. Erst als die riesige schwarze Kugel wieder verschwindet, entspannt er sich langsam wieder. »Wir müssen zu ihr...«, flüstert Michiru und sieht hinter ihrem Bruder hervor, der sie sofort wieder hinter sich schiebt. 
»Ich gehe und du bleibst hier in Sicherheit.« Er sieht sie kurz an und weiß, sie ist dagegen. Allerdings senkt sie nur schweigend ihren Kopf. Ao geht vor ihr in die Hocke und legt seine Hand auf ihren Kopf. »Keine Sorge, ich komme heil wieder.« Dann steht er wieder auf und dreht sich zurück zum See. »Bin gleich wieder da.«
Vorsichtig setzt er erst einen Fuß aufs Wasser und dann den anderen. Ohne unterzugehen läuft er einfach über das Wasser, als wäre er leicht wie eine Feder oder würde über eine unsichtbare Straße laufen. Von außen sieht es kinderleicht aus, aber es fordert ihm höchste Konzentration ab.
Schließlich bleibt er genau vor ihr stehen und sieht zu ihr runter. »Hey, Kleine.« Langsam hebt sie ihren Kopf, sodass sich beide in die Augen schauen. Ihr Blick ist matt und ihr Gesicht blass, weshalb er sofort merkt, wie erschöpft sie ist. »Du kommst jetzt mit mir mit.«, bestimmt er. Nora senkt ihren Kopf wieder zu Boden ohne zu widersprechen, während sie sich darauf konzentriert, nicht umzukippen. »Und keine Ausraster mehr heute, darauf habe ich keine Lust mehr.« Wieder bekommt er keine Antwort. Stattdessen hustet Nora, da sie es nicht länger unterdrücken kann. »Du gehörst wirklich ins Bett.«, stellt er fest und nimmt ihre Hand, woraufhin sie nur kaum merklich nickt, zu mehr fehlt ihr die Kraft. Als Ao sie mitzieht, stolpert sie ein paar Schritte hinter ihm her, bevor ihre Beine einfach wegsacken. Sofort fängt der Orangehaarige sie auf und nach einem kurzen Augenrollen, hebt er sie auf seine Arme. Die Zwölfjährige versucht gar nicht erst, sich dagegen zu wehren. Sie hat sowieso keine Chance gegen diesen Typen, geschweige denn, dass ihr gerade sowieso die Kraft dazu fehlt. Erschöpft schließt sie die Augen und ihr Kopf fällt gegen seine Brust.
Ein kurzes, sanftes Lächeln huscht über sein Gesicht, während er das ihm noch recht fremde Mädchen ansieht. Erst nach einer halben Ewigkeit geht er langsam zu Michiru zurück, wovon die Weißhaarige nichts mehr mitbekommt, da sie bereits weggedriftet ist. Vor seiner Schwester bleibt Ao schließlich stehen. »Frag mal die Stimmen, wo sie wohnt, damit wir sie nach Hause bringen können.«
Michiru schüttelt ihren Kopf. »Das ist gar nicht nötig, denn ich weiß es bereits.«
»Gut. Dann führ mich hin.«

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 29, 2020 ⏰

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