Loslassen

14 2 1
                                    

Unter ihm toste das Meer. Die Wellen stießen gegen den gläsernen Boden, auf dem er kniete, als versuchten sie, sich durchzubeißen. Über ihm drängten sich Wolken aneinander. Schwarze Wolken, die sich aufeinandertürmten, ihn unter sich zu begraben. Die Hitze staute sich dazwischen, legte sich auf seine Haut, wie eine Folie, erstickte jedes Gefühl.

Er beugte sich näher, erblickte die Reflexion seines Gesichts zwischen den Wellen und ihres, als sie sich zu ihm lehnte.

»Aber es ist noch nicht zu spät«, flüsterte sie.

Er riss sich von ihrem Anblick los, betrachtete den Himmel über ihnen und sah nichts. Er wartete auf das Unwetter und den Regen, der die Hitze wegspülte und wartete vielleicht vergeblich.

»Glaubst du immer noch, Gott ist immer bei dir?«, fragte er und der Spott, der ihm mit jeder Silbe in die Zunge biss, klang resigniert.

Sie sagte nichts und lächelte ihn an, kam auf die Beine und hielt ihm ihre Hand entgegen.

»Lass uns gehen.«

»Wohin?«

Sie streckte ihren Arm und deutete auf eine Tür, die eine Hand breit über dem gläsernen Boden schwebte.

»Wohin führt die Tür?«

»Weiter.«

Er wollte nicht weitergehen, nicht zurück. Er wollte liegen bleiben und vergessen. Sie legte sich neben ihn, legte ihre Hand auf seine und legte ihr Gesicht in seine Halsbeuge.

»Wenn du bereit bist«, flüsterte sie und er presste die Augen zusammen, weil sie brannten und er diesen Augenblick für immer festhalten wollte. Er atmete sie ein und sie atmete aus und sie schwebten über den Wellen, zwischen dem, wie es war und dem, wie es wäre und er krallte sich an dem Dazwischen fest. An dem, was sie ihm versprochen hatte und den ganzen Versprechen, die nun in Scherben vor ihm lagen.

»Entweder Gott ist nicht allmächtig oder nicht gütig oder nicht allgegenwärtig«, murmelte er ihr ins Ohr, wo sich eine Locke kringelte.

»Vielleicht verstehen wir alles erst später«, flüsterte sie.

»Das ist eine lahme Ausrede, die alle benutzen, die an einen lieben Gott glauben wollen.«

»Ja, vielleicht«, sagte sie.

»Und selbst, wenn, ich würde ihm nicht verzeihen«, murmelte er.

Er fürchtete, er wäre nie soweit. Vielleicht schaffte er es nicht alleine. Vielleicht sollte er für immer hier liegen bleiben – mit ihr. Vielleicht wäre es gut so. Vielleicht musste er nicht verzeihen.

»Wem? Gott oder dir?«

Er schluckte und zog sie näher, schmeckte ihren Duft zwischen den Lippen und spürte ihre Worte zwischen seinen Gedanken.

»Ich weiß nicht, ob ich es kann«, flüsterte er.

In ihren Augen strahlten Lachfältchen. Er fühlte ihr leises Glucksen und hörte, was sie nicht sagte, als sie sich zu ihm beugte und ihn küsste. Ihre Lippen auf seinen. Ihre Finger strichen über seine Hand. Ihre Worte zwischen seinen Gedanken. Ihre Versprechen zwischen seinen Gefühlen.

»Lass uns gehen«, murmelte sie gegen seine Lippen und er schmeckte die ungesagten Worte. Ihre Finger zwischen seinen, packte er all das zusammen, was gewesen war und hätte sein können und zog sich an der Hoffnung hoch, dass nichts umsonst geschah. Oder vielleicht dass jeder Augenblick kostbar war und besonders die, die an uns vorbeifliegen wie Träume, die wir nicht festhalten können.

»Es tut nur ein bisschen weh irgendwann«, sagte sie, als er vor der schwebenden Tür stand. Seine Hand auf der Klinke, ihre Finger schmiegten sich zwischen seine und sie öffneten die Tür mit einem Quietschen.

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Jan 05, 2020 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

Wie unser Sommer [ Kurzroman ]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt