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ICH WOLLTE NIE berühmt werden.

Wenn ich ehrlich war, reizte mich die Vorstellung, von Millionen von Menschen beäugt und verurteilt zu werden, nicht besonders.

Vielleicht lag es daran, dass ich kein besonders außergewöhnliches Talent besaß, das ich so unbedingt mit der ganzen Welt teilen wollte.

Hin und wieder wurde ich von Freundinnen oder Schulkameraden gefragt, ob ich schon einmal ein paar meiner Bilder an Modelagenturen geschickt hatte, doch ich hatte es jedes Mal als eine Art oberflächliche Geste der Höflichkeit oder ein nettes Kompliment abgetan. Besonders, da ich nicht unbedingt interessiert daran war, dass man mich dadurch definierte, wie hübsch ich doch durch eine Kameralinse hindurch aussah.

Dazu kam vielleicht, dass ich eher der ruhige Typ Mensch war, der lieber in der Menge verschwand, als die eine Person, die unter einer Million herausstach. Ich war eine stumme Beobachterin, ein Zuschauer. Eine von vielen.

Ironisch, dass genau ich es war, die ihr Debüt als Model in einem Musikvideo für eines der angesagtesten Popsternchen geben würde.

Hätte mich jemand gefragt, wie ich in eine solche Situation hineingerutscht war, hätte ich wahrscheinlich nicht sofort antworten können. Nicht nur, weil ich es mir selbst nicht erklären konnte, sondern auch, weil einfach alles so verdammt schnell gegangen war.

Im einen Moment hatte ich die Rezeptionistin, die gelangweilt und Kaugummi kauend hinter dem Glastresen hockte, noch darum angebettelt mich nur kurz zu William Holt zu lassen, damit ich ihm ein Tape meiner Schwester zeigen konnte und wurde gnadenlos abgewimmelt. Natürlich hätte ich damit rechnen müssen – kein rational denkender Mensch würde seinen Job riskieren, um einen völlig verrückten Fan in die Nähe ihres größten Idols zu lassen, egal welche Ausrede sie auf Lager hatte. Nur war ich eben kein psychotischer Teenager, der alles dafür geben würde, einmal in ihrem Leben auch nur einen Zentimeter von William Holt berührt zu haben.

Viel über ihn wissen tat ich ebenfalls nicht. Gäbe es meine Schwester Josie nicht, wüsste ich wahrscheinlich nicht einmal, dass er existierte. Natürlich, seine Songs wurden im Radio so oft gespielt, dass es wahrscheinlich gar nicht möglich war, ihm und seiner Musik zu entkommen, aber ich hätte der Stimme wahrscheinlich weder einen Namen, noch ein Gesicht zuordnen können.

Weshalb es noch ungewöhnlicher war, dass genau ich diejenige war, die man im Büro des Filmstudios als pathetischen Fan abstempeln und über die man nur lachend den Kopf schütteln konnte.

Aber ich war nicht grundlos hier. Ich hatte eine Mission.

Als ich jedoch merkte, dass die rothaarige Rezeptionistin, die gelangweilt ihr Kaugummi kaute, während sie so tat, als würde sie mir zuhören, nicht einknicken würde, kapitulierte ich schließlich.

„Na, schön", meinte ich frustriert und schulterte meine Handtasche. "Kann ich dann wenigstens die Toilette benutzen?"

Sie musterte mich einen Moment lang kritisch, so als wäre sie sich nicht sicher, ob ich verrückt genug war, um Mist zu bauen und illegal in die Studios einzubrechen. Als sie jedoch zu bemerken schien, dass ich nicht unbedingt aussah, als wäre ich gerade aus einem Fanshop gekommen und von Fuß bis Kopf mit William-Holt-Merch eingedeckt, sondern recht normal aussah, verdrehte sie die Augen und nickte mit dem Kopf in Richtung des Flurs.

„Zweite Tür rechts."

Ich zwang mich zu einem Lächeln und machte kehrt, wobei ich mich mit jedem Schritt in Richtung des WCs fühlte, als hätte ich mich auf die Knochen blamiert.

Gewöhnlich war ich nicht leicht aus der Fassung zu bringen, war nicht schüchtern, sondern einfach nur still, doch die Angestellten des Studios so verzweifelt anzuflehen, mich zu irgendeinem Pop-Star zu lassen, schien das neueste Tief in meinem Leben zu sein.

one in a millionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt